„Wenn Du Gott zum Lachen bringen willst, mach Pläne!“. So oder so ähnlich drückte sich der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal bereits im 17. Jahrhundert aus. Vielleicht hat Gott tatsächlich herzhaft gelacht über meine Idee, über das vergangene Wochenende nach Deutschland zu fliegen, um meine Klienten am Bodensee mal wieder live und in Farbe zu sehen. Jedenfalls hat er mit einem unerwarteten Stau gigantischen Ausmaßes dazu beigetragen, dass ich mein Flugzeug verpasst habe und damit auf der Insel bleiben musste. Nun gibt es, gerade in diesen Tagen, durchaus Schlimmeres und die Tatsache, dass das Wetter in Deutschland gerade am Wochenende noch einmal recht winterlich war und daneben die durch einen angekündigten Streik angespannte Situation am Flughafen auch nicht wirklich einladend erschien, war meine Enttäuschung recht bald vergessen. Ich konnte alle Klienten von live auf online umstellen und mein Schaden begrenzte sich darauf, dass ich liebe Freunde nun erst ein paar Wochen später, Anfang Mai, sehen werde.
Deutlich enttäuschter war ich dann am Sonntag, als mir einfach so mitgeteilt wurde, dass das von mir ins Visier genommene kleine Cabrio, das ich mir vom nicht ausgegebenen Urlaubsbudget der letzten Jahre gönnen wollte, bereits an jemand anderen verkauft worden war. Und zwar drei Stunden vor dem Termin, den ich erst tags zuvor ausgemacht hatte. Da war von einem anderen Interessenten noch keine Rede gewesen. Ich hatte in froher Erwartung schon den Kaufpreis bereitgestellt und mir überlegt, welche Musik ich auf der Rückfahrt mit meinem neuen (alten) kleinen Freund hören würde. Ich sah mich schon mit flatternden Haaren und einem breiten Grinsen im Gesicht über die Insel cruisen. „Thank you for your interest”, hieß es noch lapidar in der Nachricht und ich spürte, wie ich innerlich zu kochen begann. Sonderlackierung, schwarze Ledersitze, etwas abgewetzt und speckig, aber was will man von einem mehr als 20 Jahre alten Auto erwarten, kompakte Form und bestens für die Straßen Mallorcas geeignet. Weg, verkauft, einfach so. Erst der verpasste Flug, dann das verpasste Auto. Ich fühlte mich angezählt, wie ein Boxer, der kurzzeitig umgefallen war und einigermaßen die Orientierung verloren hatte.
Nun gehöre ich zu den Menschen, die glücklicherweise meistens nicht sehr lange enttäuscht sind, sondern versuchen, das Beste aus allem zu machen. Der (verpasste) Rückflug hatte zwei Stunden Verspätung, aber da ich ja nicht mitgeflogen war, kam ich am Abend pünktlich zu einer feinen Essenseinladung bei Freunden. Und sicher werde ich bald ein noch viel besseres Auto finden, ich hoffe es zumindest. Wenn es um Zwischenmenschliches geht, bin ich allerdings nicht so leichtfüßig unterwegs und renne oft und mit Fleiß in die Erwartungsfalle, werde dementsprechend auch gerne mal enttäuscht. Sei es, dass mich irgendwann das Gefühl beschleicht, der Partner müsse doch spüren, dass ich gerade mehr Aufmerksamkeit brauche oder Zuspruch oder einfach in Ruhe gelassen werden möchte. Oder, dass sich eine Freundin so gar nicht mehr meldet und mich das Gefühl beschleicht, dass ich immer dafür sorgen muss, dass wir in Kontakt bleiben. Das müsste sie doch auch merken. In früheren Zeiten hätte der Chef ebenfalls sehen müssen, wie sehr ich mich bemühte, es recht zu machen, alle Aufgaben fristgerecht und sorgfältig zu erfüllen und abzuliefern. Warum hat er denn nie gelobt oder eine Prämie oder andere Gratifikation vorgeschlagen? Erwartungen über Erwartungen.
Die Krux dabei ist, dass im Grunde niemand Gedanken lesen kann. Und selbst der feinfühligste Partner, Freund oder Chef hat ja auch noch anderes im Kopf, als zu erspüren, was in uns vorgeht und was wir gerade brauchen. Da sind Enttäuschungen geradezu vorprogrammiert und führen jeden Tag bei sehr vielen Menschen zu Frust, Streit, vielleicht sogar Trennung oder Kündigung. Was ist eigentlich genau eine Erwartungshaltung? Es ist eine durch Annahmen, Wünsche oder Bedürfnisse geprägte Haltung. In der Psychologie und Soziologie wird die Erwartungshaltung auch als Antizipation bezeichnet und bedeutet „eine vorweggenommene, gedankliche Erwartung eines Ereignisses oder einer Reaktion”. Wie aber kann man nun mit seinen Erwartungen umgehen? Im Schwäbischen heißt es: Man muss schwätze mit d‘Leut‘. Und das ist auch schon des Rätsels Lösung. Es geht kein Weg daran vorbei zu lernen, seine Bedürfnisse mitzuteilen. Ganz gleich, ob es dabei um den Partner, eine Freundin oder die Chefin geht. Sprechen Sie darüber, was Sie sich wünschen, was Sie brauchen, was Sie erwarten, was Sie glücklich macht. Statt darauf zu hoffen, dass andere Ihnen die Wünsche von den Augen ablesen, tauschen Sie sich miteinander aus und finden Sie so nicht nur zu einer realistischen Erwartungshaltung, sondern zu einer gemeinsamen Vereinbarung.
Ähnlich sieht es aus, wenn Sie selber regelmäßig mit überzogenen Forderungen und Ansprüchen an Ihre Person konfrontiert werden. Auch in diesem Fall hilft es, miteinander zu reden. Wichtig kann es ebenfalls sein, eine gewisse Form von Gelassenheit zu entwickeln, die es Ihnen ermöglicht, ohne Druck zu überprüfen, ob Sie die Erwartungen der anderen Person erfüllen können und wollen. Klären Sie die folgenden Punkte für sich: Selbstreflexion – Haben Sie ein Versprechen abgegeben, eine Absprache oder Vereinbarung getroffen? In dem Fall wäre die Erwartungshaltung gerechtfertigt und die Erfüllung sollte selbstverständlich sein. Relativierung – Machen Sie sich bewusst, dass die Erwartungen an Sie nur eine Meinung und Annahme darstellen, die Sie zunächst zu nichts verpflichten. Einordnung – Sehen Sie kritische Rückmeldungen („Ich bin sehr enttäuscht von dir”) als menschlich nachvollziehbare Reaktion. Eine Enttäuschung basiert auf einer Täuschung. Sofern Sie vorher nichts versprochen haben, ist es eine reine Selbsttäuschung. Klärung – Entschärfen Sie Konflikte durch eine ungerechtfertigte Erwartungshaltung, indem Sie das Thema ansprechen und bereinigen. So lässt sich oftmals eine Eskalation vermeiden.
Vielleicht konnte ich Sie heute anregen, einmal über Ihre Erwartungen an andere zu reflektieren und ebenso zu hinterfragen, welche Ansprüche, die an Sie selbst gestellt werden, überzogen sind oder vielleicht auch gerechtfertigt.
(aus MM 14/2023)
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