Palmas Borne gilt nicht zu Unrecht als noble Anschrift. Die Flaniermeile – offiziell Passeig des Born genannt – wartet mit höchsten Immobilienpreisen und teuersten Ladenmieten auf. Die prächtige Platanenallee im Zentrum der Stadt dürfte einer der meistbesuchten Orte auf Mallorca sein.
Kaum jemandem ist bewusst, dass gerade die stattlichsten Bauwerke am Borne, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, von ein und demselben Architekten entworfen wurden. Allein vier der dortigen Prachtbauten gehen auf ihn zurück. Die Rede ist von Gaspar Bennazar (1869-1933), der schon zu Lebzeiten ehrfürchtig „S’Arquitecte”, also „der” Architekt genannt wurde. Kenner wissen: Unter der Federführung des Mallorquiners wurden in Palma repräsentative Bauwerke verwirklicht, wie die Stierkampfarena Plaza de Toros, der Schlachthof S’Escorxador, der heute der Stadt als Kultur- und Gastronomie-Zentrum dient, das millionenfach fotografierte Jugendstil-Haus L’Aguila am südlichen Ausgang der Plaça Major sowie das ehemalige Waschhaus „Rentadors” unweit des Hostals Cuba, heute ein Tourismus-Infobüro in reinstem Art-déco-Stil.
Doch dass der S’Arquitecte auch das Erscheinungsbild des Borne bis heute prägt, ist in kollektive Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, finden Kulturinteressierte und die Denkmalschützer der Organisation Arca. Sie fordern für den aus ihrer Sicht bedeutendsten Inselarchitekten der Neuzeit eine angemessene Würdigung. Einen Anlass gibt es obendrein: In diesem August jährt sich Bennazars Geburtstag zum 150. Mal. So hat mit Förderung des Rathauses von Palma vor zwei Wochen erstmals eine vorerst einmalige Führung auf den Spuren Bennazars stattgefunden. Der Historiker Josep Francesc Borne Mas zog in Begleitung der Architekten-Enkelin Maribel Bennazar Casanovas mit 70 Teilnehmern im Schlepptau kreuz und quer über den Borne und durch dessen Seitenstraßen.
„Hier sehen Sie die Kronjuwelen aus dem Werk Bennazars”, ruft Josep Borne den Zuhörern enthusiastisch zu und zeigt auf den Bau mit den beiden oval gerundeten Glaserkern zu beiden Seiten, die dem Haus aus beigem Stein eine grazile Leichtigkeit bescheren. Can Caubet heißt das dem städtischen Patriziertum erwachsene Anwesen an der Ecke Borne/Carrer Constitució. Es wurde fertiggestellt im Jahre 1926 und war Sitz der legendären Bar Formentor, die wegen ihrer Nachspeise – Erdbeeren mit Sahne – vielen Palmesanern in Erinnerung geblieben ist. Heute sind in der Immobilie mit den neobarocken Ornamenten unter anderem die spanische Juwelier- und Modemarke Tous sowie der altehrwürdige mallorquinische Fremdenverkehrsverband Foment del Turisme beheimatet.
Direkt gegenüber befindet sich die ehemalige Zentrale der Telefongesellschaft Telefónica. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Von historisierendem Fassadenschmuck gänzlich freigeblieben, zeigt das 1930 fertiggestellte Bürogebäude an seinen Fensterfronten klare Vertikal- und Horizontallinien. Das renovierte Haus erinnert an die moderne Bauhaus-Architektur und dient seit wenigen Jahren der spanischen Konzernmarke Zara als Kaufhaus für Inneneinrichtung. „Ich traue mich nicht, das Haus dem Architekturstil des ,Racionalismo’ zuzurechnen – (wie der Bauhaus-Stil auf Spanisch genannt wird). Ich bin aber sicher, dass Bennazar – hätte er länger gelebt – sich in diese Richtung weiterentwickelt hätte”, sagt Josep Borne.
Von dem Standort aus sind es nur drei Schritte auf die gegenüberliegende Seite des Borne, zum ehemaligen Kino Cine Born, wo der Zara-Konzern die Immobilie als Modekaufhaus nutzt. Gaspar Bennazar hatte den Bau 1931 vollendet im Auftrag eines Lichtspiel-Unternehmers. In den 1960er Jahren zog dann dort das Café Miami ein. „Was ich gut finde, ist, dass Zara trotz des Umbaus die Erinnerung an die ehemalige Kinoleinwand wachhält”, resümiert Josep Borne. Das Besondere an der Außenfassade des Gebäudes: Neben den angedeuteten Türmen links und rechts spielt die Front mit rechteckigen und gerundeten Fensterreihen. „Bennazar setzt mit seinen Bogenfenstern die Renaissance-Bögen fort, wie sie beim Nachbarhaus aus dem 17. Jahrhundert zu sehen sind”, sagt der Historiker und verweist auf den Solleric-Palast nebenan. Der Architekt habe dadurch seinen Neubau in die bestehende Umgebung zu integrieren gewusst.
