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Eine kleine Tür gibt den Eingang in den Glockenturm frei. Und den Aufgang in eine andere Welt. Cati Mas, Konservatorin der Kathedrale von Mallorca, öffnet sie kurz, lässt uns hindurch schlüpfen und führt uns eine schmale Wendeltreppe hinauf.

Diesen Weg werden ab jetzt zahlreiche Besucher nehmen, um die Dachterrassen von "La Seu" zu besichtigen. Mehrmals täglich können Gruppen von maximal 25 Besuchern eine knappe Stunde lang das Wahrzeichen Palmas aus einer ganz anderen Perspektive erleben, und dank des Ausblicks die ganze Stadt dazu.

Die erste Verschnaufpause bietet sich nach knapp 70 Stufen. Wir betreten einen hohen Raum. An den Wänden hängen Orgelpfeifen aus Holz und Zink, Erstere sind echt und ausgetauscht, Letztere sind Attrappen, die einst das Orgelgehäuse schmückten. Nicht immer sah es hier so ordentlich aus. Lange Jahre diente der Raum als Lager, ehe er restauriert und gesäubert wurde, erzählt Mas.

Der knapp 50 Meter hohe Glockenturm besteht aus drei Teilen und wurde im 15. Jahrhundert erbaut. Wer beim Treppensteigen durch die Mauerschlitze späht, kann seine erste Besonderheit wenigstens erahnen: Die Ausrichtung des Turms entspricht nicht dem Rest der Kathedrale. Mas nennt dafür zwei mögliche Gründe: Möglicherweise wurde er auf den Fundamenten eines Minaretts erbaut, möglicherweise gaben aber auch bereits bestehende Straßen und Gebäude die Lage vor. "Beides sind eben nur Hypothesen", sagt die Konservatorin.

Dokumentiert ist dagegen, dass in dem Glockenturm einst Menschen lebten. Davon zeugen nicht nur die Reste eines Plumpsklos aus Stein, sondern auch Graffiti an der Wand, die zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert eingeritzt und gezeichnet wurden, darunter auch ein Schiff.

In diesen Jahrhunderten boten die Kirchen Leuten, die von der weltlichen Obrigkeit verfolgt oder von Fehden bedroht wurden, Asyl. Selbst Verbrechern wurde Schutz gewährt - solange sie sich benahmen. Bis heute sind die Umrisse des Gesichts eines Banditen erhalten geblieben: Sebastià Sbert. Weil er sich als Übeltäter wohl gefiel, ritzte er in seinen Namen ein Wortspiel ein: Indem er die Vokale seines Vornamens vertauschte, wurde aus Sebastià "Sabestia - die Bestie. Diesen Übermut hätte er sich besser erspart. Am Ende, so Cati Mas, landete der Bandit doch noch hinter Gittern.

Die Asylanten teilten offenbar das Leben über den Dächern der Stadt mit Arbeitern und Musikern der Kathedrale, die sich ebenfalls mit Namen und Berufsbezeichnungen in den Wänden verewigten. Es muss ein richtiger Trubel geherrscht haben. So erzählt Mas, dass sich über den Seitenkapellen des Bischofssitzes einst sogar Kammern befanden, in denen Hühner und Ziegen gehalten wurden.

Die nächsten Stufen warten. Bei Stufe 215 führt die Wendeltreppe in das nächste Turmgeschoss, in dem noch die ursprünglichen Balken erhalten sind. Die enormen Nordhölzer tragen eine schwere Last: die Glocken der Seu. Um sie zu sehen, dürfen wir eine schmale Holzleiter emporklimmen. Und bekommen eines der bedeutendsten Geläute Europas zu Gesicht: vier Glocken, die 1312 gegossen wurden und bis heute in Schuss sind.

Fünf weitere Glocken wurden im Lauf der Jahrhunderte neu gegossen, darunter auch Aloi. Die mehr als 4.600 Kilo schwere Glocke wurde 1589 gefertigt. Allerdings wird sie nur noch zur Fronleichnamsprozession und zu Sonderanlässen wie den Tod eines Bischofs oder Papstes geläutet. Grund: Auf die Bewegungen des mächtigen Bronzeobjektes führt man den Einsturz eines Gewölbes in einem Seitensaal im 18. Jahrhundert zurück.

