Gesehen hat sie kaum jemand, aber es gibt sie tatsächlich: Bis zu acht Mühltürme ragen an der höchsten Stelle in Inca in den Himmel. Die antiken Bauwerke bilden ein beeindruckendes Ensemble, mit ihrem zum Teil edel hergerichteten Anwesen samt Gärten, altem Baumbestand und Pools, inklusive einem traumhaften Weitblick über das grüne Vorland mit dem sich majestätisch dahinter erhebendem Tramuntana-Gebirge.
Größer könnte der Kontrast zu dem ebenso stillen wie beschaulichen Mühlenviertel von Inca nicht sein, wenn einmal im Jahr der Dijous Bo in der Stadt zelebriert wird. (In diesem Jahr fiel das Fest auf den 13. November). Zu diesem Markttag im Zentrum von Mallorca geben sich Hunderttausende ein Stelldichein in Inca. Die Zahl der Menschen in der Stadt kann dann, selbst bei einem traditionell meist verregneten "guten Donnerstag", so die Übersetzung zu Dijous Bo, von 31.000 auf 310.000 steigen.
Staus und Behinderungen sind dann inselweit vorprogrammiert, auch wenn die Bahngesellschaft statt der üblichen sechs Direktzüge zwischen Palma und Inca gleich 20 Verbindungen auf die Schiene bringt. Das Rathaus weist ganze Wohngebiete und Wiesengrundstücke als Parkplätze aus, um den Besuchermassen und ihren Fuhrparks Herr zu werden.
Da ist es wenig hilfreich, dass das Parkhaus, das vor elf Jahren auf der Plaza Mallorca errichtet wurde, derzeit geschlossen ist. Der Streit mit dem Betreiber um Bauschäden zieht sich seit Langem hin, zuletzt wurde sogar das Licht abgedreht, das nach wie vor als "Baustrom" bezogen wurde. Nun will die Stadt die Tiefgarage künftig in Eigenregie betreiben, und muss wohl auch die Sanierung von geschätzten 600.000 Euro schultern.
Inca, so scheint es, ist reich an Projekten, die nur mit extremen Geburtswehen das Licht der Welt erblickten. Die überdachte Schwimmhalle ist so ein Fall, auch hier gab es Zoff mit dem Betreiber und geschlossene Pforten. Bei der städtischen Markthalle im Zentrum, die mit ihrer ausgewiesenen Holzkonstruktion und Tiefgarage sehr passabel ausgefallen ist, hatte sich die Inbetriebnahme wegen nicht eingehaltener Baumaße und technischer Mängel um fünf Jahre bis 2010 verzögert.
Ganz zu schweigen von einem nördlichen Stadtring, der bereits in den 1980er Jahren projektiert und begonnen worden war, an einigen Stellen aber nicht vollendet wurde. Aus diesem Grund quälen sich in Inca die unterschiedlichen Durchgangsverkehre nach Lloseta, Mancor, Selva und Kloster Lluc wie durch ein Nadelöhr. Aus diesem Grund will der Inselrat mit Geld aus Madrid nun eine völlig neue Nordvariante errichten, mitten durch das an Schäferidylle anmutende Umland, mit einer Fahrspur in jede Richtung, weiteren Spuren an parallelen Zubringerstraßen und gleich sieben Verkehrskreiseln samt Laternenorgie.
Oppositionsparteien und Umweltschützer prangern das Vorhaben als vollkommen überzogen und landschaftszerstörerisch an. Sie schlagen alternative Eingriffe in der Stadt sowie einen Tunneldurchstich zwischen den Schulen und dem Sportgelände am Ortsrand vor, doch dafür ist in Madrid keinerlei Geld vorgehalten. Allerdings hat das Rathaus angesichts der massiven Kritik den Inselrat als Straßenbaubehörde jüngst um eine Überarbeitung des Vorhabens gebeten, womit der unmittelbare Baubeginn zunächst verschoben sein dürfte.
Doch neben zahlreichen abgestorbenen Palmen im Stadtbild, einer vor den letzten Wahlen versprochenen (aber nie realisierten) Fertigung von Modulen für Erneuerbare Energien und einer seit zwei Jahren defekten Kirchturmuhr (die nur noch einen Zeiger aufweist), gibt es in Inca aber durchaus auch sehr Vorzeigbares: Die Fußgängerzone, die vor gut einem Jahrzehnt in der Querachse der Stadt vom Bahnhof bis zur Kirche eingerichtet wurde, mit neuem Pflaster, Bäumen und einheitlichem städtischen Mobiliar, hat den Ort auch außerhalb der Dijous-Bo-Markttage zu einer attraktiven Einkaufsmeile gemacht. "Vor 20 Jahren gab es hier nur einen Bekleidungsladen, heute scheint die ganze Einkaufsstraße aus ihnen zu bestehen", sagt eine Unternehmerin. Gleichwohl vermisst sie Leben in der Stadt, Angebote für junge Menschen, Kultur und Freizeit. So sehen das viele: "Es gibt kein Kino, kein Theater, keine Diskothek", klagt eine junge Friseurin.
"Inca ist auf dem besten Weg, zur Schlafstadt zu verkommen", mahnt ein Oppositionspolitiker. Mit dem Schwund der Schuhindustrie sowie dem Niedergang des Baugewerbes seien viele Arbeitsplätze verloren gegangen. "Wir haben 3000 Arbeitslose." Wer kann, sucht sich Jobs in Palma oder im Tourismus im Norden der Insel und pendelt.
Die Wirtschaftskrise hat Inca nicht ausgelassen. Wer sehenden Auges durch das Zentrum läuft, sieht viele geschlossene Geschäfte, zum Verkauf stehende Wohnungen, unbewohnte oder gar verfallene Häuser. In den Gassen links und rechts der Kirche ist neben Mallorquinisch häufig auch Arabisch zu hören. Und in der einstigen Hochburg des Lederhandwerks sind Läden mit Schuhen aus China zu finden.
Unterkriegen lassen von den Problemen wollen sich die "Inquers" indes nicht. "Wir haben viel Potenzial in den Bereichen Handel und Kultur. Da müssen wir Zeichen setzen", sagen Unternehmer und Politiker, die sich der Schwierigkeiten bewusst sind. Sie verweisen auf das vorbildlich sanierte Dominikaner-Kloster. In dem historischen Bau von 1687 sind seit 2003 städtische Bürgerbüros, eine stattliche Bibliothek und Ausstellungsräume zu finden. Auch das 2010 eröffnete Schuhmuseum soll jetzt von einer neuer Direktorin mit mehr Leben erfüllt werden. In diesem Jahr zählte es bereits über 7000 Besucher.
Und derzeit wird das 1913 errichtete Theater und Kino, das lange geschlossen war, saniert. Doch schon gibt es wieder technische Probleme. Und die Stadt muss sich ranhalten. Werden die Bauarbeiten bis Juni 2015 nicht fertig, verliert Inca den 50-Prozent-Zuschuss aus dem Fördertopf der Europäischen Union.
(aus MM 46/2014)
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