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Die Segnungen des vereinten Europas erschließen sich nicht immer auf den ersten Blick. Warum die Größe von Kondomen einer Norm unterliegt, der erlaubte Krümmungsgrad von Schlangengurken höchstinstanzlich geregelt sein muss und gutbezahlte Beamte sich mit den Tücken des Schulmilchprogramms herumschlagen, bleibt wohl auf ewig das Geheimnis der Bürokraten im fernen Straßburg und Brüssel. Kein Wunder, dass die Gleichmacherei in einer unaufhaltsam globalisierten Welt vielen Menschen Angst macht. Regionale Besonderheiten drohen zu verschwinden und nicht alle profitieren vom Zusammenwachsen der Europäischen Union.

Der Fall der Grenzen in Europa hat Mallorca zwar viel Wohlstand gebracht. Andererseits aber haben sich die Gehälter in vielen Bereichen nicht in der gleichen Geschwindigkeit entwickelt wie die Lebenshaltungskosten, die sich rasant dem mitteleuropäischen Standard angleichen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern verwischen immer mehr – selbst jahrhundertealte Traditionen und Gebräuche kommen auf den Prüfstand. Nun fordert eine Gruppe Spanier gar die Abschaffung der Siesta, eines der am weitesten verbreiteten Symbole spanischer Lebensart, Teil des Selbstverständnisses und des alltäglichen Lebens. Das ausgiebige Mittag-essen, die lange Pause, das Nickerchen am Nachmittag – all das gehört für viele Spanier ebenso dazu, wie Stierkampf, Tapas und Flamenco. Die Anti-Siesta-Aktivisten rütteln an nichts Geringerem als an einem nationalen Symbol.

Das aber tun sie zu Recht. Denn sachlich betrachtet haben sie die besseren Argumente auf ihrer Seite. Die Siesta stört den Tagesablauf, sie senkt die Produktivität, und familienfreundlich ist sie auch nicht, da Eltern wegen ihr erst spät am Abend nach Hause kommen, statt Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Nicht jede nationale Schrulligkeit ist es wert, bewahrt zu werden. Was die Arbeitszeiten angeht, wäre die Angleichung an europäischen Standard ein Gewinn.