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Szene 1: Auf dem beliebten Naturstrand dröhnt ein schwerer Bulldozer, pflügt mit einen breiten Reifen durch den Sand, befördert mit seiner Schaufel Berge von abgestorbenen Seegrasresten in einen bereitstehenden Lastwagen. Das Bild von der Großbaustelle passt so gar nicht in die beschauliche Idylle des Playaabschnitts, aber so sieht es nun einmal aus, wenn kurz vor Saisonstart die Strände auf Mallorca von den als Unrat empfundenen "Algen" befreit werden. Die touristischen Besucher und auch die Einheimischen erwarten eben gepflegte, weiße Sandstreifen wie aus dem Katalog. Das ist verständlich. Aber auch nachhaltig?

Szene 2: Wer nach einem Samstag oder Feiertag in das Gewerbegebiet Son Valentí in Palma einbiegt, muss sich den Weg durch unzählige Plastikbecher, Plastiktüten und leere Flaschen bahnen. Am Abend zuvor hatten junge Insulaner dort wieder Party gefeiert und die Nacht zum Tag gemacht. In den Autos mit den Musikanlagen werden auch die Alkoholika und Mixgetränke aus dem Supermarkt mitgebracht, ebenso die gekauften Eiswürfel aus dem Massenbeutel. Nichts gegen junge Erwachsene, die gemeinsam feiern, insbesondere in einem Gewerbegebiet, wo sie keine Anwohner stören. Aber auf die Idee, die Abfälle wieder mitzunehmen und zu Hause zu entsorgen, kommt anscheinend niemand. Kann man die Vertreter dieser Generation für die Grundideen von Nachhaltigkeit gewinnen?

Die beiden ausgewählten Impressionen aus der jüngsten Inselrealität stellen einen konfliktreichen Kontrast zu dem Ziel der Balearen-Regierung, die Nachhaltigkeit der Insel als touristische Destination auszubauen.

Nachhaltiger Tourismus ist in diesen Tagen in vieler Munde. Die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, hat 2017 zum Internationalen Jahres des nachhaltigen Tourismus erklärt. Mallorca und die Schwesterinseln wiederum sind die einzige touristische Destination, die zur offiziellen Partnerregion des UNWTO-Jahres gekürt wurde. Unter diesem Motto zeigten die Balearen im März erstmals auch Flagge auf der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB), die neben dem World Travel Market von London und der Fitur von Madrid zu den bedeutendsten Tourismusmessen der Welt zählt.

Dem Thema "Nachhaltigkeit" wird für das Image des Archipels als touristische Destination hohe Bedeutung zugemessen. "Nachhaltigkeit ist nicht einfach nur eine Frage des Labels, sie ist von vitaler Bedeutung für ein Reiserziel", sagt Pere Muñoz, Direktor des balearischen Tourismusamtes (ATB) und Architekt der neuen strategischen Ausrichtung in Sachen Nachhaltigkeit. Auch die Marschroute hat der Politiker bereits abgesteckt: "Die Balearen waren im 20. Jahrhundert Pioniere der Tourismusindustrie. Im 21. Jahrhundert müssen wir nun Pioniere für touristische Nachhaltigkeit sein."

Muñoz versteht darunter nicht nur einen schonenden Umgang mit den natürlichen und landschaftlichen Ressourcen der Insel, sondern auch eine Lenkung des Besucherstromes, um ihn gleichmäßiger über das ganze Jahr zu verteilen. Realistische Begrenzungen, weniger Spitzenwerte im Hochsommer und stattdessen mehr Urlauber im Winter, das wäre eine Ausgewogenheit, die der Nachhaltigkeit der Insel entgegenkommen würde, glaubt Muñoz. Auch zum Wohle der Inselbevölkerung. Die Verringerung der saisonalen Schwankungen würde die Qualität der Arbeitsplätze im Tourismus verbessern.

Mallorca als nachhaltige Tourismusdestination - ist das realistisch? "Wir sind derzeit definitiv kein nachhaltiges Zielgebiet", sagt der balearische Wirtschaftswissenschaftler Antoni Riera im MM-Interview. Dazu müsste sich umweltpolitisch und volkwirtschaftlich viel ändern. Und selbst wenn der Wandel jetzt einsetzen würde, würde es mindestens acht Jahre benötigen, um die ersten positiven Resultate registrieren zu können.

Mallorca als Wiege des Massentourismus - lässt sich das traditionelle Wirtschaftskonzept überhaupt mit einem Tourismus der Nachhaltigkeit vereinbaren? "Es gibt da keinen generellen Widerspruch", sagt Hartmut Rein, Professor für Destinationsmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Nach seinen Worten ist es etwa viel einfacher, eine Kläranlage für einen intensiven genutzten Touristenort zu entwerfen als für 150 verstreut im Land liegende Hotels.

