Die Reste des Amphitheaters von Pollentia. | Ultima Hora

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Wenn Antoni Borràs auf die in einem neuen Buch verbreitete These zu sprechen kommt, dass das römische Palma direkt unter dem alten Zentrum der heutigen Stadt liegt, verdreht er die Augen und blickt entgeistert ins Leere. Das jüngst vorgestellte Werk von Bartomeu Vallori behaupte dies zwar, könne aber nicht mit Beweisen dienen, so der Architekt, der sich seit Jahrzehnten mit der römischen Geschichte auf Mallorca beschäftigt.

Er selbst ist davon überzeugt, dass das antike Palma ganz woanders auf Mallorca liegt, nämlich nahe Ses Salines im Insel-Südosten. „Hier hatten die Eroberer um Caecilius Metellus Salz in Hülle und Fülle.” Das hätten die Römer, die auf der Insel im Jahr 123 vor Christus anlandeten, als sehr wertvoll eingeschätzt. „Von hier aus legten sie nach einem auf Sechsecken basierenden mathematischen Schema Straßen an und gründeten weitere Siedlungen.”

Er selbst habe dort alte Ruinenreste gefunden, so Antoni Borràs. Seine Erkenntnisse publiziert er vorwiegend in der Zeitschrift des staatlichen Instituts für Balearische Studien. Doch irgendwie scheine man auf der Insel nicht zu akzeptieren, dass das antike Palma gar nicht unterhalb von Palma gelegen haben müsste. „Was heute Palma ist, war früher Guium”, ist sich der Experte sicher. Dieser Ort sei von Plinius dem Älteren aber erst an dritter Stelle der Mallorca-Siedlungen genannt worden. „Zuerst erwähnte er Palma und dann das im Norden liegende Pollentia”, so Borràs. Die Reste der am Ortsrand von Alcúdia befindlichen letztgenannten Siedlung sind heute die bekanntesten auf Mallorca und können besichtigt werden. Ein Augustus-Steinkopf, der dort gefunden wurde, fasziniert viele, der Bau eines Hotels über dem noch nicht ausgegrabenen Hafen wurde auf Geheiß der Gemeinde vor einigen Wochen verhindert. Zwei weitere von Plinius genannte Mallorca-Orte sind Tucis im Insel-Osten und Bochoris bei Port de Pollença, dessen Überreste laut Borràs im Übrigen nicht gepflegt würden und deshalb dem völligen Verfall preisgegeben seien.

Das gelte auch für römische Überreste am Ortseingang des von Deutschen so heiß geliebten Ferienortes Santa Ponça. „Alles versinkt dort im Müll”, weiß der Experte. Er könne nicht verstehen, dass überall sonst, wo so etwas gefunden wurde, sofort Interpretationszentren errichtet wurden, auf Mallorca jedoch nicht. In Barcelona habe man in der öffentVerwaltung vor lauter Freude Luftsprünge gemacht, was auch für Cartagena gelte. Doch auf Mallorca werde die römische Geschichte eher stiefmütterlich behandelt, so der Experte.

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Von einer Ausnahme allerdings abgesehen: In Pollentia hatte bereits im Jahr 1923 ein Archäologen-Team damit begonnen, nach Überresten der Siedlung zu graben. Mittlerweile finanziert ein Konsortium aus Balearen-Regierung, Inselrat und dem Rathaus Alcúdia die Forschungen. Seit Jahrzehnten sind dort im Sommer Ausgräber zugange, es handelt sich in nicht geringer Zahl um Studenten aus aller Herren Länder.

Nachdem also Caecilius Metellus nach Überzeugung von Borràs bei Ses Salines Mallorca betrat, dauerte es noch Jahrzehnte, bis die neuen Herren hier richtig Fuß fassten. Im vollen Bewusstsein, angesichts der zahlreichen Handelsrouten zwischen Rom und dem spanischen Festland einen idealen Ort gefunden zu haben, setzten sie sich fest. 70 vor Christus gründeten sie Pollentia, in der Blütezeit lebten dort etwa 3000 Menschen. Zwischen den Siedlungen wurden Straßen angelegt. Durch Vermischung der Römer mit den Ureinwohnern und durch die Einführung des Lateinischen als Verwaltungssprache wurde Mallorca bis zur christlichen Zeitenwende romanisiert. Und dies geschah womöglich auf eher friedlichem Wege, Aufstände der Einheimischen gegen Rom sind jedenfalls nicht überliefert.

Richtig viel weiß man halt nicht aus jener fernen Zeit. Davon, dass vor allem bei Ses Salines noch allerlei in der Erde schlummert, ist Antoni Borràs überzeugt. Wenn man mit der Forschung doch nur schneller voran kommen könnte! Wer weiß ... Gut möglich, dass der Boden Mallorcas noch allerhand geschichtliche Sensationen verbirgt.

(aus MM 13/2020)