Nicht nur mit Feigen lassen sich die Ensaïmadas verfeinern. | Archiv

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Denkbar simpel ist die Definition, was genau eigentlich eine Ensaïmada ist. Laut Mallorca-Enzyklopädie handelt es sich dabei um eine „süße Backware von runder Form, typisch auf Mallorca, die aus einer Art zu einer Spirale geformten Teigschnur besteht“. Auch die Liste der Zutaten, die zu ihrer Herstellung benötigt werden, ist alles andere als lang. Sie umfasst nur wenige, einfache Dinge: Mehl, Zucker, Wasser, Sauerteig, Eier und Schweine-
schmalz.

Dennoch ist die Ensaïmada vielseitiger, als man glauben mag. Es gibt sie mit Kürbismarmelade, belegt mit Aprikosen oder Feigen, mit kandierten Früchten oder gar deftiger Paprikawurst samt Honig. Zu besonderen Anlässen bietet sich die mit Creme, Schokolade oder Sahne gefüllte Variante an. Auch Spitzengastronomen wie Sternekoch Andreu Genestra haben sie längst in ihr Menü aufgenommen, wenn auch meist in abgewandelter Form.

Der Klassiker aber ist weiterhin die schlichte Variante ohne weitere Zutaten: Als schnelles, minimalistisches Frühstück, begleitet von einem Café con leche, gehört die mit etwas Zucker bepuderte Teigschnecke für viele Mallorquiner zum Alltag. Kaum eine Bäckerei dürfte auf der Insel zu finden sein, die keine Ensaïmada im Angebot hat und kaum eine Bar, in der nicht auf dem 
Thresen ein Blech mit einigen Exemplaren steht.

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Als eine mallorquinische Tageszeitung vor einigen Jahren ihre Leser darüber abstimmen ließ, welches die wichtigsten Kulturgüter der Insel seien, da landete die Ensaïmada auf dem siebten Rang – als meistgenanntes kulinarisches Erbe, übertroffen nur von emblematischen Bauwerken wie der Kathedrale und dem Castell de Bellver, sowie dem Tramuntanagebirge mit seinen unzähligen Naturschätzen.

„Die Ensaïmada ist Teil des gastronomischen Erbes der Insel, sie ist die Botschafterin der Marke Mallorca in aller Welt und eine identitätsstiftende Süßspeise“, so Josep Magraner, Geschäftsführer des Bäckerverbandes der Insel. „Das Handwerk zu ihrer Herstellung sowie die Sitten und Traditionen rund um den Verzehr gehören zum kulturellen Erbe dieser Insel.“ Wie hoch der Stellenwert der Ensaïmada für die Mallorquiner ist, lässt sich unschwer an jedem beliebigen kalten Januarmorgen erkennen, wenn die Leute Schlange stehen, um sich in einem der einschlägigen Cafés eine ofenfrische Teigschnecke servieren zu lassen, die sie dann in eine Tasse heiße Schokolade tunken.

Wo genau der Ursprung des typisch mallorquinischen Backwerks liegt, ist derweil ungewiss. Es lässt sich schlicht und einfach kein Licht mehr ins Dunkel der Entstehungsjahre bringen. Fest steht, dass sich die Ensaïmada im Laufe des Mittelalters entwickelte. Vermutlich geht sie auf arabische Traditionen zurück. Eine entscheidende Veränderung erfuhr sie dann aber an der Schwelle zur Neuzeit. Konvertierte Juden sollen das ursprünglich mit Olivenöl gefertigte Gebäck um das heute unerlässliche Schweineschmalz erweitert haben, schreibt der Heimatforscher Tomàs Vibot in seinem 2019 erschienenen Buch über die Ensaïmada. Produkte vom Schwein zu essen war für sie eine der Möglichkeiten, zu zeigen, wie ernst es ihnen mit dem christlichen Glauben war. Also nahmen viele Konvertiten Speck, Schwarte und Fett vom Schwein in ihren täglichen Ernährungsplan auf. Und so entstand eben die Ensaïmada – deren Name übersetzt soviel wie „die Einge-schmalzte” bedeutet.

Die Teigschnecke im Abwärtsstrudel

Es ist ein Abwärtstrend, wie ihn nur wenige Branchen in den vergangenen Jahren erlebt haben: Gab es im Jahr 2005 auf der Insel noch 56 Bäckereien, die Teigschnecken mit der geschützten Herkunftsbezeichnung Einsaïmada de Mallorca herstellten, sind es aktuell noch sage und schreibe neun. Im selben Zeitraum sank die produzierte Menge von 248 auf 26 Tonnen, das Volumen des Verkaufs der Ware von 2,9 Millionen auf 337.000 Euro.

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Eine der letzten verbliebenen Bäckereien, die Ensaïmadas mit dem Qualitätssiegel verkaufen, ist der Forn Fondo in Palmas Innenstadt. Dort, im Kellergeschoss, das man nur über eine schmale Treppe erreichen kann, ist seit 46 Jahren Miguel Martínez für die Produktion der Teigschnecken verantwortlich, der „Maestro“, wie er hier leicht scherzhaft und doch voller Respekt genannt wird. „Das ist der entscheidende Moment“, sagt er, als er mit dem gut eingefetteten Nudelholz den Ensaïmada-Teig hauchdünn auf der geräumigen Arbeitsfläche ausrollt. „Er darf nicht reißen.“ Anschließend verteilt er mit den Fingern eine Schicht Schweineschmalz auf dem Teig – die wichtigste Zutat der Ensaïmada, der diese auch ihren Namen verdankt (Saïm = Schweineschmalz). Schließlich rollt er lange Würste aus dem Teig, die er dann wiederum zu Spiralen formt.

