Tomeu aus Binissalem ist die wohl populärste Schnecke in der Geschichte Mallorcas. War, muss es richtigerweise heißen, denn Tomeu ist vor vier Jahren gestorben. Berühmt gemacht hat ihn sein linksdrehendes Gehäuse. Wegen dieser Besonderheit, die ihn von 99,9 Prozent aller anderen Schnecken unterscheidet, reiste er 2016 nach Großbritannien, um an einem Forschungsprogramm der Universität von Nottingham teilzunehmen. Dank Tomeu und anderer Schnecken scheinen die Genetiker Angus Davison und Philipe Thomas ein Gen entdeckt, das die Linksprägung bestimmt.
Bei der Forschungsarbeit ging es freilich um weit mehr als nur um Weichtiere. „Sie kann uns helfen zu verstehen, wie die rechte und linke Seite des Körpers von Tieren, einschließlich des Menschen, bestimmt ist. Die Arbeit wäre ohne die Hilfe der Leute auf den Schneckenfarmen in Spanien (auch die von Tomeu) und des französischen Schneckenzüchters nicht möglich gewesen“, sagt Davison über die Forschung.
Die große Reise der kleinen Schnecke aus Binissalem lag eine Partnersuche zugrunde. Davison hatte gerade eine internationale Kampagne gestartet, um einen linksdrehenden Gefährten für seine ebenfalls linksdrehende Weinbergschnecke Jeremy zu finden. Denn um das genetische Rätsel zu lösen, musste Jeremy Nachwuchs zeugen. Das Problem: Bei Schnecken mit linksdrehendem Gehäuse liegen auch die Genitalien auf der anderen Seite, so dass sie sich nicht mit rechtshändigen Schnecken fortpflanzen können. Und da auf eine Million Rechts-Schnecken geschätzt eine Links-Schnecke kommt, startete Davison eine internationalen Aufruf.
Zu seinem Glück entdeckte der mallorquinische Schneckenzüchter Miquel Salom auf seiner Farm in Binissalem ein Exemplar mit denselben Merkmalen. Er nannte ihn Tomeu und schickte ihn per Kurier an die Universität von Nottingham.
Tomeu war der erste „Freund“ der britischen Schnecke, mit der er Hunderte von Kindern hatte, die alle Rechts-Exemplare waren. Kurze Zeit später kam ein zweites Exemplar, Lefty, an die Universität, mit dem Tomeu sich weiter fortpflanzte. Alle seine Nachkommen waren wiederum Rechts-Schnecken. Nach dem Tod von Tomeu wartete der Wissenschaftler darauf, die nachfolgenden Generationen zu analysieren, um herauszufinden, ob sie, wie er vermutete, Träger eines rezessiven Gens sein könnten. Schließlich trug die Arbeit dank der Einbeziehung linkshändiger Exemplare von einem französischen Züchter Früchte.
Im März 2021 wurde im Labor die erste linkshändige Schnecke geboren. Ihre Eltern sind Träger eines „teilweise penetranten rezessiven Linksgens“. Diese Geburt hat die Forschung auf den Kopf gestellt, die bis dahin angenommen hatte, dass der Spiegeleffekt auf einen „Entwicklungsunfall“ zurückzuführen sein könnte. „Mein Ziel ist es, dieses Gen zu identifizieren. Wenn das gleiche Gen auch in unserem Körper vorkommt, könnte es dazu beitragen, die Asymmetrie unseres Körpers zu verstehen“, sagt Davison. Und Tomeu würde das gleiche Gen haben.
Nach Jeremys Tod nahm die kleine mallorquinische Schnecke an einem internationalen Wettbewerb teil, bei dem fünf seltene Tiere als Kandidaten für die Entschlüsselung ihres Genoms ausgewählt wurden. Obwohl seine Kandidatur international viel Unterstützung erhielt, verlor er am Ende gegen einen Katzenhai.
Tomeu starb im Oktober 2018. Sein Körper wurde bei minus 40 Grad Celsius für zukünftige Forschungen eingefroren, sein Schneckenhaus kehrte nach Mallorca zurück und wird seither in einer Plexiglas-Urne in der Schneckenfarm Caragolera in Binissalem ausgestellt, die im kommenden Dezember ihre Pforten für immer schließt.
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.