Für so manchen begann der erste Urlaub in der Ferne mit einer Busreise nach Lloret de Mar, einem beliebten Urlaubsort an der Costa Brava. Die 399 DM konnte sich ein Auszubildender oder Student gerade so leisten und die 20 Stunden Fahrt wurden von dem jugendlichen Stützapparat noch problemlos weggesteckt. Mallorca war damals unerreichbar; alleine der Flug hätte das schmale Budget schon aufgezehrt. Mit dem Einstieg ins Berufsleben wurde der finanzielle Spielraum größer und der Sehnsuchtsort seit Jugendzeiten wurde ein konkretes Reiseziel.
Der erste Besuch auf der Insel war vielleicht noch mit Freunden. Partynächte auf der Schinkenstraße und exzessives Feiern im Bierkönig prägten die Zeit auf der Insel. Man war fasziniert von den vielen neuen Eindrücken, der pulsierenden Energie und der grenzenlosen Ausgelassenheit, die Mallorca besonders an der Playa de Palma ausstrahlte. Mit der Zeit änderten sich dann die Prioritäten: Eine Familie wurde gegründet und mit Frau und Kind sollte der Urlaub vor allem Ruhe und Entspannung bieten, abseits des großen Trubels. Die idyllischen Dörfer im Inselinneren und die friedliche Atmosphäre der vielen kleinen Buchten machten fortan den perfekten Urlaub aus.
So sehr das Fernweh immer wieder durch Reisen um den halben Globus gestillt wurde, immer weniger durfte ein Jahr vergehen, ohne dass man zumindest einmal auch nach Mallorca zurückkehrte, um die vertraute Schönheit der Insel wieder zu erleben und die tiefe Verbundenheit zu spüren, die inzwischen gewachsen ist. Längst wurde nur noch in „unserem” Hotel übernachtet und man suchte in der gewohnten Umgebung häusliche Geborgenheit.
Doch jedes Jahr aufs neue schlug einem die grausame Realität entgegen: So freundlich die Dame an der Rezeption einen auch begrüßte, so wenig erinnerte sie sich daran, dass man nun schon mehr als ein Dutzend Mal hier war. Man wird abgewickelt mit der üblichen Standardprozedur. Kein wirklich persönliches Wort, keine besondere Anerkennung – man bleibt einer von den vielen Gästen, die unablässig zu- und abfließen im Pulsschlag des Massentourismus.
Trotz der Vertrautheit der Umgebung wird klar, dass die eigene Bindung zu diesem Ort viel tiefer reicht als die flüchtige Wahrnehmung der Hotelangestellten. Was einen jahrelang kaum gestört hat, beginnt nun leise an einem zu nagen – das Gefühl, dass dieser Ort, der einst so besonders war, in der Routine des Massentourismus seine Einzigartigkeit verliert, aber die gleichzeitig immer mehr ersehnte Vertrautheit nicht aufkommen will.
Auf dem Weg zum Lieblingsrestaurant an der Strandpromenade blieb der Blick plötzlich an einem Schaufenster hängen, das all die Jahre unbeachtet blieb. Nun aber wird die Auslage wissbegierig studiert, verheißt sie doch das, wonach man sich inzwischen so sehr sehnt. Da prangt das Bild einer zum Verkauf stehenden lichtdurchfluteten Eigentumswohnung, nur wenige Gehminuten vom Strand entfernt. Großzügige Fensterfronten lassen den Blick über das azurblaue Meer schweifen, während der Balkon zum Entspannen in der Sonne einlädt. Die Vorstellung, jeden Morgen mit Meeresrauschen aufzuwachen und die Tage in dieser eigenen vertrauten Umgebung zu verbringen, setzt die Gedanken in Bewegung, Gedanken an ein echtes zweites Zuhause.
Es wird gerechnet: Finanzierung und Unterhaltskosten minus jährliche Hotelraten. Eine mögliche und nicht unwahrscheinliche Wertsteigerung wird ins Kalkül einbezogen. Gespräche mit Maklern werden geführt, Besichtigungen folgen und schließlich wird die Entscheidung getroffen: Eine eigene Wohnung, nah am Meer. Vorbei der ständige Wechsel der anonymen Hotelzimmer. Das Gefühl, immer nur ein Gast unter vielen zu sein, gehört endgültig der Vergangenheit an.
