„Man darf sich nicht aufgeben”, sagt die deutsche Mallorca-Residentin Nadine. Ohne familiäre Unterstützung ist sie mit ihrer Tochter auf sich alleine gestellt. Trotzdem will sie anderen Frauen Mut machen. | istockphoto.com/Aleksandra Golubtsova

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Monate hat es gedauert, bis sie langsam anfing zu realisieren, was ihr angetan wurde. Erst der Anwalt öffnete der deutschen Mallorca-Residentin Nadine (Name von der Redaktion geändert) die Augen: „Dieser Mann ist gefährlich”, sagte er, als sie anfing, von dem Martyrium in ihrer Beziehung zu erzählen. Plötzlich sei aus ihr herausgebrochen und sie habe viel geweint, schon beim ersten Termin. „Weil ich mich dort sicher gefühlt habe, weil ich dort das Gefühl hatte, die helfen mir, die verstehen mich und ich bin nicht ausgeliefert”, erzählt sie.

Um überhaupt zum Anwalt gehen zu können, musste die Deutsche einen Kredit von mehreren Tausend Euro aufnehmen. Heute weiß sie: „Ich habe sämtliche Formen von psychischer Gewalt erlebt.” Laut und deutlich spricht sie es aus, als würde sie dadurch ihre Mündigkeit wiedererlangen, die ihr über Monate geraubt wurde. Während sie erzählt, zündet sie sich eine Zigarette nach der anderen an. „Ich wurde erpresst, belogen, betrogen, manipuliert, erniedrigt und vergewaltigt”, zählt sie atemlos auf.

Nadine ist eine Frau Mitte dreißig, groß, schlank, attraktiv. Ihr braunes Haar glänzt in der Sonne. Um in Ruhe Zeit für das Gespräch mit MM zu haben, hat sie ihre Tochter schweren Herzens für zwei Stunden zum Vater gegeben. „Jedes Mal, wenn sie dort ist, habe ich keine Ruhe. Ich habe immer Angst, dass wieder etwas passiert.” Zwar sei ihr Mann gegenüber dem zweijährigen Kind nie ausfallend geworden, „trotzdem musste ich mein Kind schützen”, sagt sie.

Vor einem Dreiviertel Jahr fing alles damit an, dass Nadine vermutete, ihr Mann würde sie betrügen. Dem war auch so. „Das war aber nicht das Problem. Sondern, wie er damit umgegangen ist”, blickt sie zurück. Anstatt offen und ehrlich zu sein, habe sich ihr Ehemann in ein Lügennetz verstrickt. „Jeden Tag kamen neue Geschichten dazu. Zum Schluss war tatsächlich ich schuld, dass er mich betrogen hatte.” Später habe er Freunde und Familie gegen sie aufgehetzt. Auch einen sexuellen Übergriff gegen ihren Willen habe es gegeben, erzählt Nadine. „Ich konnte mich nicht wehren, ich war wie einbetoniert. Es war wie in einem Traum: Man will weglaufen, kann aber nicht.” Einmal habe ihr Noch-Ehemann sie geschubst, weil sie seiner Meinung nach zu lange mit einer Freundin telefoniert hatte.

Fälle wie den von Nadine erlebt Diego Coronado Mansilla beinahe jeden Tag. Seit 16 Jahren ist er Anwalt für Familienrecht auf Mallorca, seit 2015 arbeitet er in der Kanzlei Font Mora Sainz de Baranda in der Inselhauptstadt. Vor allem psychische Gewalt gegenüber Frauen sei in den vergangenen Jahren ein immer größeres Problem geworden: „Doch allmählich wird die Situation durch die Arbeit des Gesetzgebers und der Gerichte korrigiert. Es gibt mehr Schutz und Mittel, um die Sicherheit der Frauen zu gewährleisten, aber es ist noch ein weiter Weg”, so der Anwalt.

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Er bestätigt, dass die Justiz auf Mallorca langsam arbeitet: „Da es sich um ein System von Garantien für alle Parteien handelt, verlangsamt es die Verfahren in den meisten Fällen mehr als gewünscht.” Bei familienrechtlichen Angelegenheiten werde „vorsorglich sehr schnell entschieden”, sagt der Jurist, „ungeachtet der Tatsache, dass danach ein vollständiges Verfahren zur endgültigen Festlegung des Sorgerechts, des Unterhalts und anderer Maßnahmen im Falle der Trennung eines Paares mit minderjährigen Kindern durchgeführt werden muss.”

Seit einigen Jahren schon lebt Nadine auf Mallorca. Da ihre ganze Verwandtschaft in Deutschland ist, hat sie vor Ort keine familiäre Unterstützung. „Manchmal habe ich richtig Angst, dass mein Kind krank wird. Dann müsste ich mir von der Arbeit unbezahlten Urlaub nehmen.” Aktuell ist sie auf Wohnungssuche – mit einem Gehalt von 1000 Euro. „Kaum jemand will eine alleinerziehende Mutter als Mieterin haben”, berichtet sie, „deshalb habe ich diese Info aus meinen Profilen auf Immobilienportalen herausgenommen. Meine Katze ist meistens kein Problem für die Vermieter – mein Kind aber schon.”

Parallel erstreitet sie sich Unterhaltszahlungen von ihrem Ehemann und kämpft zeitgleich für das alleinige Sorgerecht. Manchmal habe sie noch immer Zukunftsängste: „Da frage ich mich: Wohin mit mir? Wie soll ich das alles nur schaffen?” Auch unter Panikattacken habe Nadine schon gelitten. Die deutsche Residentin Tanja (Name von der Redaktion geändert) kann diese Probleme nachempfinden. Seit einem Jahr sei sie wegen ihres Ex-Mannes in psychologischer Behandlung und nehme Psychopharmaka: „Mein Ex-Mann hat mich psychisch fertig gemacht und unser gemeinsames Kind geschlagen. Er war aggressiv und hat mich verfolgt.”

Fast sechs Jahre dauere der Rechtsstreit zwischen der 36-Jährigen und ihrem Ex-Mann nun an. Erschwerend komme hinzu, dass er Anwalt sei. „Wir sind beide Eigentümer einer Wohnung, aus der ich nun per Zwangsversteigerung raus soll, obwohl meine sechsjährige Tochter und ich keine andere Bleibe haben. Das alles ist rechtswidrig, interessiert hier aber niemanden”, erzählt sie am Telefon. Tanja lebt in der Inselmitte, der Kindesvater im Süden, das Sorgerecht ist geteilt. „Ab einer Distanz von 50 Kilometern zwischen den Eltern ist es rechtlich eigentlich gar nicht erlaubt, dass man sich das Sorgerecht teilt”, erklärt sie, „deshalb vermute ich mittlerweile Korruption.” Dass psychische Gewalt in Beziehungen weniger sichtbar ist als Körperliche, hat Tanja Schwierigkeiten bereitet. Zwar sei sie schon zur Polizei gegangen, um ihren Ex-Mann anzuzeigen, jedoch erfolglos. „So lange kein Arm ab ist, passiert hier gar nichts.”

Nadine geht sogar noch einen Schritt weiter: „Ich wünschte, mein Mann hätte mich geschlagen. Dann wäre der Schaden sichtbar gewesen.” Zum letzten Mal zündet sie sich eine Zigarette an. „Man darf sich nicht aufgeben. Es geht jetzt nur noch um mich und meine Tochter”, spricht sie mit kräftiger Stimme aus. „Und ich habe ein gutes Gefühl, wenn ich an unsere Zukunft denke.”