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Der Ostermontag des Jahres 1912 war ein windiger Tag in Palma. Keine idealen Bedingungen also für das Unterfangen des damals 18-jährigen Simón Febrer. Der - wie historische Fotos belegen - mit einem prachtvoll gezwirbelten Schnauzbart ausgestattete Radrennfahrer aus Felanitx hatte sich für diesen Tag Großes vorgenommen: In Palmas Velodrom „El Tirador" wollte er einen neuen Geschwindigkeitsrekord über 100 Kilometer aufstellen. „Dass dieser Versuch fehlschlug, lag ohne Zweifel an dem starken Wind", berichtete die Presse anschließend.

Simón Febrer war einer der ersten „Steher" auf Mallorca. Er gehörte also zu der besonders wagemutigen Spezies Radrennfahrer, die im Windschatten von Motorrädern in selbstmörderischem Tempo unter frenetischen Anfeuerungen des Publikums immer neue Geschwindigkeitsrekorde jagten. Diese Art Spektakel gehörten auf Mallorca lange Zeit zu den populärsten Sportveranstaltungen. Tausende Zuschauer verfolgten auf der Insel bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts solche Steherrennen.

Die dröhnenden Motoren und die hohen Geschwindigkeiten machten den Sport zu einem außergewöhnlichen Wochenendvergnügen für das Bürgertum. Hohe Wetten auf den Ausgang der Rennen sorgten für zusätzlichen Nervenkitzel.

Radrennfahrer und insbesondere die Steher galten lange Zeit als die wagemutigsten Sportsmänner, die die Insel hervorbrachte. Nicht selten kam es zu schweren Unfällen, hin und wieder gar mit Todesopfern. Nur die Toreros in den Stierkampf-arenen genossen ein noch höheres Ansehen, beobachtete etwa der englische Schriftsteller Robert Graves, der die goldenen Jahre des Radsports auf Mallorca im ersten und zweiten Drittel des vergangenen Jahrhunderts miterlebte und literarisch verarbeitete.

Diesen Ruhm begründeten Leute wie Simón Febrer. Er war der erste Mallorquiner, der als Steher die spanische Meisterschaft gewinnen konnte - und das gleich mehrfach. Von 1914 bis 1918 holte er den Titel. Ihm folgte eine ganze Reihe weiterer mallorquinischer Rennfahrer, die fleißig nationale und internationale Titel sammelten und so bis in die 80er Jahre Mallorcas Ruf als Hochburg des Steherrennsports fortdauern ließen.

Der erfolgreichste Vertreter ist zweifellos der heute 85-jährige Guillem Timoner aus Felanitx, der in seiner Karriere insgesamt sechsmal Steherweltmeister wurde, unter anderem 1960 in Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt).

Diese erfolgreichen Zeiten liegen jedoch weit zurück. Schon seit rund 20 Jahren finden auf der Insel keine Steherrennen mehr statt. Eines der letzten, wenn nicht das letzte Rennen dürfte der Auftritt des Schweizers Max Hürzeler gewesen sein. Der wurde im Jahr 1987 Steherweltmeister und widmete sich dann auf Mallorca dem Radtourismus. Im Jahr 1988 nahm er an einem Steherrennen im Velodrom von Son Moix teil, wie er sich erinnert: „Das könnte das letzte Rennen dieser Art auf Mallorca gewesen sein."

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Der Abstieg des Sports war nicht auf die Insel beschränkt, mittlerweile gibt es nur noch in wenigen Ländern aktive Sportler, Weltmeisterschaften, die seit 1895 ausgetragen wurden, finden seit 1994 nicht mehr statt. Zumindest auf Mallorca soll die Tradition nun wieder aufleben. Der Radsportklub Establiments hat für das kommende Wochenende eine Showveranstaltung organisiert.

Auf die Bahn gehen dann unter anderem der Mallorquiner Toni Mora und der Deutsche Jan Eric Schwarzer. Mora war besonders in den 70er Jahren als Schrittmacher erfolgreich, Schwarzer fährt noch heute Steherrennen und war im Jahr 2007 gar deutscher Meister in dieser Disziplin.

Am vergangenen Freitag probten sie ihren Auftritt in der Palma Arena, denn das Zusammenspiel des Schrittmachers auf dem Motorrad und des Stehers auf dem Rennrad muss klappen, wenn es mit 70 Stundenkilometern oder mehr um die Kurven geht. Kommandos, die der Steher gibt, sind international: „Aeaeae" heißt so viel wie „gib Gas", „ououou" bedeutet „mach langsamer".

Damit die Zurufe nicht im Motorenlärm untergehen, trägt Mora einen Spezialhelm, dessen Ohrschutz nach hinten geöffnet ist. Bei Höchstgeschwindigkeit kommt es dann vor allem auf Konzentration an: Der Steher versucht, so nah wie möglich am Hinterrad des Motorrads zu fahren und damit optimal den Windschatten zu nutzen.

Aus Sicherheitsgründen ist am hinteren Teil des Motorrads eine sogenannte „Rolle" angebracht, damit der Rennfahrer nicht allzu nah auffahren kann. Berührt er die „Rolle" aus Versehen, stürzt er nicht, da sich diese mitdreht. „Du darfst keine Angst haben", sagt Schwarzer. Wer zu viel nachdenkt, riskiere, dass der Abstand zum Schrittmacher zu groß wird und der Windschatten verloren geht.

Damit er möglichst viel Fahrtwind abfängt, trägt Mora einen besonders weit geschnittenen Lederanzug, außerdem fährt er in aufrechter Position - zu diesem Zweck ist das Motorrad mit speziellen Trittflächen, Lenker und Sattel ausgerüstet.

Da der Schrittmacher auf der Maschine zu stehen scheint, vermuten Laien hin und wieder, er sei der eigentliche Steher, nach dem der Sport benannt ist. Das aber ist falsch: Der Steher ist der Radrennfahrer, wobei der Namensgebung eine fehlerhafte Übersetzung aus dem Englischen zugrunde liegt. Der dort gebräuchliche „Stayer" kommt vom Verb „stay" im Sinne von „durchhalten". In dem Begriff „Stehvermögen" ist dieser Zusammenhang in die deutsche Sprache eingegangen.

Mora und Schwarzer haben ihre Trainingsrunden derweil beendet und sind offenbar zufrieden mit der deutsch-mallorquinischen Zusammenarbeit. Dass die auf Anhieb so gut klappt, dürfte auch daran liegen, dass die beiden nicht mit widrigen Witterungsverhältnissen zu kämpfen haben: Palmas Velodrom ist überdacht und damit geschützt vor Wind und Regen.