Schiff ahoi vor zyklopischen Klippen: Mallorcas Tramuntana-Küste ist ebenso wie der gleichnamige Gebirgszug seit 2013 Unesco-Welterbe. | Barcos Azules

TW
1

Not macht erfinderisch, ein Sprichwort, das die Geschichte von Juan Mayol, einem in den 1960er Jahren in Port de Sóller auf Mallorca lebenden Textilhändler, wie den berühmten Nagel auf den Kopf treffen dürfte. Mayol, dessen Geschäfte zu dieser Zeit mehr schlecht als recht liefen, kam eines Tages auf die Idee, mit seiner Llaüt, einem der traditionellen Fischerboote, hinauf aufs Meer zu fahren.

Aber nicht, um irgendwo auf See die Netze auszuwerfen, sondern um eine kleine Zahl bleichgesichtiger Nordeuropäer mit ulkigen Sonnenhüten auf dem Kopf und Kameras über dem Bauch auf eine Spritztour entlang der Westküste an Bord zu nehmen. Gegen entsprechende Bezahlung, versteht sich. Mayol legte damit den Grundstein für das größte maritime Ausflugsunternehmen auf Mallorca, das heute von seinen fünf Enkelkindern geführt wird: „Barcos Azules”.

„Wie es meinem Opa damals gelang, fremdländisch sprechende Touristen auf seine Llaüt zu bekommen, weiß ich nicht. Ich nehme an, dass er selbst von ihnen angesprochen wurde, und später erst ein Geschäft mit Bootsausflügen witterte”, erzählt Oscar Mayol, der das Familienunternehmen zusammen mit seinen Geschwistern leitet.

Sei es wie es sei, Juan Mayol hatte den richtigen Riecher für eine bis dahin auf der Insel noch unbekannte Touristen-Attraktion. Und die er zudem stetig weiterentwickelte. 1967 ließ er sich von einer Schiffswerft in Palma die erste sogenannte „Golodrina” auf der Insel bauen, ein knapp zehn Meter langes offenes Holzboot mit mehreren Reihen Sitzbänken für die Passagiere. Der Name rührt von einer maritimen Schwalbenart her, die nach ihren Ausflügen über dem Meer stets wieder ins eigene Nest zurückkehrt.

„Dieses Boot war eine echte Revolution, bot es doch bis zu 50 Personen an Bord Platz”, erzählt Enkel Oscar nicht ohne Stolz in der Stimme. Das Boot wurde nach seinem ersten Ausflugsziel, der berühmten Felsenschlucht mit ihrem Kiesstrand Sa Calobra, benannt. Im Laufe der weiteren Jahre steuerte die „Calobra” auch weitere Orte entlang der westlichen Steilküste des Tramuntana-Gebirges an, wie die Cala Tuent, Deià oder gar Sant Elm. Und das mit wachsendem Erfolg.

1975 gründete der Sohn des mittlerweile verstorbenen Joan Mayol das heutige Familienunternehmen „Barcos Azules”. „Wir kauften drei weitere Ausflugsschiffe und liefen im Hochsommer fast täglich entlang der Küste aus. Zu unseren Gästen zählen am Anfang vor allem Briten und Franzosen, im Laufe der weiteren Jahren kamen aber immer mehr deutsche Urlauber an Bord.” Auch die Boote wurden von Jahr zu Jahr komfortabler, bekamen Sonnendächer und kleine Bars, an denen die Gäste Erfrischungsgetränke kaufen konnten.

barcos azules
Das Ausflugsschiff "Sol y Playa" steuert viermal pro Woche die Cala Tuent an. Dort legt das Boot einen Badestopp ein. An Bord können Gäste Getränke und Snacks bestellen. Foto: Barcos Azules
Ähnliche Nachrichten

„In den 1980er Jahren begannen wir auch kombinierte Tagesausflüge von Palma in Kooperation mit der Sóller-Eisenbahn anzubieten. Und: Einmal am Ausflugsziel angekommen, konnten die Gäste gegen Aufpreis in einem Restaurant Paella essen. Da wir über mehrere Schiffe verfügten, konnten sich Ausflugsgäste bei ihrem Landgang Zeit lassen, um dann mit einem später folgenden Schiff wieder nach Sóller zurückzukehren”, erklärt Oscar.

Mittlerweile verfügt sein Unternehmen über neun Boote, fünf dafür für die traditionellen touristischen Tagesausflüge im Einzelverkauf, die mittlerweile bis hinauf zur Halbinsel Formentor führen, und vier Motoryachten, die von Privatpersonen mit oder ohne Skipper gechartert werden können. Dazu kommt ein großer Segelkatamaran mit Platz für bis zu 400 Passagiere. „Unser Geschäftskonzept ist im Wandel, wir werden in Zukunft stärker auf Gruppenausflüge setzen”, so Mayol.

Die Saison mit den täglichen Ausflügen beginnt für „Barcos Azules” Anfang April und endet am 31. Oktober. „Im November, Februar und März bieten wir zwei bis drei Ausflüge in der Woche an, im Dezember und Januar gehen wir in Winterpause. „Allein deshalb, um die Boote zu überholen und fit für die Saison zu machen.” Rund 150.000 Gäste begrüßt das Unternehmen pro Jahr an Bord, im Hochsommer sind das bis zu 2500 Passagiere täglich.

Trotz der weiterhin hohen Nachfrage hat die nach der Covid-Pandemie ausgelöste Inflation in Europa auch nicht vor Port de Sóller halt gemacht. „Wir haben unsere Preise in diesem Jahr um vier Prozent erhöhen müssen, um den gestiegenen Kostenaufwand, insbesondere für den Treibstoff unserer Boote aufzufangen. Dennoch hat dies nicht unser Preis-Leistungsverhältnis geschadet”, behauptet Oscar Mayol. Ein zweistündiger Ausflug von Port de Sóller nach Sa Calobra kostet im Einzelverkauf 34 Euro, Einwohner und ausländische Residenten mit Wohnsitz auf den Balearen erhalten eine Ermäßigung.

Das auf der Webseite des Unternehmens angebotene Portfolio an Ausflügen reicht von einstündigen Fahrten nach Cala Tuent, dreistündigen Törns zum Lochfelsen Sa Foradada bis hin zu einem zweistündigen Trip in den Sonnenuntergang auf einer Elektro-Llaüt.

Ob sein Opa über so viel Modernität glücklich gewesen wäre? „Da bin ich mir ganz gewiss. Mein Großvater wäre stolz darauf, wie sich das Unternehmen aus seinen bescheidenen Anfängen entwickelt hat. Und noch stolzer wäre er, wenn er wüsste, dass es über all die Jahre in den Händen der Familie geblieben ist. Und das wird es sicher noch viele Jahre bleiben”, sagt Oscar Mayol.

Weitere Infos unter www.barcoscalobra.com