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Dass der legendäre Erobererkönig Jaume I. in der Nacht zum 10. September 1229 Mallorca in der Bucht von Santa Ponça betrat, gilt auf der Insel noch immer als in Stein gemeißelt. In Vor-Corona-Zeiten gedachte man denn auch jährlich in dem quirligen heutigen Urlauberort mit einem bunten Kostümspektakel des denkwürdigen Ereignisses, das die blutige, kaum mehr als zwei Jahre andauernde Zug-um-Zug-Okkupierung der Insel und die Vertreibung der Araber einleitete. Mit sage und schreibe 155 Schiffen, 1500 Rittern und 15.000 Soldaten und von der Festlandsstadt Salou kommend wollte man die Mauren unter ihrem Anführer Abu Yahya ein für allemal nicht nur von der Insel, sondern von den gesamten Balearen vertreiben und den Archipel der Christenheit anheimfallen lassen. Im Südwesten begann der Feldzug, der die Christen nach der Schlacht von Porto Pi wenige Tage später an die Mauern von Medina Mayurka, wie Palma damals hieß, führen sollte.

Doch war die fast geometrisch geformte rechteckige Bucht von Santa Ponça mit dem emblematischen Strand wirklich der tatsächliche Ankunftsort der Eroberer aus Aragonien? Der für die Gemeinde Calvià tätige Historiker Agustí Aguiló Llofriu veröffentlichte jetzt ein vor über 100 Jahren verfasstes, fast vergessenes Buch in neuer Auflage – „Excursión histórica por Calvià”, verlegt von der Gemeinde. Als Autor fungiert ein gewisser Joan Seguí Rodriguez (1847-1891), seines Zeichens spanischer Militär. Dieser Menorquiner war 1885 von der archäologischen Gesellschaft Ramón Llull beauftragt worden, eine Studie über die Anlandung des unter anderem von geheimnisvollen Templern begleiteten Monarchen zu erstellen.

Seguí lieferte eine nach Aguilós Ansicht überzeugende Argumentationskette, die begründet, dass der große Jaume ein paar Kilometer weiter westlich auf dem Gebiet des heutigen Urlaubsortes Peguera erstmals mallorquinischen Boden betreten haben muss. Genauer gesagt auf dem heute bei Touristen so beliebten Strand von Palmira nahe der Cala Fornells. Dort, wo Mallorca-Narren auch aus deutschen Landen heute im Sommer in die fast brühwarmen Fluten des Mittelmeers steigen und sich unter der Sonne braten lassen. „Seguí verglich objektiv in mittelalterlichen Schriften beschriebene Landschaften mit dem Küstenbereich und kam zu dem Schluss, dass die Bucht von Santa Ponça nie und nimmer der Ankunftsort gewesen sein konnte”, so der Historiker Aguiló gegenüber MM.

Auch eine andere Begebenheit vor der Anlandung spricht nach Ansicht des Wissenschaftlers für Peguera. „Einige Schiffe verloren damals den vorausfahrenden König nach der ersten Sichtung Mallorcas bei Sant Elm zeitweise aus den Augen und fuhren einfach weiter.” Seguí wies laut Aguiló in seinem Buch – „ein wichtiger historischer Beitrag” – nach, dass dies geografisch nicht in der Bucht von Santa Ponça möglich gewesen sein konnte, sondern nur an einer einzigen Stelle an diesem kilometerlangen Küstenbereich, dem Strand von Palmira.

Auch ein weiterer Sachverhalt spricht dem Forscher zufolge für die These des in den Untiefen der Geschichte verschollenen Autors Seguí: „Jahrhundertelang hieß die gesamte Gegend zwischen den Malgrats-Inseln und dem Kap Andritxol Santa Ponça”, weiß der Historiker. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts habe sich diese Bezeichnung lediglich für die Bucht und die dort befindliche Ortschaft eingebürgert.

Und dann kam das Jahr 1927: „Man wollte den in zwei Jahren anstehenden 700. Jahrestag der Ankunft vorbereiten und dann gebührend feiern, und das Festkomitee entschied sich für die Bucht von Santa Ponça”, so Aguiló. Das sei mit dem Wissen darum geschehen, dass dieser Bereich bislang gar nicht geschichtswissenschaftlich wasserfest als das Terrain der Anlandung festgezurrt worden war. „Seitdem wird im September dort dieses Fest gefeiert, und nachfolgende Historiker definierten die Bucht dann auch noch als den Ankunftsort des Königs.”