Höhepunkte auf dem Dach der Lonja, der gotischen Seehandelsbörse in Palma, ein Wahrzeichen der Balearen-Metropole. | Video: as

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Erhabenheit - kein anderes Wort beschreibt besser den Eindruck, der dem Betrachter widerfährt, wenn er das Portal der Lonja in Palma durchschreitet. Wenn er es denn durchschreiten kann. Denn die ehemalige Seehandelsbörse am Paseo de Sagrera ist für Besucher fast immer geschlossen.

Da ist es ein Verdienst der Vereinigung zur Bewahrung der Kulturgüter (Arca), dass sie den Eigentümer der Lonja, die Balearen-Regierung, mitunter dazu bewegt, das ehrwürdige Haus für geführte Gruppen zu öffnen. Drei Termine hatte es jüngst gegeben, ebenso viele wie im Vorjahr, bei denen jeweils maximal 30 Personen die Lonja (katalanisch: la Llonja, mallorquinisch: sa Llotja) betreten und, als besonderer Clou, auf die Dachterrasse durften. 85 Stufen sind es, die über eine historische Wendeltreppe auf das begehbare Flachdach der Seehandelsbörse führen.

Ein Besuch dort oben wäre lange Zeit gar nicht möglich gewesen. Denn der 1448 fertiggestellte Bau wurde rund 200 Jahre später mit einem ganz profanen Satteldach samt Balken, Stützen und Dachziegeln ausgestattet, um so dem Regen besser trotzen zu können.

Doch auch dieses Dach wurde immer wieder undicht und belastete zudem mit seinem Gewicht die grazile Konstruktion der Basis. Was tun? "Back to the roots", rieten Experten, und so wurde 2008 beschlossen, in Sachen Lonja zum Originalzustand zurückzukehren. Das Satteldach musste verschwinden. Bei der jüngsten Sanierung, die immerhin fünf Jahre dauerte und rund 2,5 Millionen Euro kostete, ließ der Architekt Pere Rebassa den Dachboden mit einem wasserabweisenden, aber dennoch atmungsaktiven Mörtelputz imprägnieren. Anschließend wurde die Dachfläche mit sechseckigen Keramikfliesen abgedeckt.

Das neue Flachdach entpuppt sich beim Begehen als wellenartig gestaltet, um das Abfließen von Niederschlägen zu beschleunigen. So erblickt der Betrachter, sobald er der Zugangsluke entsteigt, ein wogendes Meer in Terracotta-Farben.

Doch bevor es so weit ist, bestaunen die Besucher ausgiebig das Innere der Lonja. 1426 beauftragte die Händlerzunft den Gotik-Baumeister und Skulpteur Guillem Sagrere mit dem Bau der Lonja. Der Mann hatte beste Referenzen vorzuweisen, denn vorher schon hatte er in Palma das "Mirador"-Portal der Kathedrale, von dem sich weithin über das Meer blicken lässt, gestaltet.

Der Künstler und Steinmetz Sagrera stammte aus Felanitx und verstand sich auf das Bearbeiten des besten Sandsteins, den die Insel bieten konnte, (ein Material, das in der Nachbargemeinde Santanyí abgebaut wurde). Es gilt unter Experten und Kunsthistorikern als unbestritten, dass der Mann aus dem Inselosten, der zuvor an der Sankt-Johann-Kirche im französischen Perpignan mitgearbeitet hatte, durch den Auftrag der Händler sein vollendetes Können als Architekt verwirklichen konnte. Mehr noch: Die Lonja in Palma gilt als das letzte große Werk der Gotik auf Mallorca.

Erhabenheit - hinter der verwitterten Holzpforte öffnet sich ein kühler Palmenhain aus Stein. Sechs Säulen unterteilen den rechteckigen Grundriss der Lonja, die letztlich aus einer einzigen, großen Halle besteht.

Die Säulen - ohne Kapitel und Basis - sind gleichsam die Stämme der "Palmen". Sie verjüngen sich spiralförmig, mal im, mal gegen den Uhrzeigersinn. Die Palmen streben in die Höhe, öffnen und entfalten sich und gehen über in das Gewölbe, das das Dach trägt. Eine Besonderheit der Lonja: Die Gewölbegrate sind in die tragenden Mauern der Seehandelsbörse integriert, gehen fließend in das Mauerwerk über. Richten die Betrachter ihr Augenmerk in die Höhe, blicken sie von unten wie in die Baumwipfel von Dattelpalmen. Ein Hauch von schattiger Oase nimmt die Hainbesucher auf.

Erhabenheit, wie in einer Kirche. So kann man sich täuschen. Auch Kaiser Karl der V. hielt die Lonja, als er 1541 in Palma weilte, für ein Gotteshaus. Als man Majestät über seinen Irrtum aufklärte, freute sich der Herrscher, in dessen Reich die Sonne nie unterging. "Dann gehört sie ja mir", soll er über die Lonja gesagt haben. Denn als öffentliches Verwaltungsgebäude für den Handel zählte es mit zum Krongut des Kaisers.

"Waren wurden nicht in die Lonja hineingeschafft", erläutert der Historiker Xavier Terrasa, der für Arca die Führung organisierte. Vielmehr trafen sich dort die in Palma angelangten Kapitäne und Händler zur See, um mit ihren Kollegen der Insel Preise und Güterumsatz zu vereinbaren. Die Halle war ein virtueller Umschlagsplatz für Getreide, Leder, Olivenöl, Eisenwaren, Pökelfleisch, Bienenwachs; ein Tempel des Mammon unter filigran aus Stein gehauenen gotischen Fenstern und Heiligenfiguren.

In späteren Zeiten wurde die Lonja auch als Ballsaal genutzt, als Gießerei für Kanonenkugeln, und jüngst als erhabener Hort für Kunstausstellungen, Preisverleihungen und Präsentationen. Auch der damalige Bundespräsident Johannes Rau wurde 2002 von der Balearen-Regierung in der Lonja empfangen, ohne allerdings seinerzeit das Dach besteigen zu können.

Das Dach: Gewöhnen sich die Augen an das gleißende Licht des mediterranen Nachmittags, dann eröffnet sich von den Fensterfassaden der Lonja ein ungeahnter Panoramablick auf das Meer, den Paseo, den benachbarten Regierungssitz des balearischen Ministerpräsidenten, die Gassen der Altstadt und ostwärts, über allem schwebend, die Kathedrale von Palma, gleichsam die große gotische Schwester der kleinen Lonja. Es ist dieses Zusammenspiel aus Farbe, Licht, Historie und Baukunst, aus mittelalterlicher Hafenstadt und moderner Touristenmetropole, das den "Catwalk" am Rande des Daches zu einem einzigartigen Erlebnis macht.

Dafür Eintritt bezahlen? Es gibt Überlegungen der Balearen-Regierung, den Zugang zur Lonja gegen Eintritt dauerhaft zu öffnen. "Warum nicht?", meint Xavier Terrasa. Auch bei anderen Kulturgütern werde Eintritt fällig, wie der Berlin-Besucher aus eigener Anschauung weiß. Sogar in Kirchen erhebt der Klerus zum Teil Geld für den Eintritt. "Sinnvoll ist das aber nur, wenn die Einnahmen der Erhaltung der Gebäude zugute kommen."

Sehen Sie auch die Fotogalerie und das Video zur Lonja.

(aus MM 24/2014)