Das Werk mit seinen detaillierten Beschreibungen ist ein einzigartiges Zeitzeugnis. Ludwig Salvator schrieb: "Häufig habe ich mehr meinem Bleistift als meiner Feder vertraut und mich deshalb bemüht, in einer großen Anzahl von Bildern sowohl den landschaftlichen Charakter und die Kunstdenkmäler dieser Inseln, wie auch das häusliche Leben, die Trachten und die Gebräche ihrer Bewohner möglichst getreu darzustellen."
Die Aufzeichnungen des Erzherzogs mit der heutigen Realität zu vergleichen, ist das Ziel des Projekts Nixe III, das zum 100. Todesjahr des Erzherzogs endet. Fünf Jahre lang segelten der Soziologe Juan Ramis und sein Team auf den Spuren von Ludwig Salvator. 2010 fand die erste Fahrt zu den Äolischen Inseln nördlich von Sizilien und den Islas Columbretes vor der valencianischen Küste statt. 2014 unternahmen die Wissenschaftler die letzte Tour auf die Balearen.
Von einigen Ergebnissen waren sie überrascht. So sieht man auf vielen Zeichnungen des "Arxiduc" Landschaften mit spärlicher Vegetation: Land, das die Bauern im Schweiße ihres Angesichts bestellten, bevor ihnen Tourismus und Bauboom ein besseres Leben verhießen. Wo, wie in der Cala Tuent in der Gemeinde Escorca, einst Agrikultur betrieben wurde, sieht man heute grüne Berghänge, die sich bis zum Meer hinziehen. "Die Vegetation hat sich spontan erholt. Es hat sich also nicht alles zum Schlechteren entwickelt", zieht Ramis ein erstes Fazit.
Verblüffend war für das Forscherteam auch, dass die Zeit mitunter keine Spuren hinterlassen hatte. Ob bestimmte Olivenbäume in Griechenland oder Ruinen in der Gegend von Andratx, manches fanden die Wissenschaftler genau so vor, wie es Ludwig Salvator vor mehr als 100 Jahren gezeichnet hatte.
Wie sehr sich eine Landschaft verändert hat, hängt laut Ramis von der Wirtschaftsentwicklung und dem Naturschutz ab. Kaum verwunderlich: Während die Küsten Mallorcas starken Einflüssen ausgesetzt waren, fand er in der Serra de Tramuntana vieles erhalten vor. Und wie die Landschaft, so die Architektur: "Wenn man sich früher mit dem Schiff Palma de Mallorca näherte, sah man zuerst die Stadtmauer und die Mühlen von Es Jonquet und Portixol. Heute sieht man sie zuletzt, weil sie zwischen Hochhäusern und Hotels untergehen." Kleine Orte wie Fornalutx und Biniaraix dagegen sähen aus wie einst, auch alte Häfen wie die von Valldemossa und Banyalbufar.
Ramis vergleicht Mallorca mit den zwei Gesichtern des Dr. Jekyll alias Mr. Hyde: massive Einschnitte auf der einen Seite, gehegte Zonen auf der anderen. Zu beidem haben Tourismus und Zuzug beigetragen. Ramis erinnert sich noch gut an die Klagen der Einheimischen, als die Ausländer begannen, Fincas zu kaufen. "Aber gerade die Deutschen und Briten haben gezeigt, wie man diese Besitzungen erhält und wiederherstellt."
Als vorausschauend erwies sich Ludwig Salvator, was die Kulturen und Bräuche im Mittelmeerraum betraf. "Der Erzherzog sah eine Angleichung der Sitten und Bräuche voraus", erklärt Ramis. "Er verwendete dafür den Begriff Homogenisierung, was ein Vorläufer der Globalisierung war."
Dafür hat der Soziologe auch auf Mallorca viele Beispiele parat. Angefangen bei den Trachten, die nur noch zu bestimmten Anlässen getragen werden, bis hin zur Gastronomie: "Viele Gerichte, die der Erzherzog beschrieben hat, sind aus der mallorquinischen Küche verschwunden. Es fand eine Reduzierung auf die Gerichte statt, die man für die besten hielt." Auf allen Reisen fand er zudem einen starken Einfluss der italienischen Küche vor: "Wir müssen hier von Italianisierung anstatt von Globalisierung reden."
Vor der Berufswelt machte die Entwicklung ebenso wenig halt. Wo Bauern und Fischer in Massen in den Dienstleistungssektor abwanderten, verschwand das traditionelle Handwerk ganz oder weitgehend. Es sei denn, es war für den Fremdenverkehr von Interesse. Zum Beispiel die Schnitzereien aus Olivenholz. Auf Mallorca überlebten sie zunächst als beliebtes Souvenir, um dann fast ganz von der Bildfläche zu verschwinden.
Veränderungen festzustellen ist nur ein Teil des Projektes Nixe III. Sie bis Mitte 2015 zu analysieren ist der nächste Schritt. Darüber hinaus plant Ramis die Verbreitung der Erkenntnisse, in Buchform, aber auch als App, damit die jüngeren Generationen spielerisch auf den Spuren des Erzherzogs wandeln können: "Um gewisse Dinge zu sehen", sagt er, "muss man erst die Sensibilität dafür entwickeln."
(aus MM 1/2015)
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