Günther Ihlau (l.) und Dr. Wolfgang Isenberg haben ein Programm zur Abfederung der Massentourismus-Folgen erarbeitet. | Groß: M. A. Cañellas; Klein: privat

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Die beiden deutschen Tourismus-Experten Günther Ihlau und Dr. Wolfgang Isenberg haben ein Zehn-Punkte-Programm ausgearbeitet, das die sozialen und wirtschaftlichen Kollateralschäden der steigenden Urlauberzahlen auf Mallorca sowie in anderen Reisedestinationen abfedern soll. Doch wie sieht das aus?

Mallorca Magazin: Was hat Sie bewogen, sich mit der wachsenden Kritik am Tourismus auseinanderzusetzen und einen Plan vorzulegen? Nach Ihren jeweils sehr erfolgreichen Karrieren könnten Sie auch einfach den Ruhestand genießen.Wolfgang Isenberg: Die touristische Entwicklung lässt uns einfach nicht los. Angesichts wachsender Kritik am Tourismus, insbesondere in stark besuchten Feriengebieten, zeigt sich die Notwendigkeit, auf eine Transformation zu setzen und neue Ansätze zur Förderung der Tourismusakzeptanz zu entwickeln. Nun ist es nicht so, dass die Probleme, die heute in den Schlagzeilen sind, vollkommen neu wären. Sie sind aber differenzierter, unübersichtlicher, interessengeleiteter geworden, und es sind Entwicklungen hinzugekommen, die nicht unbedingt auf den Tourismus zurückzuführen sind, die aber durch ihn durchaus verstärkt werden.

MM: Zum Beispiel?
Isenberg: Unter Mietpreisen, die sich ein Normalverdiener nicht leisten kann, leiden Menschen in Palma, Paris, London, Berlin, Frankfurt und vielen anderen Städten. Wohnungsnot ist ein soziales Problem, für das wir eine Lösung finden müssen. Ob einfach weniger Tourismus eine Lösung ist, wage ich zu bezweifeln.

MM: Worum geht es in ihrem Zehn-Punkte-Programm?
Günter Ihlau: Die explosionsartige Zunahme der Besucherzahlen in den letzten Jahren hat die Schwachstellen in der Infrastruktur, im Umweltschutz und bei der Wohnraumbeschaffung immer deutlicher aufgezeigt. Die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen, nachhaltigen Tourismus konnten mit dem dynamischen Touristenboom nicht Schritt halten. Dieses Auseinanderdriften führte insbesondere bei der lokalen Bevölkerung zu Stress und Frustration.

MM: Ihnen geht es nicht nur um Mallorca, sondern um Tourismus weltweit, richtig?
Isenberg: Wir verfolgen einen ganzheitlichen, systemischen Blick auf den Tourismus, um die verschiedenen Treiber der Entwicklungen zu identifizieren und daraus Transformationsstrategien abzuleiten. Aufgrund der Gemengelage ist Mallorca – wieder einmal – ein ideales Feld, um das Thema zu bearbeiten. Was hier erfolgreich ist, funktioniert auch anderswo. Das war schon immer so, etwa bei der Erfindung der Pauschalreise, beim Finca-Tourismus, bei der Entdeckung lokaler und regionaler kulinarischer Spezialitäten, auf Mallorca insbesondere des Weins, und vielem mehr.

Ihlau: Nehmen Sie Palma. Noch vor 20 Jahren haben sich verhältnismäßig wenige ausländische Urlauber vom Strand in die Stadt bewegt. Mittlerweile kommen die Besucher nicht nur von der ganzen Insel, Palma selbst hat sich zu einer hochattraktiven Destination entwickelt. Das belegt allein das starke Wachstum an Stadthotels, gerade auch im gehobenen und Luxussegment. Das ist übrigens ein Erfolg, den sich die kommunale Tourismuswerbung Palma 365 auf die Fahnen schreiben kann.

