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Wenn Steine sprechen könnten: Es ist eines dieser älteren traditionellen Häuser, wie man sie in Palma immer noch gelegentlich finden kann, mit Steinbalustrade auf dem Dach, dezentem Fassadenornament, traditionellen Klappläden und Balkongittern sowie - in diesem Fall tatsächlich eine Seltenheit - mit einem begrünten Vorgarten. Täglich fahren Tausende zumeist achtlos an dem Haus in der Avinguda Joan Miró vorbei. Das ist die Hauptverkehrsachse durch das El-Terreno-Viertel, hier schieben sich auch die Busse der Linie 3 in Richtung Cas Català und Illetes vorbei, von deren erhöhten Sitzen aus sich noch besser ein Blick hinter den altertümlichen Eisenzaun werfen lässt.

Das Gebäude, das heute die Hausnummer 110 führt, hatte - wie die gesamte Wohngegend - in besonderer Weise unter dem Bauboom leiden müssen, der das Viertel von den 1960er Jahren an erfasste. Denn ursprünglich war das Haus doppelt so voluminös gewesen. Dann wurde die Immobilie offenbar irgendwann aufgeteilt, die eine Haushälfte abgerissen und durch ein höheres Wohngebäude ersetzt. Zurück blieb die rechte Hälfte, die nach wie vor ein wenig Zeugnis von dem Glanz des einstigen Merresviertels ablegen kann. Denn bis der Paseo Marítimo im Jahre 1958 fertiggestellt wurde, befand sich das drei Stockwerke zählende Haus nur wenige Schritte entfernt vom Meer, Seeblick inklusive.

Was hat es mit dem Gebäude auf sich? Es handelt sich um das Überbleibsel der deutschen Pension Hiller, die in den 1930er Jahren an der dortigen Stelle zu finden war. Dass die Immobilie neu entdeckt wurde, ist dem mallorquinischen Lokalhistoriker Xavier Terrasa zu verdanken, der jüngst einen Bildband über das El-Terreno-Viertel veröffentlichte. Die Pension Hiller firmierte seinerzeit unter dem alten Straßennamen "Avenida 14 de Abril" und den Hausnummern 84-86. Terrasa gelang es sogar, eine alte Fotografie aufzutreiben, die den Namenszug des Übernachtungsbetriebes auf den beiden Eingangssäulen des Gartentores zeigt.

Anderweitige Forschungen ergaben, dass die Pension Hiller für die damalige Zeit als durchaus komfortable Unterkunft galt und mitunter illustre Gäste anzog. Bezeichnenderweise nächtigte im Juni 1934 Leni Riefenstahl in der Pension Hiller. Die Filmschaffende war ihren Memoiren zufolge zu jenem Zeitpunkt noch nicht von Hitler beauftragt worden, den NS-Reichsparteitag im kommenden September als Regisseurin auf Film zu bannen. Gleichwohl hatte sich Riefenstahl als skifahrende Schauspielerin in den damals beliebten Schnee- und Alpenfilmen international einen Namen gemacht, so dass selbst britische Inselmedien über ihren Aufenthalt in Palma berichteten.

Fest steht ferner, dass in der Pension Hiller - seinerzeit unerhört für Palma - Gymnastikkurse auf dem Dach angeboten wurden samt frischer Meeresbrise und, selbstredend, Meerblick. Nicht umsonst behauptete das Haus, mit seinem Standort in El Terreno an der, voilà, "Riviera" von Mallorca zu liegen.

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Die NS-Ortsgruppe Palma de Mallorca wusste ihrerseits den Salon des Familienhotels für Vorträge und Veranstaltungen zu nutzen, wie etwa im April 1933, als ein Redner zum Thema "polnischer Korridor" angekündigt wurde. Und auch die deutsche Schule in Palma wollte im Dezember desselben Jahres ihr Weihnachtsfest in der Pension ausrichten, verlagerte die Veranstaltung dann aber aufgrund der hohen Nachfrage in einen größeren Saal.

Wer waren die Hillers, die sich mit dem Betrieb eine Existenz auf Mallorca errichtet hatten? Hermann Hiller, geboren 1880 im mittelfränkischen Weißenburg, war einst Kapitän auf einem Handelsschiff gewesen, bevor er sich bereits 1931 mit Ehefrau Kathrin und den Töchtern Roswitha und Gisela in El Terreno niederließ und die Pension samt den 19 Fremdenzimmern eröffnete. Die kleine Gisela besuchte vermutlich die deutsche Schule, die 1932 erst im nahen Son Alegre und 1933 in El Terreno ihre Pforten öffnete. Im selben Jahr errang die Schülerin den zweiten Platz in einem Aufsatzwettbewerb, den die deutsche Wochenzeitung auf Mallorca, "Der Herold", ausgelobt hatte.

Die Pension hatte nicht ausschließlich deutsche Gäste im Blick, sondern war international ausgerichtet. In zeitgenössischen Anzeigen warb der Betrieb in Englisch für seine Dienstleistungen. Leser und potenzielle Urlauber konnten dann, frei übersetzt, erfahren, was das Haus alles bot: "Fließendes Wasser heiß und kalt, Zimmer mit privatem Bad, Zentralheizung, große Terrasse mit Seeblick, Sonnenbäder, weitläufiger Garten, exzellente Küche, jede Behaglichkeit eines guten Hotels zu moderaten Pensionspreisen".

Die Zimmerpreise für Vollpension "bei freiem Tischwein" betrugen in jenen Jahren zwölf Pesetas. Das Unternehmen lief offenbar gut, bis 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausbrach. Dann verließen die Hillers wie viele Tausend andere Deutsche fluchtartig die Insel.

Was aus der Familie wurde, ist nicht bekannt. Das Haus, das einst ihre Pension beheimatet hatte, ist heute - wenn auch nur noch als halbe Portion - vorhanden.

(aus MM 1-2018)