Ein Klavierklang, elektronisch verstärkt. Dann Stille, zumindest fast: von irgendwoher raschelt es pianissimo, ein Fiepen, ein Zischen, bis der Flügel sich erneut zu Wort meldet. So beginnt „Gran Mar“, die neueste Komposition des Mallorquiners Matías Far (geboren 1973 in Palma), die gestern Abend im Trui Teatre unter der Leitung des ungarischen Dirigenten Zsolt Nagy ihre Uraufführung erlebte.
In den „dichteren“ Stellen des Werkes werden im Verlauf einer knappen halben Stunde (das Programmheft hatte 40 Minuten angedroht) jede Menge experimenteller Elemente des „Donaueschingen Sounds“ reanimiert. Dort, im Südwesten Baden-Württembergs huldigen seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts Neutöner aus allen Ecken der Welt der reinen Lehre vom Serialismus, von aleatorisch konstruierter Anordnung der Klänge als bloßem Material und deren elektronischer Manipulation als Bereicherung des Klanges. Auch die „Stille“ – und sie dominiert weite Teile von „Gand Mar“ - wird spätestens seit John Cages „4 minutes 33 seconds“ als sinnstiftende Komponente verkauft.
Dass mit all den revolutionären Ideen am Publikum vorbeikomponiert wurde, schien nicht weiter zu stören, war vielfach sogar beabsichtigt. Auf diese Krise der Neuen Musik, auf das Auseinanderdriften von Komponist und Publikum, hat Leonard Bernstein bereits 1966 in einem immer noch lesenswerten Essay hingewiesen und mit der Komposition seiner „Chichester Psalms“ eine Rückkehr zur Tonalität einzuläuten versucht.
Auch Penderecki, Avantgardist der ersten Stunde (manch einer im Publikum erinnert sich vielleicht – möglicherweise mit Freude – an sein Konzert im Januar 2018 im Auditorium), hat mit seinem Spätwerk die Entmenschlichung der Musik erfolgreich überwunden. Und obwohl er dafür von Intellektuellen nur Spott und Hohn erntete („mit Glykol in den Rückwärtsgang“, „avantgardistischer Verräter“, „Penderadetzky“, „Handel mit Antiquitäten“ sind nur einige der Sottisen in den Feuilletons der fortschrittsgläubigen Presse), hat er eine Trendwende eingeleitet.
Die aber ist an Matías Far offenbar vorbeigegangen. In einer Zeit, in der in der Kulturszene darüber spekuliert wird, ob vielleicht doch Leute wie Karl Jenkins oder Ludovico Enaudi auf dem richtigen Weg sind, die Kluft zwischen Komponist und Publikum zu überwinden, fällt er in alte Muster zurück.
J.A. Mendiola versucht im Programmheft ein wenig hilflos, den Einsatz des Klaviers musikgeschichtlich einzuordnen. Er geht dabei bis auf Bartolomeo Cristofori zurück, der mit der Erfindung des Hammerklaviers das Cembalo ablöste. Aber dieser historische Exkurs rettet das Stück auch nicht. Und er erklärt ebenso wenig, warum es für die Bedienung des Flügels dreier Pianisten bedarf (Albert Diaz, Tomeu Moll-Mas und Llorenç Prats).
Der Komponist des nächsten Stückes an diesem Abend, Jonathan Harvey, schwimmt im gleichen Fahrwasser. Immerhin macht er es mit „…towards a pure land“ von 2005 wenigstens ein wenig kürzer. Aber auch hier konnte man 17 Minuten lang an Tschaikowsky denken, der einst gesagt hatte, Musik sei dazu da, das Publikum zu erfreuen (und nicht zu quälen)…
Hatte Penderecki vor vier Jahren nach der Pause eine Mendelssohn-Sinfonie dirigiert, die man nach seinen „Metamorphosen“ mit neuen Ohren hören konnte, so verzichtete Zsolt Nagy auf einen derart versöhnlichen Schluss: mit „Siren’s Song“ seines Landsmannes Peter Eötvös blieb er dem Donaueschinger Ideal treu. Das Publikum reagierte mit verhaltenem Applaus, in den sich – zum ersten Mal in einem Abokonzert des OSIB – Buhrufe mischten und der wohl sowieso eher der Leistung des Orchesters galt.
Das nächste Abokonzert – am 21.4. im Trui Teatre – wendet sich wieder der spätromantischen Seite des 20. Jahrhunderts zu: Behzod Abduraimov wird unter der Leitung von Pablo Mielgo das zweite Klavierkonzert von Rachmaninov spielen. Und eine Woche später gastiert der Dirigent Marcus Bosch mit Mendelssohn, Korngold und Richard Strauss in diesem Theater.
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