In Zukunft wartet hinter der eigenen Tür der vertraute Duft der Möbel, die selbst ausgewählt oder mitgebracht wurden, und der eigene Platz am Balkon, der nie von Fremden besetzt ist. Als Residenz-Tourist ist man angekommen, sowohl räumlich als auch emotional. Hier ist man kein Teil des flüchtigen Massentourismus mehr, sondern ein Bewohner auf Zeit, der nach Jahren des Reisens endlich das Stück Beständigkeit gefunden hat, das zuletzt so schmerzlich vermisst wurde.
Doch so verlockend das Leben als Residenz-Tourist auch erscheint, hat es auch eine Schattenseite. Der Kauf von Immobilien durch ausländische Investoren treibt die Preise in die Höhe, sodass viele Einheimische sich das Wohnen auf ihrer eigenen Insel kaum noch leisten können, was zu Spannungen führt. Zudem verändert sich die Struktur der Orte: Wo einst authentische, mallorquinische Kultur gelebt wurde, entstehen zunehmend Luxuswohnungen und Ferienresidenzen. So trägt auch der Residenz-Tourismus unweigerlich dazu bei, dass Mallorca sich immer weiter von seiner ursprünglichen Identität entfernt – und das Gefühl der Zugehörigkeit, das man sich selbst geschaffen hat, bleibt letztlich doch ein Stück weit eine Illusion.
Der Autor ist Kunst- und Architektur-Fotograf, Essayist, Autor, Publizist. Christian Sünderwald, Jahrgang 1968, wuchs in München, Luxemburg und Oberfranken auf. Er ist in Chemnitz wie in Palma zu Hause. Nähere Infos zu seinen Fotografien finden Sie in diesem Youtube-Kurzvideo
4 Kommentare
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Nachtrag = Dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, langt man allen Mitgläubigeren und Ketzern gemeinsam in die Tasche, um irgendwelche erdachten Vorhaben zu finanzieren und treibt sie dann in die Arme einer Opposition, die aber schleunigst verboten werden müssen, da diese ja das Volk auf den falschen Weg führe. - Ah Ja, diese? Auch dies ist einer der Gründe, warum sich wiederum viele davon machen, und ihr Vermögen in Eigentum investieren, bevor die Geier es weg schnappen, wie es die Linksideologen in wirrer sozialistischer Träumerei monoton wiederholen. Fazit = das ist alles zu verstehen, aber liebe Landsleute, wenn Ihr verlangt das sich Zuwanderer in DE integrieren und die "Wertekultur des Gastgebers" respektieren müsse, dann geht bitte mit Beispiel voran. Eine Assimilierung ist ja nicht verlangt, sondern nach dem demokratischen Grundgedanken eines demokratischen, vereinigten Europas, der eine Staat im Staate Lebensweise ablehnt. Genau das aber, >> gilt auch für die Mallorquiner<<<., die das verhindern wollen, in dem sie mehr oder weniger offen den Separatisten in Barcelona folgen und nicht teilen möchten. Demo Tenor "Mallorca gehört uns". Die sollten die Augen zu machen und was sie da sehen, gehört ihnen.
Danke = Ein wahrhafter Artikel, der wenn auch in epischer Breite beschreibt, was die "Residenz-Touristen" (was für eine zutreffende Wortschöpfung) nicht wahrhaben wollen, aber ich ihnen hier schon mit anderen Worten als Spiegel vorgehalten habe. Das Kern Zitat = "So trägt auch der ""Residenz-Tourismus"" unweigerlich dazu bei, dass Mallorca sich immer weiter von seiner ursprünglichen Identität entfernt – und das Gefühl der Zugehörigkeit, das man sich selbst geschaffen hat, bleibt letztlich doch ein Stück weit eine Illusion." Erinnert Euch, dass ich sagte, alles das, vor dem Ihr im Alltag mit fliegenden Fahnen damals davon gelaufen seid, hat Euch wieder eingeholt. Das gesuchte Paradies wollen andere auch haben, nachdem es wie saures Bier medial öffentlich an den Mann/Frau gebracht wurde. Das Motto "Will auch haben", wirbelte seit dem in allen Köpfen herum, die wie Ihr auch damals die Nase voll haben, von der omnipotenten politischen Streiterei und ideologischer Gängelei , die sich um ein Vielfaches verschlimmert haben, mit klar erkennbaren faschistischen Androhungen als Ketzer in die Hölle zu kommen, wenn man ihrer Rechthaberei nicht Kniefällig folgen wolle.
Guten Morgen Moderation. Wieder stelle ich fest, wo bleibt meinen Betrag? Was ist denn los?
Das kann ich noch toppen. Eine Woche Lloret de Mar mit dem Bus für 99 DM. Eine lange Fahrt mit einem ! kettenrauchenden Fahrer und gewöhnungsbedürftigen Mitreisenden.