MM: Ein Erfolg, der vielen nicht schmeckt, sonst würden nicht mehr als 20.000 gegen die Exzesse auf die Straße gehen.
Isenberg:Auf Mallorca hat sich in den letzten Jahrzehnten eine differenzierte Zivilgesellschaft herausgebildet, die sich nicht mehr direkt vom Tourismus abhängig fühlt, und die sieht sich von der großen Zahl der Touristen aufgrund der verschiedenen Reiseformate und der über die gesamte Insel verteilten Unterkunftsangebote regelrecht gestört. Hinzu kommt, dass zwar die Bedürfnisse und Erwartungen der Touristen gründlich erforscht sind, nicht aber die der Bevölkerung. Deswegen lautet eine unserer ersten Forderungen, dass die Wünsche der lokalen Bevölkerung schnellstens und gründlich erfasst werden müssen – um dann die entsprechenden Maßnahmen abzuleiten.

Ihlau: Dabei kommt es darauf an, einen gesunden Ausgleich der Interessen anzustreben. In unserem Zehn-Punkte-Konzept haben wir uns deshalb nicht nur bemüht, Problembeschreibungen vorzunehmen, sondern gleichzeitig Lösungsvorschläge anzubieten. Wir sehen es als Leitfaden für den Umgang mit den Problemen, die sich aus dem Phänomen des Massentourismus ergeben.

MM: Gerade auf Mallorca bedeutet Exzess nicht nur zu viel, sondern auch inakzeptables Verhalten vieler Reisender. Was ist Ihr Rezept?
Ihlau: Respektvoller Umgang mit der lokalen Kultur und mit den Einheimischen sollte eigentlich selbstverständlich sein. Gleichzeitig wissen wir, dass es notwendig ist, die Touristen gut zu informieren. Wir sehen hier sowohl die lokalen Behörden als auch die Reiseindustrie in der Pflicht.

Isenberg: Urlaub bietet neben neuen Welterfahrungen leider auch immer wieder Raum für Grenz- und Tabuüberschreitungen. Bei Regelverletzungen stehen die touristischen Stakeholder mit in der Verantwortung. Die lokalen Behörden müssen Verstöße auch tatsächlich ahnden wollen. Die Möglichkeiten dazu haben sie zum Teil schon seit vielen Jahren.

MM: Das klingt zwar plausibel. Es hat aber seit vielen Jahren nicht funktioniert. Und deswegen wenden sich viele der Protestierenden jetzt radikal gegen den Tourismus. Wie wollen sie damit umgehen?
Ihlau: Auch wenn es schwerfällt: Es geht nicht um Schwarz oder Weiß. Sondern um die vielen Schattierungen dazwischen. Wir plädieren in unserem Zehn-Punkte-Plan dafür, die bisherigen regionalwirtschaftlichen Ergebnisse des Tourismus in einem ersten Schritt genau zu analysieren. Dabei sollten die spezifischen lokalen Effekte wie Beschäftigung, Infrastrukturentwicklung und einiges mehr ebenso in Betracht gezogen werden wie die klassischen Parameter Übernachtungszahlen, Auslastung und monetäre Wertschöpfung. Eine umfassenden Pro- und Contra-Analyse der regionalen Effekte des Tourismus sollte zu einer Versachlichung der Debatte führen – und letztlich zu sinnvollen Maßnahmen.

MM: Lässt sich Ihrer Meinung nach die Zahl der Urlauber überhaupt kontrollieren? Schließlich genießen wir alle die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union?
Isenberg: Diese Freizügigkeit ist ein hohes Gut, das es unbedingt zu erhalten gilt. Wir glauben, dass ein effizienter Einsatz von Instrumenten zur Lenkung der touristischen Besucherströme notwendig ist, der aus einer Kombination von technologischen Lösungen, regulatorischen Maßnahmen, gezielten Marketingaktionen, einem spezifischen Infrastrukturausbau und politischem Gestaltungswillen besteht.

Ihlau: Voraussetzung ist der politische Entscheidungswille und die engagierte Mitwirkung der touristischen Stakeholder, zu denen Hoteliers, Handel, Restaurants, Reiseveranstalter, Fluggesellschaften, aber auch Flughäfen, Busunternehmen und viele andere gehören.

MM: Sie haben einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. Wie soll es weitergehen, auch für Sie?
Isenberg: Wir stehen mit unserer langjährigen Erfahrung im internationalen Tourismus bereit, gemeinsam mit den lokalen und regionalen Stakeholdern an konkreten Lösungen zu arbeiten. Erste Gespräche haben bereits stattgefunden.