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Endlich stellt jemand den Motor ab. Sowohl bei dem Kleinbagger als auch bei dem winzigen Kipptransporter. Die Dieselabgase verziehen sich, und mit der Stille, die eintritt, ist plötzlich das Schaben und Kratzen der vielen Kellen zu hören, die das Erdreich in Handarbeit abtragen und vorsichtig die Knochen freilegen. Der Untergrund ist angefüllt mit Gebeinen, hier und dort ragt ein rundliches Gebilde aus dem Erdreich. Jeder dieser Totenschädel lässt klar erkennen: Hier waren Menschen achtlos in Erdlöcher geworfen worden, Körper über Körper, kreuz und quer, und dann kam wieder Erde über die Toten. Und Schweigen. 80 Jahre lang.

Seit Mitte vergangener Woche sind bis zu 20 Mitarbeiter der Spezialfirma Arazandi aus dem Baskenland damit beschäftigt, auf dem Friedhof von Porreres ein Massengrab Schicht für Schicht abzutragen. Die sterblichen Überreste stammen von Menschen, die während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) von den Franquisten bei Nacht-und-Nebel-Aktionen direkt neben dem Friedhof erschossen worden waren. Es handelte sich um politische Gefangene, Anhänger der Republik, die angeblich aus der Haft entlassen worden waren, in Wirklichkeit jedoch in Gruppen von drei bis sieben Personen nach Porreres gekarrt und dort liquidiert wurden. In dem Massengrab werden bis zu 120 Hingerichtete vermutet, aus vielen Orten der Insel, wie Memòria de Mallorca, der Verein zur Aufarbeitung der Geschichte, ermittelt hat.

Zu den Arazandi-Mitarbeitern haben sich Freiwillige aus Mallorca gesellt. Das Team besteht aus Archäologen, Gerichtsmedizinern, Genetikern. Während die einen die entdeckten Skelette zum Schluss mit Bürsten und Pinseln freilegen, durchsieben andere den Erdaushub aus dem Umfeld des Körpers. Es soll kein Knochenteil verloren gehen, und sei es ein Fingergelenk. Bei diesem Vorgang kommt mitunter die Kugel zum Vorschein, die das Leben des Individuums auslöschte. Auch persönliche Habe findet sich: Knöpfe aus Perlmutt, Gürtelschnallen, Schuhreste, ein Löffel, eine Konservendose, ein Kruzifix. Die Funde zu jedem Skelett werden mit den Knochen in Plastiktüten verwahrt und dokumentiert. Ziel ist es, die sterblichen Reste nach einem DNA-Abgleich den Angehörigen auszuhändigen, damit diese ihre Toten würdig bestatten können.

Lourdes Herrasti war im Jahre 2000 dabei, als bei León erstmals ein Massengrab aus dem Bürgerkrieg geöffnet wurde. Seitdem barg ihr Arbeitgeber spanienweit die sterblichen Überreste von 8000 Kriegsopfern. In Porreres kamen bis Mitte vergangener Woche 30 Tote zum Vorschein, bisher nur Männer, obgleich in dem Erdloch auch einige Frauen wie die Kommunistin Aurora Picornell verscharrt sein sollen. Doch ein Teil der Totenstätte ist in den 1950er Jahren mit Nischengräbern überbaut worden, so dass der dortige Untergrund gar nicht abgesucht werden kann. Einzig der Grünbereich an den Rändern wird ausgehoben.

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In einem Zelt am Rande des Friedhofs analysiert Herrasti die geborgenen Skelette, bestimmt Geschlecht, Alter, Krankheitsmerkmale und Todesursache. Ihre Kollegin hält ein Projektil in die Höhe: Der Kupferanteil ist grünlich oxidiert.

Die Todesursache ermitteln? Wurden die Männer nicht einfach an die Wand gestellt und erschossen? "Nein", sagt Herrasti, "das waren keine Erschießungen, sondern Exekutionen." Die Eintritts- und die Austrittsöffnungen in den Schädeln lassen erkennen: Die Opfer wurden entweder durch einen Schuss in die Schläfe oder in den Hinterkopf getötet. "Einer nach dem anderen."

Täglich besuchen Angehörige die Ausgrabungsstätte, am vergangenen Wochenende erschienen auch die höchsten Inselpolitiker. Die Balearen-Regierung unterstützt die Suche nach den Toten mit 95.000 Euro. "Wir möchten diese Menschen, die die Freiheit verteidigten, nicht vergessen", sagte Ministerpräsidentin Francina Armengol.

Im Stillen verfolgte am Dienstag vergangener Woche auch Joan Lacomba die Arbeiten. Zuvor hatte der 82-Jährige eine Speichelprobe abgegeben, in der Hoffnung, den Cousin seines Vaters zu finden. Der 27-jährige Fischer war 1937 erschossen worden. Zuvor hatte er im Gefängnis Lesen und Schreiben gelernt. Seinen Angehörigen schrieb er Karten, die stets endeten mit "und einen Kuss für den Kleinen". Gemeint war der damals zwei Jahre alte Joan Lacomba. "Er hatte also stets auch an mich gedacht", sagt der Senior, "so stehe ich in seiner Schuld." Dass die Suche nach den Toten begonnen hat, bedeutet für ihn vor allem eines: "Die offizielle Anerkennung, dass diese Leute nicht entlassen wurden, wie es immer hieß. Sondern: Sie wurden hier umgebracht."

(aus MM 46/2016 – die Suche wurde seitdem fortgesetzt, es wurden insgesamt über 40 Skelette geborgen)