So schön sehen die Produkte aus. | „Antic Mallorca“

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Es hätte nicht anders kommen können, ist Araceli Iranzo überzeugt. Aber dass ihr Leben eine derart starke Kehrtwende gemacht hat, fasziniert die 47-Jährige aus Saragossa heute noch.

Während Araceli Iranzo in Madrid erfolgreich Werbeslogans und Claims für Banken und Großkunden entwirft, sitzt eine Gruppe von betagten Frauen aus Capdepera in einem Rund zusammen und flicht ellenlange Bänder aus getrockneten und gebleichten Palmwedeln. Daraus entstehen Körbe, Fächer und Taschen. Die beiden Welten könnten unterschiedlicher kaum sein. Dort das hektische Großstadtleben, hier die meditative Ruhe der flechtenden Damen.

Araceli Iranzo beschloss irgendwann, der Welt des schönen Scheins den Rücken zu kehren und zog in die Inselmitte von Mallorca. Sie lernt die „Ses Madones de sa llata”, die „Bastdamen”, aus Capdepera kennen. „Das war wie eine Erleuchtung”, sagt Araceli heute. Das Kunsthandwerk der Frauen fasziniert sie und sie möchte es kennenlernen. Als wissbegierige Schülerin kommt sie nun seit mehreren Jahren wöchentlich nach Capdepera, um im Kreis der Flechtfrauen von der Pike auf die Techniken zu lernen.

Aus der Begeisterung wurde mehr als ein Hobby. Mit Labeln und Marketing kennt sie sich bestens aus. „Antic Mallorca” wurde geboren, ein Unternehmen, dass solche Urschätze der Insel bewahrt und verbreitet. Die ambitionierte Werbefrau und die genügsamen Frauen aus dem Norden wurden ein Team.

Montagnachmittag, 16 Uhr, Capdepera. Es ist frisch in dem Raum, in dem die vier Frauen werkeln. Die Namen sind schnell gelernt: Von den vieren heißen drei Margalida, die andere Maria. Die Dienstälteste ist über 90 Jahre alt. „Fünf Jahre abziehen, so lange mache ich das schon”, erzählt Margalida 1 und lacht etwas schelmisch. Capdepera hat neben Artà eine lange Korbflechttradition. Es war üblich, dass die Kinder nach der Schule Zöpfe aus den Palmen flochten. „Zwei Armlängen war die Vorgabe”, sagt Margalida. Erst danach „durfte” man Hausaufgaben machen.

Die Frauen arbeiten in effektiver Arbeitsteilung. Margalida 1 bereitet die Palmstreifen auf die richtige Breite zu. Maria ist besonders gut im Flechten. Sie stellt meterlange Streifen her, die später von Margalida 2 zu Körben, Taschen oder Fächern vernäht werden. Mit einer kräftigen goldenen Nadel sticht sie in das Flechtwerk ein. Sie macht das dermaßen geschickt, dass man die Übergänge nicht sieht. Wie aus einem Guss wirken die Bastkörbe. „Zauberei”, nennt es Araceli schlicht. Das Ende der Produktionskette bildet Margalida 3. Sie stellt einen Knopf aus Palmwedel her und die feinen Riemen, die später die Schlaufen bilden.

Korbflechterinnen bei der Arbeit.

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Auf die Frage, wie lange sie für eine Tasche benötigten, können die Flechterinnen nicht in klassischer Zeitrechnung antworten. „Wir sind hier solange, bis es dunkel wird”, ist die Antwort. Auch Zentimetermaße interessieren sie nicht. Die Maßeinheit der Kindheit gilt auch heute noch: Es wird in Armlängen gerechnet.

„Es ist nicht nur das Handwerk, das die Frauen vermitteln. Es ist eine Lebensform. Im Hier und Jetzt sein, ein zur Ruhe kommen”, schwärmt die Wahlmallorquinerin. Ihre Kollegin Antonella Farris, die ebenfalls vom Flecht-Virus infiziert ist und sie beim Projekt des Unterrichtens unterstützt, ist genauso begeistert.

Damit die überlieferten Techniken in Zukunft weiterleben, gibt Araceli Iranzo ihr aufgesaugte Wissen in Kursen über „Antic Mallorca” weiter. „Wir sind ausgebucht”, sagt sie. Instagram sorgt für die Verbreitung. Es sei genau diese meditative Ruhe, die die Teilnehmer, fast ausschließlich Frauen, beim Flechten schätzten. Man sitzt dabei im Kreis. Nach und nach falle der Alltag von den Leuten ab, mit jedem geflochtenen Zentimeter rücke Stress im Job in den Hintergrund. Zuerst lerne jeder, einen Fächer herzustellen. „Darin sind alle Grundtechniken des Palmflechtens enthalten”, erklärt Araceli. Und manch eine ist vom Konzept der Arbeitsteilung total begeistert. „Wir haben eine Teilnehmerin, die möchte nur die Palmstreifen vorbereiten. Das sei ihre Berufung”, erzählt Antonella, selbst ein wenig verwundert.

Die Gruppe der Margalidas und Maria gönnen sich eine kleine Pause, die Merienda. Während jede ihre Flechtarbeit kurz ablegt, werden Ensaimdastücke herumgereicht. Und es wird geplaudert. Dann geht es wieder weiter mit Palmwedelspalten, Knöpfe herstellen und Zentimeter um Zentimeter die gebleichten Pflanzenstreifen flechten, Armlänge um Armlänge. Bis es draußen langsam dämmert.

(aus MM 9/2020)