Seitdem das Google-Earth-Zeitalter angebrochen ist, lässt sich eine Verspätung wegen örtlicher Unkenntnis beziehungsweise Orientierungsmangel nurmehr schwer begründen. Derartige Ausreden wie „ich habe mich mal wieder verlaufen” gelten nicht mehr als plausible Entschuldigung. Vollkommen anders war das im 14. Jahrhundert, als sich Vater Abraham und Sohn Jafuda mit der Erstellung einer der ersten Weltkarten beschäftigten. Wenn wir diese Aussage als zutreffend ansehen wollen – soweit man eine Weltkarte ohne Amerika, die Antarktis und Australien als eine solche bezeichnen darf – hätten die beiden Mallorquiner ebenfalls zum Begriff „Weltanschauung” einen persönlichen Beitrag geleistet.
Die Idee, die Erdkugel auf einem Blatt Papier zusammenzufassen, wurde in Es Temple, gleich beim historischen jüdischen Stadtviertels von Palma, dem Es Call, geboren. Obwohl damals von „Neuer Welt” gar nicht die Rede sein konnte (ebenfalls fraglich wäre es gewesen, unseren Planeten kreisförmig abzubilden), stellten die beiden jüdischen Insulaner sich der Herausforderung, eine Landkarte zu schaffen mit nichts weiter als der Hilfe von eigenen Reisebeobachtungen sowie den Erzählungen damaliger Vielreisender wie etwa Händlern, Pilgern und Kreuzfahrern.
Der dadurch weltberühmt gewordene Kartograf Jafuda Cresques wurde im Jahr 1350 in Palma geboren, und nach dem Motto, wie der Vater, so der Sohn, hat er sich frühzeitig mit den Geheimnissen der Terra Cognita und Incognita vertraut gemacht. Jafuda erlernte seinen Beruf direkt vom Vater. Abraham Cresques (1325-1387) war nicht nur Kartograf, sondern auch ein geschickter Uhrmeister und Erfinder verschiedener Geräte, die zum sicheren und zuverlässigen Navigieren dienten. Seine Kenntnisse wurden damals an höchster Stelle, von den Königen Aragoniens, Pere III., Joan I. und Martí I., wertgeschätzt. Mit der Ausweitung der Kronländer ins östliche Mittelmeer – den Katalanen gelang es damals, die heutige griechische Küste zu erobern – nahm zu jener Zeit die Bedeutung und der Bedarf an Land- und Seekarten gewaltig zu.
Im Jahre 1375 entstand der berühmte Katalanische Weltatlas, „Atles Català”, Cresques’ Meisterwerk, das zu den Schätzen der mittelalterlichen Kartografie zählt. Die auf Pergament gefertigte Weltkarte wird seit Jahrhunderten in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt, denn der aragonesische König Joan I. (1350-1396) hatte sie einst dem damaligen König Frankreichs, Charles V., geschenkt. Die ausführlichen topografischen Informationen des Werks, die auf der Karte bis nach China reichen, sowie die prachtvollen Verzierungen und zeichnerischen Motive zählen zu den höchst gelobten Merkmalen des Atlas.
„Navigare necessere est” (Seefahrt ist notwendig), lautet eine Plutarch zugesprochene Aussage. Was genau er damit gemeint hat, darüber kann man heute noch trefflich streiten. Im Falle von Jafuda Cresques Lebenslauf lässt sich dieser Ausspruch allerdings wortwörtlich nehmen. Nicht umsonst war die vielen nautischen Reisen Cresques als Seemann die erste Quelle für seinen selbsterworbenen Erkenntnisse.
Weder endet noch beginnt mit Jafuda der Familienstammbaum der Cresques. Dieser war gleichwohl über das 14. Jahrhundert hinaus geprägt durch die Geschichte des aragonischen Königreichs. Schon dem Vater, Abraham Cresques, sind zwei Meisterwerke des mittelalterlichen katalanischen Kulturguts zu verdanken, die er in aufwendiger Handarbeit hergestellt hatte. Es handelt sich um die von ihm gestaltete Bibel Farhi und um den Atles Català. Das letztgenannte Werk ließ er unvollendet, es wurde erst später vom Sohn vervollständigt.
Die Farhi-Bibel mit ihren über tausend Seiten weist 350 Abbildungen auf. Das hochgeschätzte „Urwörterbuch” für Katalanisch und Hebräisch stellte gleichzeitig ausgewählte Passagen der Heiligen Schrift zusammen. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts pflegte Abraham Cresques eine enge Beziehung zu den Monarchen Aragoniens. Damals wollten die Katalanen, also die Seefahrer des Reichs, neue Handels- und Einflusszonen im östlichen Mittelmeer für sich erringen.
Weder endet noch beginnt mit Jafuda der Familienstammbaum der Cresques. Dieser war gleichwohl über das 14. Jahrhundert hinaus geprägt durch die Geschichte des aragonischen Königreichs. Um die Jahrhundertwende nahm in jener Zeit die Judenfeindlichkeit im Süden Europas immer weiter zu. Mallorca bildete damals keine Ausnahme. 1391 litt die jüdische Gemeinde Palmas unter ersten schweren Plünderungen und Pogromen. Infolgedessen wich Jafuda Cresques nach Barcelona aus. Die Flucht nach Katalonien und sein erzwungener Übertritt vom Juden- zum Christentum, in dessen Folge er den konvertierten Namen Jaume Ribes annahm, haben mit Sicherheit dazu beigetragen, sein Leben und seine Karriere zu retten.
Über Jafudas Cresques Todeszeitpunkt beziehungsweise seinen Todesort wird bis heute gestritten: Lange ging man davon aus, dass er 1410 in Barcelona verstarb. In jüngster Zeit behaupten immer mehr Stimmen, dass Jafuda erst 17 Jahre später an der südwestlichen Küste Portugals, bei Sagres, starb. Ein gewisser Jacome de Mallorca soll dort in jener Zeit die Marineschule Sagres, am südlichen Finisterre Europas geleitet haben.
Doch in der Hauptstadt Kataloniens werden wir einige Jahre später noch einem dritten Cresques begegnen, nämlich Hasday Cresques. Der Verwandte von Abraham und Jafuda machte sich in Barcelona als Philosoph und Vertreter des sogenannten Averroismus einen Namen. Seine Thesen, die den Aristotelismus fortsetzen und weiterentwickelten, fanden im In- und Ausland Anerkennung. Noch ein vierter Cresques dürfen wir hier in diesen Rahmen erwähnen, und zwar Abiatal Aben-Cresques. Historikern zufolge war Abiatal als jüdischer Chirurg in Lleida zu Ruhm gelangt.
Die Erinnerung an Abraham und Jafuda Cresques ist auf Mallorca nicht verblasst. Eine Schule in Palma und mehrere Straßen auf der Insel sind nach Vater und Sohn benannt. Ihre Landkarten werden nach wie vor in Fachbüchern zum Thema Kartografie abgebildet. Der berühmte mallorquinische Bildhauer Jaume Mir interessierte sich ebenso für die beiden Weltkartenzeichner. Zu seiner Sammlung zählen zwei Bronzen, die Vater und Sohn beim Kartografieren darstellen. Nördlich von Mallorca ist zudem ein besonderer geografischer Punkt nach dem Duo benannt. Es handelt sich um einen Berg, eine Erhebung auf dem Meeresboden unter Wasser. „Cresques” ist somit allenfalls für Fische und Taucher zu finden.
Der Autor ist studierter Journalist und Diplom-
Germanist. Er arbeitet als
Sprachlehrer wechselweise auf
Mallorca und in Polen.
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