Frische, saubere Bergluft statt beißendem Desinfektionsmittel; Esel, die ein sympathisches „Iah” von sich geben statt aufheulender Rollermotoren; keine flackernden PC-Bildschirme, sondern Postkarten-Aussichten bis nach Menorca – das Castell d’Alaró war schon immer ein Zufluchtsort für alle, die dem anstrengenden Arbeitsalltag für ein paar Stunden entfliehen wollten. Doch gerade zu dieser außergewöhnlichen Zeit tut der Ausflug zur über 500 Jahre alten Schlossruine besonders gut: Aus 822 Metern die Aussicht genießen und dabei tief durchatmen – ganz ohne Maske – unbezahlbar. Am Himmel kreisen Mönchsgeier, junge Bergziegen hüpfen über die Felsen und spätestens in diesem Augenblick ist auch der holprige Weg nach oben wieder ganz vergessen.
Es gibt zwei Möglichkeiten, um zur „Hospedería del Castillo d’Alaró” zu gelangen, und keiner davon ist ein Spaziergang: Wer sich für die rund einstündige Wanderung entscheidet, stellt das Auto am rustikalen Restaurant „Es Verger” ab. Alternativ kann man von dort aus noch zwei Kilometer weiter den Berg hinauffahren, die Straße ist allerdings mehr als holprig und nur Fahrern von Vollkasko-versicherten Autos zu empfehlen. Vom zweiten Parkplatz aus sind es noch rund 20 Minuten mit robustem Schuhwerk zu Fuß.
Während die anderen Wanderhütten auf Mallorca erst ab dem 1. September wieder öffnen, ist man hier schon heute über jeden Gast dankbar: „Normalerweise haben wir ja bereits im Frühjahr viele Wanderurlauber, dieses Jahr aber gar keinen”, sagt Natxo Bou. Der Katalane kümmert sich um den Betrieb der Herberge, betreut um 17 Uhr mit einer Handvoll Mitarbeitern zwei Gäste, die es sich bei einer Flasche weißen Landweins für elf Euro auf einer Biergarten-Holzbank gemütlich machen. Alles, was hier oben Geräusche macht, sind das Klirren der Gläser beim Anstoßen sowie „Damian” und „Titi”. Die beiden Esel sind nach wie vor zuverlässige Nutztiere, die fleißig Lebensmittel, Toilettenpapier und Waschmittel den Berg hinaufschleppen. Und sie sind mittlerweile erfahrene Fotomodelle, die für eine Streicheleinheit auch gerne für ein Selfie bereitstehen.
19 Uhr, langsam füllt sich die Terrasse, rund zehn Gäste werden über Nacht bleiben, weitere 20 haben sich nur für das Abendessen zum Sonnenuntergang angemeldet. Auf dem Speiseplan steht „Sopar 800”, ein exklusives Sommermenü mit kreativen Gängen: „Das bieten wir nur im Juli und August an und auch nur von Mittwoch bis Samstag”, so Bou. Auf diesem Weg möchte man zumindest am Abend ein paar Gäste locken. Mais-Gazpacho, Brot mit Käse, mit Datteln und Pesto gefüllte Pasta, Mandeleiscreme – nicht nur die beiden Gäste aus Deutschland werden noch wochenlang vom exquisiten 17-Euro-Menü im höchsten Restaurant der Insel schwärmen.
21 Uhr, die Sonne verschwindet hinter den Bergen. Wieder klirren ein paar Gläser, Menschen lachen laut, machen Fotos vom malerischen Farbenspiel. Ein Gänsehautmoment.
30 Schlafplätze hat die Herberge am Berg, wegen der Hygiene- und Sicherheitsvorschriften dürfen aktuell aber nur maximal 20 der weniger komfor- tablen, dafür sauberen und preiswerten Betten belegt werden. Und nur wer zusammen kommt, darf auch gemeinsam in einem Zimmer schlafen. Der urige Hostalcharakter geht damit zwar verloren, von den Gästen beschwert sich jedoch niemand über die dazugewonnene Privatsphäre. 18,50 Euro kostet die Nacht pro Person inklusive einem kleinen Frühstück, dazu kommen die Touristensteuer und 1,30 Euro für ausgeliehene Decken, sollte man diese vergessen haben.
Erst gegen Mitternacht wird es wieder ruhig auf der Freiluftterrasse. Die Tagesgäste haben sich mit Taschenlampen ausgestattet wieder auf den Weg bergab gemacht, einige Übernachtungsgäste genießen noch eine Weile die Ruhe, die beispiellose Aussicht auf die funkelnde Insel und ein letztes Glas vom süffigen mallorquinischen Landwein.
Und da sage noch einmal jemand, es gäbe keinen Weg zum Glück. Dieser hier ist nur etwas holprig.
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.