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Sant Joan? Selbst viele Mallorquiner können auf Anhieb nicht sagen, wo das Dorf genau liegt. "Wir werden oft mit dem Flughafen von Palma verwechselt, der ja auch Sant Joan heißt, nur eben Son Sant Joan", weiß Toni Company, Wirt der Bar Centro, zu berichten. Er hat sich daran gewöhnt, auswärts erklären zu müssen, woher er stammt.

Dass Sant Joan so unbekannt ist, liegt auch daran, dass es fernab aller Hauptstraßen liegt, sozusagen im Bermuda-Dreieck der Inselmitte, zwischen Orten wie Vilafranca de Bonany, Lloret de Vistalegre und Ariany. Im Klartext: Niemand, der nicht muss, kommt dort auch nicht vorbei.

"Wir sind ein sehr ruhiges Dorf, wo jeder jeden kennt und die Menschen sich grüßen", sagt Marga vom winzigen Lebensmittelladen Ca Sa Padrina. Dort verkauft sie Obst und Gemüse, das aus dem Garten der Familie stammt. Unter anderem hält sie schwarz-lila-farbene "zanahorias morenas" feil, also dunkle Karotten. "Das ist eine alte Inselsorte", erklärt sie. Noch ein Kuriosum: Das Cornetto-Markeneis kostet im Laden einen Euro, während es an den Strandkiosken der Insel kaum unter 3,50 Euro zu haben ist. Aber Sant Joan liegt nicht am Meer, und so ist das Leben dort ursprünglich geblieben. Oder eben fast ursprünglich.

"Apfelschorle", bestellt die Gruppe der Radfahrer auf der Terrasse der Bar Centro. Vorher haben die trikotierten Strammwaden die Tische zu einer langen Tafel zusammengestellt und die Sessel verrückt. Gastwirt Toni scheint alles zu verstehen, auch Fragen wie "Was für Kuchen habt ihr?" oder Bestellungen wie "Sandwich mit Cheese und Ham".

Der Ort ist beliebt bei den Radsportlern, er liegt strategisch günstig für das Mittagessen, wenn sie, von Nord oder von Süd kommend, die Inselmitte erstrampelt haben.

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Abseits in den Straßen herrscht mallorquinische Gelassenheit, mit grünen Klappläden vor Türen und Fenstern sowie hier und da ein liebevoll gepflegter Blumentopf. Sant Joan wirkt im Vergleich zu anderen Dörfern sehr sauber. Der Abfall wird in Tüten an der Haustüre abgeholt, und für Hundekot, der vom Tierbesitzer nicht eingesammelt wird, werden 700 Euro Strafe fällig.

Plötzlich sticht ein deutscher Name auf einem Türschild hervor. Doktor Ulrich Lange aus Nürnberg hat sich 2005 in dem Dorf als Zahnarzt niedergelassen. "Hier gibt es nichts", sagt er, und meint damit weitere Dentisten im Umfeld. Damals war er es leid, immer zur eigenen Finca fliegen zu müssen, also machte er die Praxis nebenan auf. Sein Clou, um rasch Fuß zu fassen: Er bildete eine junge Frau aus dem Dorf zur Zahnarzthelferin aus. "Der Rest war Mundpropaganda". Und dann preist Lange die Vorzüge von Sant Joan an: Seit einigen Jahren, sprich seit Ausbau der Hauptstraße Palma-Manacor, ziehen wieder verstärkt junge Familien in den Ort. Die Eltern pendeln zur Arbeit fort, die Kinder wachsen ländlich auf. Hinzu kommen kleine Läden und gute Lokale. "Hier gibt es alles."

Gegenüber der Praxis hat Isabel Sorell ihre Bäckerei, Ca'n Mateu d'es Forn, gegründet 1881 von den Urgroßeltern. Sant Joan, ein unbekanntes Dorf? "Gar nicht", widerspricht sie. Inselweit sei der Ort vielen Menschen für sein Restaurant Can Tronca geläufig. Dort werden bevorzugt Kommunionen und Familienjubiläen zelebriert.

Unerwartetes gibt es in Sant Joan reichlich, wenn man zweimal hinblickt: Etwa das Vorhandensein eines Dichtermuseums für mallorquinische Mundart. Oder ein zinnenbewehrtes Haus auf dem Hügel über dem Dorf, das sich als Wasserturm entpuppt, samt Pool und Restaurant namens "Sa torre de s'aigo". Dieses wartet mit Paella und Spanferkel auf, wenn auch nur freitags bis sonntags. Für diese Leckerbissen mühen sich Radler die steile Straße hinauf.

Am 29. Mai dürften die Stahlritter indes ernsthafte Konkurrenz bekommen: Denn dann findet in Sant Joan ein Wettrennen über 27 Kilometer statt, mit Pferdekutschen, Esel- und Maultierkarren. Das unbekannte Dorf ist eben immer wieder für Überraschungen gut.

(aus MM 18/2016)