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Ausgetretene Steintreppen führen hinauf, über die alten Mauern ranken blühende Bougainvilleen-Sträucher, und von der Höhe aus lässt sich das blaue Meer in der Bucht von Palma erblicken. Kein Wunder, dass dieses Stadtviertel in Palma stets zahlreiche Maler und Literaten anlockte und somit im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts (neben dem britischen dominierten Port de Pollença) zur ersten internationalen Ausländerkolonie auf Mallorca avancierte.

El Terreno, so der Name der renommierten Wohngegend, liegt zu Füßen des Wahrzeichens von Palma, der Burg von Bellver. Eingefasst vom Stadtwald des Schlosses im Norden, dem Meer im Süden, dem Son-Armadans-Viertel im Osten sowie dem Wohnviertel Bonanova im Westen, erstreckt sich der Stadtteil auf einem schmalen Landstreifen, der vom Meer aus immer steiler zur Halbhöhenlage ansteigt. Geprägt wird das Bild El Terrenos, sobald man von der Hauptdurchgangsstraße, der Avenida Joan Miró, bergwärts abzweigt, von den zahlreichen Treppensteigen, die wie Querstreben die fünf schmalen Längsstraßen des Viertels verbinden. Wer sich wachen Auges die Anhöhen erwandert, wird immer wieder belohnt durch den Anblick von altehrwürdigen Jugendstilvillen und Chalets, umgeben von Gärten, in denen hundert Jahre alte Palmen, Olivenbäume und Araukarien wachsen, während oberhalb der Siedlungszone die Kiefern des bewaldeten Bellver-Parks im Wind rauschen, der von der See kommend bis hinauf zu den Zinnen des mittelalterlichen Kastells weht.

Das kann durchaus von Nachteil sein. "Wenn mehrere Kreuzfahrtschiffe im Hafen liegen und es regnet, habe ich hinterher einen schmierigen Schmutzfilm auf der Terrasse", sagt der in El Terreno lebende deutsche Friseur Felix Götze. Er führt dieses Phänomen auf die Abgase der Schiffe zurück und fragt: "Was soll das sonst sein?"

Für den in El Terreno lebenden Buchautor und Lokalhistoriker Llorenç Capellà hat kein anderes Stadtviertel in Palma einen solchen Reichtum an literarischen und künstlerischen Traditionen aufzuweisen wie sein heimatliches "Barrio". "El Terreno war das Sinnbild für Schönheit", sagt Capellà. Die Betonung liegt auf "war". Denn es ist kein Geheimnis, dass das El-Terreno-Viertel seine Glanzzeiten in den Jahren 1900 bis 1960 schon lange hinter sich hat. Viele der einst prächtigen Villen und Patrizierhäuser stehen heute leer oder sind gar vom Verfall bedroht. Und wo sie liebevoll gepflegt und bewahrt erscheinen, da wird ihr Anblick verunstaltet durch in der Nachbarschaft rücksichtslos errichtete Wohnblöcke, die jeden Quadratmeter für Beton, Anbauten und zusätzliche Etagen zu nutzen wussten. Seit den 1960er Jahren sind in dem Viertel von der städtischen Bauaufsicht architektonische Kontraste bewilligt worden, die aus heutiger Sicht die Betrachter in einer Mischung aus Empörung und Ratlosigkeit staunen lassen.

Nur ein Beispiel: Direkt neben den einst freistehenden Aussichtsturm eines Jugendstiljuwels wie der Villa Schembri, heute Sitz der schwedischen Schule in El Terreno, wurde in den 1980er Jahren ein sechsstöckiges Wohnhaus in die Höhe gezogen. Die Grundstücksgrenze hatte diese Baumaßnahme durchaus erlaubt; das ästhetische Empfinden und die Auswirkung auf den Gesamteindruck des Ensembles hätten die Errichtung des neuzeitlichen Nebengebäudes jedoch letztlich nie zulassen dürfen.

"El Terreno hätte einen viel höheren städtebaulichen Schutz verdient", sagt Xavier Terrasa. Der Historiker hat jüngst ein Buch veröffentlicht, das die Vergangenheit des Viertels von seinen frühesten Anfängen bis in die 1960er Jahre aufleben lässt. Sein Werk belegt eindrucksvoll, wie das Viertel insbesondere mit seiner Südausrichtung ursprünglich einem Amphitheater am Meer glich. Die Bebauung erklomm bei luftiger Parzellierung die Anhöhe stufenweise, so dass die einzelnen Häuser sich nicht gegenseitig die Sicht auf das Meer nahmen. Dieses Prinzip wurde indes durchbrochen mit dem Bau des Paseo Marítimo (1950 bis 1958). Wo ursprünglich die Wellen des Meeres an der Küste anbrandeten, entstand eine Autopiste, während dahinter die Häuser bis zu 20 Stockwerke hoch errichtet wurden. So nahmen sie der alten ersten Linie des Viertels nicht nur den Seeblick, sondern riegelten El Terreno insgesamt vom einst offenen Meer ab, das sich durch den Bau des Westkais Dique del Oeste ohnehin in ein Hafenbecken verwandelt hatte.

Während also die neue erste Uferlinie am Paseo Marítimo aufblühte, versank das dahinter liegende Viertel in einem Dämmerschlaf. "Wir sind die Erben von all den Dingen, die seit Jahrzehnten unterblieben sind", beklagt sich Xavier Abraham. Der Präsident der Anwohnervereinigung von El Terreno wirft der Stadtverwaltung vor, in den vergangenen drei Jahrzehnten keinerlei nennenswerte Investitionen in dem Viertel getätigt zu haben. Es seien keine Sportanlagen vorhanden, kein ansprechend ausgestatteter Kinderspielplatz, kaum Parkplätze. Hinzu kommen jedes Wochenende unzählige Störungen der Nachtruhe rund um die Plaza Gomila, dem neuralgischen Ausgehzentrum der Teenager Palmas.