Das eigentliche Geheimnis einer guten Ensaïmada aber sei noch etwas anderes, sagt Martínez: die Zeit. Wenn er morgens um 4.30 Uhr seinen Dienst antritt, dann sind die am Vortag geformten Teigschnecken 16 Stunden lang gegangen. Nur so werden sie später richtig luftig. Schließlich kommen die Bleche mit dem Backwerk für zehn Minuten bei 180 Grad in den Steinofen.

Pau Llull ist der Inhaber der Bäckerei, die er gemeinsam mit seiner Schwester Neus betriebt – in vierter Generation. Im Jahr 1911 eröffneten seine Vorfahren das Geschäft. Llull ist aber nicht nur einer derjenigen, die das traditionelle Ensaïmada-Handwerk auf der Insel am Leben halten, er ist auch Vorsitzender des Kontrollrates, der die Vergabe der geschützten Herkunftsbezeichnung sowie die Einhaltung der Vorschriften überwacht. Ursprünglich hätten sich etwa 150 Bäcker auf ganz Mallorca mit diesem Ziel zusammengeschlossen.

Schon im 19. Jahrhundert versuchten sich auch Bäcker auf dem Festland an der inseltypischen Teigschnecke. Mit dem aufkommenden Tourismus wurde die Ensaïmada mehr und mehr zum gefragten Urlaubsmitbringsel – und dadurch auch wirtschaftlich immer interessanter. „Bei der Einführung der offiziellen Herkunfstbezeichnung ging es darum, sich vor den Herstellern auf dem Festland zu schützen, die ihre Einsaïmadas verkauften, als kämen sie von Mallorca“, sagt Llull.

Seit dem Jahr 2003 gibt es sie nun, die Indicació Geogràfica Protegida Ensaïmada de Mallorca. Eine Erfolgsgeschichte aber ist das nicht wirklich. Zunächst finanzierte das balearische Landwirtschaftsministerium großzügig Werbekampagnen und die Kosten des Regulierungsrates – ebenso, wie es mit den anderen Qualitätsprodukten der Insel geschieht, dem Olivenöl, dem Wein, der Sobrassada. Als im September die Ausschreibung der aktuellen Finanzhilfen in Höhe von 1,6 Millionen Euro bekanntgegeben wurde, da gingen die Ensaimada-Bäcker jedoch erneut leer aus. Wie schon seit mehreren Jahren.

„Sämtliche Subventionen für den Sektor sind gestrichen“, sagt Llull. Deshalb lohne es sich für viele Bäcker nicht mehr, den Mehraufwand, den die Nutzung des Qualitätssiegels bedeutet, weiterhin zu betreiben. „Du musst einfach wahnsinnig viel Papierkram bewältigen“, sagt Llull. Unter anderem müssen die Bäcker ein Labor beauftragen, das ihnen bescheinigt, dass die Zusammensetzung ihrer Einsaïmadas den Vorschriften entspricht. Einmal im Jahr kommen dann die Teigschnecken-Inspekteure und sehen ganz genau hin. „Das gefällt natürlich vielen auch nicht, die ihr Leben lang Ensaïmadas gebacken haben und sich nun kontrolliert fühlen.“

Der Grund für die fehlenden Finanzhilfen ist, dass der Ensaïmada keine inseltypische Zutat zugrunde liegt. Während Olivenbauern hiesige Oliven zu Öl, Winzer hiesige Trauben und Fleischer hiesige Schweine verarbeiten, stammen fast sämtliche Zutaten der Ensaïmadas vom Festland: Mehl, Zucker, ja, selbst das Schweineschmalz. „Natürlich könnten wir Schmalz von mallorquinischen schwarzen Schweinen verarbeiten“, sagt Llull. „Aber dafür wird einfach nicht genügend davon produziert und außerdem käme uns das viel teurer.“ Also wird die wichtigste Zutat ebenfalls importiert. Lediglich die Eier stammen von mallorquinischen Hühnern. Und so hat das Landwirtschaftsministerium eben vor einigen Jahren seine Finanzhilfen eingestellt. Dass dennoch einige Bäcker weiterhin die Auflagen des Kontrollrates erfüllen, um ihre Ensaïmadas mit dem Qualitätssiegel versehen zu können, liegt laut Llull daran, dass sie die Marke erhalten wollen. „Außerdem will ich mich mit meinen Ensaïmadas von anderen Herstellern unterscheiden.“ Vor allem die Kunden von außerhalb sollten wissen, dass es sich um ein Produkt von der Insel handelt.

Droht angesichts des Rückgangs der Bäcker, die das Qualitätssiegel nutzen, nun also das schleichende Ende der Ensaïmada? Gewiss nicht. Schließlich gibt es kaum eine Bäckerei auf der Insel, die die Teigschnecke nicht im Angebot hat. Was allerdings die Qualitätsstandards angeht, hat der Negativtrend durchaus Folgen. So haben viele auf der Insel angebotene Einsaïmadas nicht mehr viel zu tun mit dem ursprünglichen Produkt. Denn wer die geschützte Herkunfstbezeichnung nutzen will, muss sich nicht nur penibel an die im entsprechenden Dekret detailliert festgelegten Zutaten halten, sondern beispielsweise auch an den Feuchtigkeitsgrad des Teiges. Und nicht zuletzt auch an die vorgegebene Form der Spirale: Die muss mindestens zwei Windungen umfassen – und das bitteschön im Uhrzeigersinn.

(aus MM 02/2022)