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Ähnlich sieht das Harald Zeiss, der an der Hochschule Harz unter anderem Nachhaltigkeitsmanagement in der Tourismusindustrie lehrt. "Im Gegenteil", antwortet der Professor auf die Frage, ob Massentourismus und nachhaltiger Tourismus nicht einen unüberbrückbaren Gegensatz darstellen. Nach Zeiss' Worten sind die Emissionsbelastungen durch etwa eine Gruppe Kegelfreunde, die ihre Ferien in einem Strandhotel verbringen und an der Playa abfeiern, geringer, als wenn Urlauber mit dem Mietwagen quer über die Insel Golfplätze und Edelrestaurants aufsuchen.

Gleichwohl sieht Harald Zeiss bei Mallorca ein riesiges Potenzial, sich zu einer nachhaltigen Tourismusdestination entwickeln zu können. Gerade die Insellage, die die Landfläche überschaubar und kontrollierbar mache, bietet sich nach seinen Worten an, dieses Ziel anzupeilen. Mit der Steuer für nachhaltigen Tourismus habe die Balearen-Regierung erste Schritte in diese Richtung eingeleitet. Hinzu kommen die bereits in der Vergangenheit ausgewiesenen Naturparks. Ein Fehler sei indes, dass der Umbau der Playa de Palma zu einer modernen Destination mit neuen Grünzonen und einer elektrischen Straßenbahn auf Eis gelegt wurde. "Aber es lohnt sich, in Nachhaltigkeit zu investieren, weil man dadurch an den Folgekosten einer negativen Entwicklung spart."

Wann könnte sich Mallorca tatsächlich als nachhaltige Tourismusdestination bezeichnen? "Wir arbeiten daran, und es sind schon Schritte erfolgt", sagt ATB-Direktor Muñoz. Viele Privatunternehmer haben nach seinen Worten in technische Neuerungen investiert, um Strom und Wasser einzusparen; und das Bewusstsein um die Verantwortung der Kohlendioxidemissionen nehme ebenfalls zu. Seitens der Balearen-Regierung verzichte man von nun an gänzlich darauf, für Mallorca als Sommerdestination zu werben. Ziel sei es, Besucher für die Angebote der kühleren Jahreszeit auf der Insel zu gewinnen. "Die Herausforderung sind groß, aber wir gehen sie an."

Würde eine derart nachhaltig gestaltete Insel noch attraktiv sein, um Besucher anzulocken? Die Reisebranche sieht tatsächlich Potenzial für Kundschaft. "Es gibt eine immer größere Gruppe von Menschen, denen es wichtig ist, mit gutem Gewissen Urlaub zu machen", sagt Professor Rein aus Eberswalde. Ihr Anteil wird allein in der deutschen Bevölkerung auf 30 Prozent geschätzt. Die Marktforscher haben dieser Konsumentenschicht den Namen "Lohas" gegeben. Er steht für "Lifestyle of health and sustainability", also Lebensstil für Gesundheit und Nachhaltigkeit. Das sind Verbraucher, die bevorzugt in Bioläden einkaufen, Elektroautos gutheißen, Ökostrom beziehen und eine Wellness-orientierte Lebensweise mit Sport und Ausgleichsharmonie betreiben. Gerade für diesen Konsumentenkreis könnte die Insel etwa mit der Tramuntana-Region viele Angebote bereithalten.

Harald Zeiss hält die Nachfrage nach einem nachhaltigem Mallorca derzeit noch für klein, "allerdings wächst die Nachfrage immer mehr". Der Professor rät indes, den Weg der Insel in die Nachhaltigkeit nicht an einer bestimmten Zielgruppe auszurichten, sondern "Teil der eigenen DNA zu machen, weil man dann überzeugt ist, dass es der Insel und ihren Bewohnern gut tut".

Einig sind sich beide Professoren, dass der Wandel nur dann überzeugen kann, wenn den Ankündigungen auch Taten folgen. "Es kommt darauf an, wie die Mittel aus der Ökosteuer eingesetzt werden", sagt Professor Rein. Die Errungenschaften seien zudem zu kommunizieren - etwa durch einen Hinweis: Finanziert durch Ecotasa.

"Das Thema Nachhaltigkeit müsste idealerweise bei allen politischen Parteien Konsens sein", gibt Harald Zeiss zu bedenken. Für wichtig halten beide Professoren, die Bevölkerung in den Wandel einzubinden. Hartmut Rein schlägt neben Marketingkampagnen auch Wettbewerbe vor: "Mallorca ist eine Insel mit Windmühlentradition. Warum lobt man nicht einen Designwettbewerb für Studierende der Ingenierwissenschaften aus, das schönste Windrad zu entwerfen, mit dem sich auf den alten Mühltürmen Energie erzeugen ließe?!"

(aus MM 10/2017)