Zum Interviewtermin kommt Cristóbal Huguet deutlich zu spät.
Schuld ist daran aber nicht etwa sein Mittagsnickerchen, sondern
der Verkehr in Palma. Der ehemalige Arbeitsminister der
Balearen-Regierung pflegt nachmittags nicht zu ruhen, wie er sagt.
"Ich schließe höchstens einmal für fünf Minuten die Augen. Das
reicht."
Huguet ist auf den Balearen der prominenteste Vertreter einer
Bewegung, die der spanischen Siesta den Garaus machen will. Die
Mitgliederliste der "Vereinigung für die Rationalisierung der
spanischen Arbeitszeiten", die sich dieses Unterfangen zum Ziel
gesetzt hat, liest sich wie ein Querschnitt durch die Gesellschaft:
Richter, Gewerkschafter, Politiker, Journalisten,
Frauenrechtlerinnen, Unternehmer, Ärzte, Professoren, Soziologen
und Verbraucherschützer gehören zu den Unterstützern. "Das
stundenlange Essen, Trinken und Schlafen am Nachmittag ist nicht
gesund", sagt Huguet, der Mitglied der konservativen Partei ist. Im
Fall der Siesta ist er kein Bewahrer spanischer Traditionen.
Im Gegenteil: Er nennt die Siesta eine "schlechte Angewohnheit".
"Die ausufernde Mittagspause in Spanien schmälert die
Produktivität", sagt er. Ein Arbeitstag bestehend aus acht Stunden
Arbeit und einer Stunde Pause wäre viel effektiver, findet er.
"Außerdem werden die Menschen durch die Arbeitszeiten in ihrem
Privatleben eingeschränkt."
In vielen Gegenden Spaniens ist es üblich, am Vormittag zu
arbeiten, ab 13 oder 14 Uhr ausgedehnt zu essen, ein Schläfchen zu
halten, und dann um 16 oder 17 Uhr wieder mit der Arbeit zu
beginnen. Der Arbeitstag endet dann oft erst um 20 Uhr.
Dementsprechend spät geht es zum Abend-essen. Viele Kinder bekommen
ihre Väter nur wochenends zu Gesicht, für Frauen bedeuten spanische
Arbeitszeiten oft von vornherein den Verzicht auf Kinder. Viele
soziale Aktivitäten beginnen erst um 22 Uhr: Musikkonzerte,
Fußballspiele, Theateraufführungen. Die Abendfilme und TV-Shows im
spanischen Fernsehen, die in Deutschland üblicherweise nach der
Tagesschau um acht anfangen, beginnen hier um 22 Uhr. Wer vor
Mitternacht ins Bett geht, kann sich getrost als Außenseiter
fühlen. "All das zeigt: Wir müssen unsere Arbeitszeiten an den
europäischen Standard anpassen", sagt Huguet. Die Siesta sei
schließlich ein Überbleibsel aus längst vergangener Zeit. Als die
Landwirtschaft noch der Haupterwerbszweig war, nutzten die Menschen
die viel zu heißen Mittagsstunden, um sich auszuruhen. Denn am
Abend dauerte die Arbeit dafür bis zum Sonnenuntergang, erklärt
Huguet. "Das alles macht heute keinen Sinn mehr."
Große Hoffnungen macht er sich aber dennoch nicht. Es werde wohl
noch lange dauern, bis sich an den heutigen Sitten etwas ändert,
vermutet er. Schließlich ist die Siesta fester Bestandteil des
romantischen Bildes vom gemütlichen Spanien, das jahrzehntelang in
alle Welt transportiert wurde. Der wichtigste Slogan der spanischen
Tourismuswirtschaft aller Zeiten stammt aus der frühen Franco-Zeit
und lautet: "Spanien ist anders."
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