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Das Meer hat sein eigenes Krankenhaus auf Mallorca. Es liegt vor der Anlegestelle der Kreuzfahrtschiffe in Palma, ein einfacher Betonbau. "Ozeanografisches Zentrum der Balearen (COB)" steht am Eingang. Knapp 90 Wissenschaftler arbeiten hier. "Wir sind die Ärzte des Meeres", sagt die Leiterin Salud Deudero. "Wir diagnostizieren, wo das Meer krank ist, und schlagen die passende Medizin vor."

Dem Balearen-Meer gehe es vergleichsweise gut, weil auf den Inseln keine Flüsse, Industrien oder Großstädte wie Barcelona oder Marseille Schadstoffe und Abfälle ins Meer leiteten, meint Deudero. Was dem Meer um die Inseln aber zu schaffen mache, sei der hohe Bevölkerungsdruck. "Wir verlangen dem Meer sehr viel ab." Es habe eine enorme Fähigkeit zur Regeneration. Aber an einigen Stellen nähere man sich einem kritischen Punkt, wo es sich nicht mehr erholen könne. "Nehmen Sie die Nordseite von Mallorca. Ozeanografisch ist sie sehr aktiv. Starke Strömungen sorgen dafür, dass sie sich reinigt." Aber einst unberührte Stellen im Norden seien zu regelrechten Ankerplätzen geworden, Na Foradada bei Deià etwa. Die Selbstreinigung komme an ihre Grenzen.

Das COB gehört zu einem Netz von neun Forschungszentren des Spanischen Ozeanografischen Instituts (IEO). Auf Mallorca führen auch andere Institute meeresbezogene Studien durch. "Wir decken viele Bereiche ab, die Folgen des Fischfangs auf die Artenvielfalt, die Auswirkung von Schutzgebieten, Meeresökologie und Meeresverschmutzung, alles im Zeichen des Klimawandels. So sehen wir das Gesamtbild. Das ist unsere Stärke", sagt die Biologin.

Gerade kommt sie von einer Tauchexpedition vor Katalonien zurück. Sollte das COB nicht das Balearen-Meer untersuchen? "Das tun wir auch", entgegnet sie. Aber alles sei miteinander verbunden durch die Strömungen und den Schiffsverkehr. In den letzten zehn bis 15 Jahren habe sich der Rhythmus enorm verstärkt.

Bestes Beispiel ist der jüngste Patient des COB, die Pinna Nobilis, eine bis zu anderthalb Meter große Muschelart. Die Mallorquiner nennen sie Nacra. Plötzlich befällt sie ein Parasit. Sterblichkeitsrate: 90 bis 100 Prozent. "Unsere Hypothese ist, dass der Parasit aus dem Atlantik herkam und die Nacra, die nur im Mittelmeer vorkommt, keine Abwehrkräfte gegen ihn hat." Südspanien, die Balearen und jetzt auch Sizilien seien betroffen. Im Wettlauf gegen die Zeit suchen die Meeresärzte den Übertragungsvektor. Stirbt die Muschel aus, leidet nicht nur die Artenvielfalt. Die Nacra dient anderen Meerestieren als Nahrung und kleinen Organismen als Lebensboden. Vor allem aber reinigt sie das Wasser.

Sorge bereiten im COB auch die steigenden Wassertemperaturen. "In Sóller haben wir letzte Woche in 15 Meter Tiefe noch 27 Grad gemessen. Das sind gut drei Grad mehr als für August normal." Gerade in der Tiefe seien die Organismen sensibler und nicht an plötzlich warmes Wasser gewöhnt. Im Herbst werde sich zeigen, ob sie überleben konnten.

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Andererseits besiedeln durch die wärmeren Temperaturen immer mehr exotische Tieren und Pflanzen das Balearen-Meer. Einige Arten breiten sich aggressiv aus und gefährden hiesige Arten. "Die tropischen Rotalge Lophocladia lallemandii zum Beispiel legt sich wie ein Mantel über das Neptungras Posidonia oceanica. Das vermindert den Lichteinfall, und die Posidonia stirbt vermehrt ab."

Die Posidonia steht unter strengem Artenschutz. Manche fänden das übertrieben und sähen nicht ein, warum man nicht darauf ankern dürfe. Aber es gehe ja nicht nur um die Pflanze. "Es ist alles miteinander verbunden", wiederholt die Biologin. Die Posidonia sorge für klares Wasser, speichere Kohlendioxid, schütze vor Küs-tenerosion und biete vielen Organismen Lebensraum. Ankern schade, aber schlimmer noch seien die Abwässer.

"Das Mittelmeer ist an sich nährstoffarm. Auf den Balearen überladen wir es jetzt mit organischen und anorganischen Nährstoffen und Partikeln." Das Wasser von den Toiletten komme zwar in die Kläranlagen, aber die seien im Sommer überlastet und leiteten ungenügend geklärtes Wasser ins Meer. "Schauen Sie sich auch die vielen Boote jetzt im Sommer rund um die Häfen der Insel an. Wo gehen deren Abwässer hin? Fast alle ins Meer." Das gelte auch für die Rückstände von Seifen, Sonnencremes und Drogen, die Leute am Strand konsumierten, Tabakfilter et cetera. Durch die Übersättigung mit Nährstoffen gehe der Anteil an Sauerstoff zurück. Sauerstoff sei essentiell für den Abbau von Schadstoffen. An einigen Stellen trübe sich das Wasser ein. Bakterien und gewisse Algenarten breiteten sich aus. Manche Algenarten seien toxisch, dann müsse der Strand gesperrt werden.

Zur Meeresverschmutzung gehört natürlich auch der Plastikmüll. "In allen Fischarten haben wir Mikropartikel gefunden", berichtet die Biologin. Die im Plastik enthaltenen Weichmacher ähnelten Hormonen, die dem Organismus schaden können. Große Teile führten zu Verstopfungen und Verstrickungen. "Hinzu kommt noch der Unterwasserlärm durch Motoren und Sonden."

Zum Glück habe das Meer die Wintermonate zur Erholung. Bei den Anstrengungen, die touristische Saison zu verlängern, müsse man das bedenken, mahnt das COB die Politiker, ebenso wie es empfiehlt, die Küste zu schonen und die Nährstoffzufuhr zu verringern. Es gehe nicht darum, alles zu verbieten, aber umfassend und vorausschauend zu regeln und Regeln zu kontrollieren.

An die Gesellschaft appelliert die Biologin: "Wenn wir das Meer nicht weiter zerstören wollen, müssen wir einfacher leben und weniger wegwerfen." Alles lande irgendwann im Meer. "Das Meer gibt uns Nahrung. Es produziert Sauerstoff, viel mehr als jeder Wald, es speichert Kohlendioxid und bestimmt das Klima. Das Meer gibt uns Leben."

(aus MM 34/2017)