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Direkt gegenüber dem alten Cine Born befindet sich das Patrizier-Wohnhaus Can Ribas, fertiggestellt im Jahre 1926. Dort führt seit Neuestem die Edelmarke Bulgari ein Geschäft. Besonders auffällig ist das neoklassische Portal, mit dem die Bauherren ihren Wohlstand zeigen wollten. Im Zentrum der Fassade prangt eine Marmorplakette mit Löwe und Turm, den Wahrzeichen Spaniens. Das Kunstwerk befand sich seit 1873 an einem Haus, das zuvor dort gestanden hatte und abgerissen worden war. Bennazar integrierte die Plakette in den Neubau. Später nutzte Diktator Franco die Steinplatte, um den Borne zu eigenen Ehren umzuwidmen. Bis vor wenigen Jahren war dort zu lesen: „Paseo del Generalísimo.”
Unterhalb des Borne Richtung Hafen, an der Avinguda Antoni Maura, stehen weitere Gebäude von Gaspar Bennazar. Sie sind deutlich älter und stammen aus der frühen Schaffensphase, die vom „Modernismo”, der spanischen Spielart des Jugendstils, beeinflusst gewesen war. Es handelt sich um Can Mulet, errichtet 1903. Im Erdgeschoss befinden sich das Touristenlokal Moby Dick, eine Wechselstube und eine Apotheke. Die Balkone darüber, die Pilaster der Fenster sowie der zentrale Eingangsbereich sind mit floralen Mustern verziert, während die Fassade einen zarten Rosaton aufweist. „Seine Häuser sind immer hermosa, bezaubernd”, schwärmt Josep Borne.
Auch das Haus an der Ecke Antoni Maura / Passeig Sagrera vollendete Bennazar 1903. Can Salas beheimatet heute das Restaurant Enco. An der Fassade sind Art-déco-Elemente zu erkennen. Historiker Borne bezeichnet diese als von der Wiener Secession inspiriert. Nur der Aufbau auf dem Dach von Can Salas passe nicht zur Einheit. Er wurde nachträglich und dilettantisch angebracht und zerstört nun die künstlerische Gesamterscheinung des Anwesens.
Gegenüber der Häuserzeile der Avinguda Antoni Maura, wo sich heute die Gärten Hort del Rei samt ihren Wasserspielen befinden, hatte Gaspar Bennazar 1902 drei weitere Jugendstil-Gebäude errichtet, das Teatre Lírico, das Hotel Alhambra und die Bar Alhambra. Sie wurden 1968 abgerissen. Josep Borne kann seine Enttäuschung darüber nicht verbergen. „Uns bleiben nur die Fotos. Diese drei Gebäude stellten das beste Jugendstil-Ensemble von ganz Palma dar.” Ihr Abriss seinerzeit sei eine Monstrosität gewesen. „Heute würde man solche Gebäude Stein für Stein abtragen und woanders originalgetreu wieder aufbauen.”
Josep Borne führt seine Zuhörer weiter in Richtung Lonja. In der engen Altstadtgasse Boteria kennen nicht wenige das Tapas-Restaurant La Bóveda. Das Gebäude dazu, Can Planas, das seiner dringenden Renovierung harrt, vollendete Bennazar als Jugendstilanwesen 1904. Gleich um die Ecke, direkt gegenüber dem Portal der gotischen Seehandelsbörse, errichtete der Architekt 1907 mit dem Wohnhaus Can Coll darüber hinaus eine seiner prächtigsten Jugendstil-Kreationen. Die beiden Fronten des Eckhauses sind neben einem Erker aus Metall und Glas über und über mit Motiven aus Flora und Fauna verziert, wer genau hinsieht, erkennt sogar Flügel von Schmetterlingen.
„Bennazars Werk ist spielerisch. Und der Architekt liebte es, die Bürger zu überraschen”, erläutert Josep Borne und gibt dann eine unglaublich anmutende Anekdote zum Besten. Dazu führt er die Gruppe auf die Palmenallee vor der Lonja. Diese „Passeig de Sagrera” genannte Promenade ließ Bennazar im Jahre 1910 gestalten – und zwar in einer einzigen Nacht. Anlass war eine Messe für mallorquinische Handwerksprodukte; die Lonja selbst kam als Pavillon zum Einsatz. Bennazar, der von 1901 bis zu seinem Tod das Amt des städtischen Architekten des Rathauses innehatte, ließ den Außenbereich der Lonja, der seit dem Abriss der Stadtmauer an der dortigen Stellen vollkommen ungeordnet war, innerhalb von wenigen Stunden aufhübschen. 300 Bauarbeiter legten das Podest für den Fußweg an und pflanzten zu beiden Seiten die Palmenreihen. Als die Bürger am nächsten Morgen dort vorbeikamen, fanden sie den neuen Paseo vor. „Die Palmen, die Sie hier heute sehen, sind jene, die Bennazar damals anpflanzen ließ. Sie wachsen hier seit 109 Jahren.”
(aus MM 18/2019)
1 Kommentar
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Super Artikel! Danke!!