Schüler Marvin Bonitz (l.) und Joe Notebaert im Dojo in El Toro. | mallorcabjj.com

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Es ist ein Abend in der Welt des Kampfsportes, der Geschichte geschrieben hat. Am 12. November 1993 wird in den USA im Rahmen der Ultimate Fighting Championships zum ersten Mal überhaupt die Kampftechnik gesucht, die allen andern Stilen überlegen ist.

In einem K. O.-System treten Sumo-Ringer gegen Boxer, Taekwondo-Meister gegen Karatekämpfer oder Allrounder gegen Kickboxer an. Das Leichtgewicht und gleichzeitig der Außenseiter an diesem Abend kommt aus Rio de Janeiro in Brasilien und heißt Royce Gracie. Der junge Mann tritt mit der damals noch sehr unbekannten Kampftechnik „brasilianisches Jiu-Jitsu” gegen einen Profi-Boxer an. Nach nur zwei Minuten liegt der behandschuhte Mittelgewichtler am Boden und klopft auf der Matte ab. An diesem Abend dominiert Gracie jeden Kampf und wird der erste UFC-Champion. Heute, 29 Jahre später, hat sich brasilianisches Jiu-Jitsu nicht zuletzt durch diese historische Nacht über die ganze Welt verbreitet.

Auf der Matte wird hier ein sogenannter „arm log” geübt. Dabei versucht man den Gegner in eine Position zu bringen, aus der er sich nicht befreien kann. Mit genügend Druck zwingt man ihn so zum Aufgeben. Fotos: mallorcabjj.com

Der komplette Boden des Jiu-Jitsu-Dojos in Palmas Santa-Catalina-Viertel, Dojo bedeutet Trainingshalle, ist mit einer riesigen Matte ausgelegt. Es riecht genau so, wie es hier riechen muss: Auf eine angenehme Art und Weise ein bisschen muffig nach Anstrengung, Schweiß und Turnhalle. An der Wand hängen Bilder der alten und neuen Meister. Ganz links: Kano Jigoro, der als der Begründer des Judo und Jiu Jitsu in Japan gilt. In der Mitte die Brüder Gracie, Vater und Onkel des ersten UFC-Champions. Ganz rechts hängt ein Bild von Joe Notebaert.

Der Amerikaner aus Phoenix, Arizona, lebt jetzt das sechste Jahr auf Mallorca, unterhält unter dem Namen Brasilian Jiu Jitsu Mallorca (www.mallorcabjj.com) zwei Dojos und hat rund 125 Schüler im Alter zwischen fünf und 55 Jahren. „Unser Sport hat sehr viel mit Taktik und Köpfchen zu tun. Das ist einer der Gründe, warum er so viele nicht mehr loslässt.” Die mehreren Hundert Griffe und Hebel und die Kombinationsmöglichkeiten aus ihnen würden Jiu-Jitsu zu einer Art Schachspiel auf der Matte machen, erklärt der Schwarzgurtträger weiter. Außerdem habe der Sport viel mit der richtigen Distanz zu tun. „Wir sprechen von fünf verschiedenen Abständen zum Gegner.” Als Beispiel nimmt der 46-Jährige eine Auseinandersetzung im Nachtleben zur Hand.

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„Als Erstes haben wir Abstand Nummer vier. Das bedeutet, zu Hause auf der Couch zu sein. Die ist gleichzeitig die sicherste von allen, grinst Notebert und fährt fort: „Nummer drei ist das verbale Geplänkel, noch vor einer körperlichen Auseinandersetzung.” Man sei hier noch nicht in der Reichweite des Gegners, also noch nicht wirklich in Gefahr. „Distanz Nummer zwei ist die, die es am schnellsten zu überwinden gilt. Hier sind wir am verwundbarsten, weil wir uns in Schlagdistanz des anderen befinden.” Nummer eins sei dann der sogenannte „Clinch”, also der direkte Körperkontakt zum Gegner. „Als Letztes kommt Abstand Nummer null. Das bedeutet, wir haben den Gegner auf den Boden bekommen. Und genau da wollen wir ihn haben.”

In einer Gefahrensituation sei es das Ziel, den andern so schnell wie möglich von den Beinen zu holen, denn Körpergröße, Schlagkraft, Reichweite oder Kampfsporterfahrung könnten auf diese Weise ausgeglichen und für den Widersacher nutzlos werden. „Ich denke, der schwerste Gegner für den Jiu-Jitsu-Kämpfer ist deshalb ein Ringer. Ganz einfach, weil er weiß, wie man auf den Beinen bleibt.”

Bei der Kampfkunst gehe es immer nur darum, sich selbst zu verteidigen und einen Kampf so schnell wie möglich und so human wie möglich zu beenden. „Stell dir vor, dein Gegner in der Disco ist auf irgendwelche Drogen und spürt deshalb keine Schmerzen. Mit dem richtigen Griff unterbrichst du die Blutzufuhr zum Gehirn und der Kampf ist garantiert nach fünf bis sechs Sekunden vorbei.” Gerade am Anfang, also als Träger des weißen Gurtes, sei man schnell überfordert mit der Vielzahl an Techniken und wäre hauptsächlich damit beschäftigt, auf der Matte zu „überleben”, lacht der Amerikaner. Die Freude am Sport komme dann aber recht schnell mit der Routine. „Wenn dir die Griffe ins Blut übergegangen sind. Dann wird es interessant.”

Dieser Weg war auch für den Deutschen Marvin Bonitz kein leichter. „Neben den Bewegungsabläufen fehlt dir am Anfang vor allem die Beweglichkeit.” Seit ungefähr drei Jahren trainiert er jetzt bei MallorcaBJJ und ist seit ein paar Monaten der Träger eines blauen Gurtes. Der steht für den fortgeschrittenen Status des 38-Jährigen. Die Grundlagen sind verinnerlicht, werden ausgebaut und perfektioniert. Im Alltag musste Bonitz seine Kampfkunst noch nicht anwenden. „Ich bin froh darüber, aber ich fühle mich schon um einiges sicherer und der Situation gewachsen, im Notfall meine Familie verteidigen zu können.”