Wenn dort gegen Mitternacht die einschlägigen Bars öffnen, kommt es auf der Joan Miró zu solchen Menschenansammlungen, dass die Autos mit höchster Vorsicht die Hindernisse umfahren müssen. Weiter östlich ziehen die diversen Lokale vor allem lateinamerikanisches Partypublikum an. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen über die dunklen Treppensteigen mit all den negativen Auswirkungen wie Lärm und Gewalttätigkeiten in den Nachtstunden samt Unrat und Schmutz in den Morgenstunden.

Abraham, dessen Familie bereits 1928 einen Friseurladen in dem Viertel eröffnet hatte, drängt seit Jahren darauf, dass die Behörden die städtischen Verordnungen tatsächlich umsetzen. Das gelte für die Nachtclubs ebenso wie für die Baubestimmungen und die Vorgaben zur Bewahrung der historischen Villen. Würden alle existierenden Verbote strikt eingehalten, dann wäre El Terreno ein vollkommen konfliktfreies Wohnviertel, ist Abraham überzeugt.

Neue Hoffnungen setzt der Anwohnerpräsident in Projekte, die die Stadt Palma gemeinsam mit der Europäischen Union anpacken möchte. Beide Seiten haben sich verpflichtet, bis 2022 jeweils zwölf Millionen Euro zu investieren, wenn die Vorhaben innerhalb der Zeit pünktlich verwirklicht werden. Der "Plan zur Verbesserung der Küstenlinie von Palma" sieht unter anderem vor, die Verbindungswege, oftmals Treppen, zwischen dem Paseo Marítimo und der Avinguda Joan Miró neu zu erschließen. Im Park Sa Cuarentena etwa sollen eine Rampe und ein Fahrstuhl für alte und gehbehinderte Menschen errichtet werden.

Die Stadt Palma will zudem den Verkehr auf dem Paso Marítimo durch weniger Fahrspuren ausdünnen und mehr Freiraum zum Flanieren schaffen. Möglicherweise soll auch auf der Joan Miró der Autoverkehr verringert werden. Mit Maßnahmen dieser Art will Palmas grün-sozialistischer Rathauschef Antoni Noguera die traditionelle Trennung zwischen dem einstigen Meeresviertel und der Hafenpromenade aufbrechen. Doch Xavier Abraham hat seine Zweifel, ob sich all diese Vorhaben fristgerecht realisieren lassen. Wenn die Zeit vertan wird, droht der Verlust der Mittel aus Brüssel.

Dennoch gilt für El Terreno die Faustregel: je höher, desto teurer. Das hat seine Gründe: Insbesondere die oberhalb liegenden Chalets und Wohnungen genießen von ihren Fenstern und Balkonen Freilicht-Panoramen samt einer himmlischen Ruhe. Denn der Paseo Marítimo und die Avenida Joan Miro, über die der Autoverkehr rollt , liegen in weiter Ferne. Und die übrigen Straßen des Viertels sind so schmal, dass noch nicht einmal ein Auto am Rand abgestellt werden kann, ohne sich für andere als unüberwindbares Hindernis zu erweisen. Von daher sind dort allenfalls Anwohner unterwegs, auf dem Weg zu ihrer Garage oder in die Stadt.

Diese privilegierte Lage hat ihren Preis. Selbst verfallene Villen inmitten verwilderter Gärten sind nicht für unter einer Million Euro zu haben, weiß die auf El Terreno spezialisierte Immobilienmaklerin Katja Schrapel. Für die antiken Patrizierhäuser blättern solvente Liebhaber aber auch schon einmal mehr als fünf Millionen Euro hin.

Bei Wohnungen sieht es kaum anders an: Die Preise für schlichte 100-Quadratmeter-Immobilien starten bei 300.000 Euro, können aber auch bei bis zu 600.000 Euro liegen, wenn die Wohnungen bestens renoviert sind, bei Meerblick und Parkplatz. Mieten für solche Immobilie betragen dann gerne 1500 Euro im Monat. Was den Preisen darüber hinaus Auftrieb gibt, ist das relativ kleine Angebot. Das Viertel besteht lediglich aus wenigen Straßenzügen. "Hier wohnen keine 6000 Menschen", sagt Abraham. El Terreno sei viel weniger verdichtet als andere Viertel. Dass der Stimmenanteil so relativ niedrig sei, ist für ihn mit ein Grund, warum die Lokalpolitik die Wohngegend so lange dermaßen ignoriert habe.

Ungeachtet der hohen Preislagen zog die Nachfrage nach Immobilien in den vergangenen fünf Jahren deutlich an, sagt Katja Schrapel. El Terreno sei wie ein Dorf in der Stadt, in dem sich Nachbarn kennen und grüßen würden. Insbesondere ausländische Investoren entdeckten ihren Worten zufolge die Vorzüge des Viertels, neben Deutschen zeigten Schweden reges Interesse. "El Terreno wird das neue Santa Catalina", ist Schrapel überzeugt. Das In-Viertel von Palma als Vorbild für die ehemalige Künstler- und Ausländerkolonie? Vieles würde sich entsprechen, meint auch Abraham. El Terreno sei immer schon kosmopolitisch ausgerichtet gewesen. Es sei auch durchaus denkbar, dass die neuen Impulse von außen dem Viertel neues Leben einhauchen könnten. Bis dahin bleibt der Blick aufs Meer, dort, wo er nicht verbaut ist.

(aus MM 1/2018)