Als „gefühlvolle Jauche“ bezeichnete Richard Strauss die Musik Sergej Rachmaninows; „Vulgär-Töner“ spottete G.B. Shaw; „Cinemascope-Epik“ und „Musik, an der nur Spießer Gefallen finden können“ waren weitere Etikette, die man dem Werk des russischen Post-Romantikers mit der intellektuellen Hochnäsigkeit des frühen 20. Jahrhunderts anheftete. Am Vorabend von Schönbergs Zwölftonphilosophie und des Skandals, den Strawinsky mit seinem „Sacre du Printemps“ in Paris provozierte, war Musik, die „aus dem Herzen kam und zu Herzen ging“ (O-Ton Rachmaninow), die ungeniert tonal daherkam und – was das Schlimmste war – das „gemeine Volk“ begeisterte, in sogenannten Fachkreisen verdächtig und unverhohlen verpönt. Die Musikwissenschaft hielt es für unter ihrer Würde, sich mit Werken wie dem 2. Klavierkonzert überhaupt zu befassen. Vorverurteilungen wie „Salon-Kitsch“ und „eklektizistische Plagiatsmusik“ waren genug der Ehre, die man dem Oeuvre Rachmaninows antat! Das Publikum jedoch scherte – und schert sich bis heute – wenig um derartige intellektuell sein wollende Beurteilungen.
Auch gestern Abend sog es dankbar auf, was der junge Pianist (Jahrgang 1990) Behzod Abduraimov zusammen mit den Balearensinfonikern unter ihrem Chef Pablo Mielgo an spätromantischem Wohlklang verströmte. Der Steinway wurde zur magischen Lyra – Abduraimov brachte ihn zum Singen. Russisches Melos, moll-getönt und mit subtilem Anschlag aus den Tasten gezaubert, wurde delikat vom Orchester grundiert. Dabei blieben Verve und rhythmische Dynamik keineswegs auf der Strecke, sondern setzten Glanzlichter auf, die Rachmaninows op. 18 funkeln ließen.
Technisch über jeden Zweifel erhaben, verfügt Abduraimov über ein Gestaltungspotenzial, das die drei Sätze des Konzerts auch zu einem geistigen Vergnügen machte. Tragende Motive und illustratives Beiwerk amalgamierten zu einem strukturell schlüssigen Dahinfließen der Musik. Die beeindruckende dynamische Bandbreite befähigte den Pianisten zu mitreißenden Creschendi, die keiner äußerlichen Showelemente bedurften, um die Herzen der Zuhörer zu erreichen. Nach der abenteuerlich virtuosen Schluss-Stretta des Finales dann standing ovations, die mit Liszts „La campanella“ als Zugabe belohnt wurden, einem hochvirtuosen, glitzernden kleinen Juwel, dessen deliziöse Wiedergabe das Publikum erneut „ausrasten“ ließ.
War das Rachmaninow-Konzert als eine Art Feier des Lebens nach einer überwundenen Depression des Komponisten entstanden, so zeugten auch die beiden Werke nach der Pause vom Selbstfindungsprozess ihrer Schöpfer. „La necesidad de afirmarse“ hatte Fernando Merino seine Konzertnotizen im Programmheft (in bewährter Weise wieder einen Tag vor dem Konzert zum Download auf der Website des Orchesters zur Verfügung gestellt) betitelt.
In „Amazonas“ feierte Heitor Villa-Lobos auf seine Art das Leben. In einer Art sinfonischer Dichtung huldigte er mit den Möglichkeiten eines großen Orchesters und mit sowohl folkloristischen als auch klassischen Elementen (ein wenig deskriptiv) „la naturaleza de la selva tropical“. Auch das ein Werk, das unmittelbar die Sinne ansprach und das bei Pablo Mielgo und seinen Musikern in guten Händen war.
Höhepunkt anti-intellektualistischer Sinnenfreude war das letzte Werk auf dem gestrigen Programm: die vier Danzas des Balletts „Estancia“ von Alberto Ginastera. Auch er scheute – 1941! – nicht vor Anknüpfungen an die Tradition zurück, adaptierte ungeniert folkloristisches Melos und ließ seine Tänze mit rhythmischer Urgewalt über die Bühne fegen. Auch sie eine Feier des Lebens.
So geriet der Abend zu einem Fanal gegen kopflastige, konstruktivistische Reißbrettmusik, die nur vor dem Hintergrund ihrer theoretischen Unterfütterung verständlich ist – wenn überhaupt. Das Publikum ließ sich begeistert in diesen Strudel der Emotionen hineinziehen.
Das 10. Abokonzert im Trui Teatre am 28.04. wird von Marcus Bosch geleitet. Er hat Mendelssohn (Die schöne Melusine), das Violinkonzert op. 35 von Korngold (Solist: Stephen Waarts) und die Rosenkavalier-Suite von Richard Strauss im Gepäck.
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