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Vom Glockenraum geht es raus auf die Dachterrasse. Wenn man auf dem Gewölbe des Seitenschiffs wandelt und von dort auf die Stadt und das Meer, in den Innenhof des Almudaina-Palastes und auf den Palau March blickt, fühlt man sich an den "Glöckner von Notre Dame" erinnert. "Die Glöckner lebten auch hier oben", greift Mas den Faden auf. "Möglicherweise verursachte die Nachlässigkeit von Glöcknern auch zwei Brände im 18. Jahrhundert."

Der Gang über die Terrassen offenbart ein klassisches Element der Gotik. Im 15. Jahrhundert hatte es eine Planänderung gegeben. Die Königskapelle sollte zu einer stattlichen Kathedrale mit ihrem 43,7 Meter hohen Mittelschiff erweitert werden - dem höchsten Hauptschiff nach den Kathedralen von Beauvais und Mailand. Möglich war dies nur durch eine neue bautechnische Erfindung: die Strebebögen, die den Gewölbeschub des Mittelschiffs auf die Strebepfeiler in den Außenwänden leiteten. Acht dieser Bögen befinden sich über jedem Seitenschiff, was der Zahl der Seitenkapellen im Kirchenraum entspricht.

Vor unseren Füßen erheben sich die hohen Seitenfenster des Mittelschiffs, die erst im 20. Jahrhundert geöffnet wurden und heute die Kathedrale mit Licht fluten. Und dann stehen wir vor ihm: dem Auge der Gotik. So wird die Hauptrosette der Kathedrale genannt. Mit einer Oberfläche von mehr als 100 Quadratmetern und einem Durchmesser von 11,31 Metern ist sie eine der größten Fensterrosen der Welt. Erbaut wurde sie Mitte des 16. Jahrhunderts. Die 1151 bunten Scheiben wurden jedoch erst 1599 eingesetzt.

Über die meerseitige Terrasse führt der Weg zur Hauptfassade gegenüber des Almudaina-Palastes. Mit ihm vollziehen wir den Sprung von der Gotik zur Neogotik. Denn die Fassade der Kathedrale ist neueren Datums. Nach einem Erdbeben im Jahr 1851 war die alte, weitaus schlichtere Fassade baufällig, wurde unter der Leitung des Architekten Juan Bautista Peyronnet zum Teil abgerissen, neu aufgebaut und mit der heutigen Fassaden-Wand verstärkt.

Von hier aus lässt sich aus nächster Nähe ein Meisterwerk des Bildhauers Guillem Galmès betrachten. Wenig Platz blieb ihm, um die Auferstehung der Jungfrau Maria, der die Kathedrale geweiht ist, auf dem Gemäuer zwischen Süd- und Nordturm der Fassade so darzustellen, dass man sie auch noch von der Straße aus sehen kann. Das Problem löste er, indem er die Jungfrau aus dem kreisförmigen Relief mit dem Sarg und den Aposteln ausgliederte und sie, bereits auferstanden und weithin sichtbar, auf die Spitze des Firstes stellte.

Noch einmal lassen wir den Blick über Palma schweifen. Dann machen wir uns an den Abstieg, um am Ende wieder durch die enge Tür zu schlüpfen. Die profane Welt hat uns wieder.

INFOS AUF EINEN BLICK

Besichtigungen auf Spanisch und Katalanisch: MO bis FR um 9, 10.30, 12, 17, 18.30 und 20 Uhr; SA 9, 10.30 und 12 Uhr; maximal 25 Personen. Voraussetzungen: Älter als 13 Jahre, keine Herz- und Atemwegserkrankungen, schwindelfrei, nicht bewegungsbeeinträchtigt.
Eintritt: 12 Euro; 7. bis 10. Juli Tage der offenen Tür; SA 9 Uhr für Residenten Eintritt frei.
Anmeldung: www.catedralde mallorca.info/inicio/index.php/patrimonio-2/visitas/visitas-terrazas

(aus MM 28/2016)