Zusammen mit seinen drei Hunden lebt Jens an der Playa de Palma in einer selbstgebauten Unterkunft. | privat

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Sintflutartige Regenfälle und heftige Unwetter haben die Menschen auf Mallorca in den vergangenen Wochen beschäftigt. Wer konnte, machte es sich zu Hause gemütlich und war froh, es trocken und warm zu haben. Doch wie mag es jemandem ergangen sein, der kein festes Dach über dem Kopf hat? Jens, der seinen Nachnamen nicht in den Medien lesen möchte, lebt in einer Hütte zwischen den Hotelreihen der Playa de Palma: "Ich kenne den Regen hier. Als ich das Haus gebaut habe, habe ich extra den Boden um 15 Zentimeter aufgeschüttet. Die Terrasse stand unter Wasser, aber innen ist es trocken geblieben", erzählt der 42-Jährige in dem neuen Podcast „Gestrandet – Last Exit Mallorca”, der sich um deutsche Obdachlose und Aussteiger dreht. „Manche Leute sagen von mir, ich sei obdachlos. Ich würd’ eher sagen, ich bin Überlebenskünstler.”

Es ist nicht nur Jens’ Geschichte, sondern auch dessen Art, die Nicolas Reckel begeistert hat. Der Medienschaffende wurde über eine Stern TV-Reportage auf Jens aufmerksam, die im Juli vergangenen Jahres ausgestrahlt wurde. „Er hat mein Schubladendenken über Obdachlose aufgebrochen”, erzählt Reckel. Und danach wusste er: „Ich will mich mit Jens unterhalten”, also machte er sich auf die Suche nach ihm. Reckel sah sich ganz genau die Reportage an, um Jens’ Wohnort lokalisieren zu können. Als ihm klar wurde, dass dieser irgendwo an der Playa de Palma leben muss, lauerte er tagelang am Strand in der Hoffnung, ihn zufällig zu treffen.

ens nutzt eine Campingdusche in seinem Garten, um sich sauberzumachen (l.).

Glücklicherweise erzählte Reckel einem Bekannten, der in einem Restaurant an der Playa arbeitet, von seinem Vorhaben. „Ach, der kommt dreimal in der Woche zu uns!”, entgegnete der Kellner. Endlich traf Reckel auf Jens, die Beiden machten sich bekannt und es folgten unzählige Besuche und Gespräche, bei denen sie sich näher kennenlernten. Als Reckel ihm die Idee eines gemeinsamen Podcasts unterbreitete, war Jens Feuer und Flamme. „Manchmal schreibt er mir sogar nachts um zwei Uhr Nachrichten, weil ihm noch etwas einfällt, das er erzählen könnte”, so Reckel. „Mir geht das Herz auf, wenn ich mit Jens arbeiten kann”, schwärmt er von dessen lustigen und offenen Art.

Acht Jahre lang war der Überlebenskünstler auf einem Grundstück an der Playa de Palma geduldet worden, dort hatte er sich ein kleines, aber stabiles Haus gebaut, in dem er gut leben konnte. Jens hatte eine Campingdusche im Garten und eine Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach installiert, die sein Häuschen mit Strom versorgte. Doch dann rückten im vergangenen Jahr Bagger auf dem Grundstück an und Jens musste in nur zwei Tagen sein Zuhause räumen. Aktuell haust er in einem Provisorium zwischen den Hotels der Playa de Palma und hält Ausschau nach einem neuen Platz, auf dem er sich für die kommenden Jahre niederlassen kann.

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Der Podcast ist ein Gespräch, das fast wie eines unter zwei Freunden klingt, bei dem man Mäuschen spielen darf. Mal ist es ernst, mal lustig, auch nachdenklich oder kritisch, aber vor allem eins: menschlich. „Wie oft habe ich bei den Aufnahmen selber ein Lächeln im Gesicht?!”, staunt Reckel. Er gibt im MM-Interview einen kleinen Ausblick auf die nächsten Folgen, in denen Jens der Protagonist sein wird. Wie dieser zum Beispiel zwei Männer bei sich aufnimmt, die an der Playa de Palma beklaut wurden. „Die am wenigsten haben, geben am meisten”, kommentiert Reckel seine Beobachtungen. Oder auch, wie ein Leben ohne medizinische Versorgung aussehen kann, denn Jens bekommt keinerlei staatliche Hilfe und ist deshalb auch nicht in der gesetzlichen Sozialversicherung in Spanien registriert. Wegen eines Hüftschadens musste er vor einigen Jahren nach Deutschland zurück, um sich dort operieren zu lassen.

Dabei ist Jens eigentlich gelernter Koch, was nicht nur sein Beruf, sondern auch „Berufung” ist, wie er selbst sagt. Doch als sein Vater stirbt, rutscht er ab. Alkohol, Drogen, keinen Halt im Leben. Seine Leidenschaft pflegt er aber noch immer. In seiner Behausung kocht er gerne für Freunde und bewirtet Besuch. Ein Braten? Kein Problem. Seinen Lebensunterhalt finanziert er mit Spenden, die er vor Supermärkten ergattert, oder auch von kleinen Einnahmen für seine Straßenkunst. Sandburgen bauen, kleine Kunstwerke aus Draht formen, Seifenblasen machen und Ballontiere für Kinder anfertigen – jeder Euro zählt. Seinen Hausrat sucht er sich aus dem Müll zusammen.

Nicolas Reckel (l.) und Jens bei den Podcastaufnahmen in dessen Behausung.

Doch der 42-Jährige ist nicht der einzige, der viel zu erzählen hat. Reckel hat viele Menschen kennengelernt, die er in seinem Podcast zu Wort kommen lassen möchte. Zum Beispiel einen Mann, der auf der Straße lebt und Leukämie hat. Oder ein anderer Deutscher, der vier Wochen lang am Flughafen von Mallorca geschlafen hat und ebenfalls auf der Straße lebt. Laut Jens sind Schicksale wie diese manchmal gar nicht mit dem bloßen Auge zu erkennen: „Man glaubt gar nicht, wie viele Menschen hier ab und zu auf der Straße leben, weil sie sich keine Wohnung leisten können. Die schlafen einfach auf der Parkbank, ziehen sich morgens an, machen sich frisch und gehen zur Arbeit.”

Der Podcast „Gestrandet – Last Exit Mallorca” erscheint immer mittwochs überall, wo es Podcasts gibt, unter anderem bei Spotify, Apple Podcasts, Amazon, Google und Podimo.