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Es hat etwas von moderner Kunst. Aus einer weißen Säule sprießen Blattsalate, Küchenkräuter, Tomaten, Zucchini und Gurken. Das üppige Schauspiel steht auf einer Terrasse in Palmanova. Es ist Pflanzenanbau mit Hightech, sogenanntes Vertical Farming, vertikale Landwirtschaft mit Aeroponik. „Es gibt kein anderes Pflanzenwachstumssystem der Welt, das gesündere Pflanzen erzeugt,” meint Hans Ulrich Schwartau. Der 64-Jährige hat den „Greeny”, wie er die Säule nennt, entwickelt und diese Woche der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein Exemplar kostet 1460 Euro, inklusive istein Starter-Kit mit allem was man für ein Jahr braucht – Samen, Nährstoffdünger, Pflanzenkörbchen.

Beim Vertical Farming werden Pflanzen nicht horizontal, sondern auf mehreren Ebenen übereinander angebaut. Sie wachsen aeroponisch, das heißt ohne Erde, aber mit einer Nährstoff-Wasser-Lösung. „Die Lösung befindet sich in einem Tank unten in der Säule. Ein- bis zweimal in der Stunde wird sie nach oben gepumpt und besprüht die Wurzeln”, erzählt Hans Ulrich Schwartau. Anschließend könnten die Wurzeln wieder Sauerstoff aus der Luft aufnehmen. Das ermögliche ein fünf- bis sechsmal schnelleres Wachstum. Aeropone Systeme gibt es schon lange. Die Anlagen stehen in riesigen Gewächshäusern. „Das Neue ist, dass wir sie für den Endverbraucher zugänglich machen.”

Hans Ulrich Schwartau kommt aus dem Bootsbau und der Kunststofftechnologie. Seit 20 Jahren lebt er auf Mallorca. Die Idee für den Greeny kam ihm vergangenes Jahr im Lockdown, erzählt er. In Zeiten von Corona würde sich gerne jeder selbst versorgen, aber nicht jeder hätte einen Garten und auch nicht die Zeit oder das Wissen, ihn zu pflegen. „Den Greeny können Sie sich auf den Balkon stellen oder in die Wohnung und sich damit das ganze Jahr über selbst versorgen.” Eine Säule ersetze zirka 60 Quadratmeter Ackerfläche und brauche 95 Prozent weniger Wasser. „Das ist eine tolle Art, hier auf der Insel Wasser zu sparen.”

Alles, was über der Erde wachse, könne angebaut werden, sagt der Deutsche. Einen grünen Daumen brauche man nicht. Die Versorgung mit Wasser und Nährstoffen erfolge vollautomatisch. Nur biologische Produkte kämen dafür zum Einsatz und keine Pestizide. Ein spezieller Filter reinige das Wasser beim Einfüllen. Bereits nach einer Woche sprieße Salat. Cherrytomaten oder Chilischoten seien in drei bis vier Wochen erntereif. „Probieren Sie mal”, meint Schwartau und zupft ein paar Blätter Rettich und schaut gespannt. Sie schmecken intensiv pikant. „Hier haben Sie einen bis zu 40-fach höheren Nährstoffwert als bei Gemüse aus dem Supermarkt.”

Hergestellt werden die Säulen gleich im Nebenraum, und da wird es richtig Hightech. Etwa 40 3D-Drucker surren vor sich hin. Schicht für Schicht tragen Sie Filament von einer Spule auf. „Die Gewächssäule besteht nicht aus Plastik, sondern aus Polymer auf der Basis von Milchsäureproteinen.” Die Säulen entstehen in mehreren Teilen, die dann schraublos zusammengesteckt werden. Sie seien voll biologisch abbaubar. Würde man sie in den Kompost geben, wären sie nach sechs bis acht Monaten wieder komplett Natur, verspricht Schwartau. Ansonsten halte das Produkt 25 Jahre. In der Zukunft soll die Herstellung dezentralisiert erfolgen. „Die Kernidee ist die der Nachbarschaftsmanufaktur.” Gemeint seien kleine Produktionszentren, auf der Insel verteilt.

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Ein nachhaltiger Hightech-Kräutergarten für zu Hause, frisches Obst und Gemüse das ganze Jahr hindurch, keine langen Transportwege, Unabhängigkeit von Lieferketten und großen Konzernen – das verspricht Hans Ulrich Schwartau. Auch andere Hersteller bringen zurzeit ähnliche Produkte auf den Markt. Da ist zum Beispiel der „Plantcube” des Münchner Unternehmens Agrilution.

Ganz nachhaltig sind die Vertical Farms indes nicht. Zum Funktionieren benötigen sie Strom. „Doch wenn Sie die Säule auf Mallorca draußen aufstellen, reicht eine 24-Volt-Pumpe, die können Sie über eine Solarzelle betreiben”, sagt Schwartau.

Auch zur Herstellung der Säulen sind große Mengen von Energie notwendig. „Wir produzieren klimaneutral”, betont der Entwickler. Für jede gedruckte Säule werde ein Baum gepflanzt.

Es gibt auch andere Bedenken, etwa die Abhängigkeit von der Technik, so Kritiker. Und im Gegensatz zur Hightech-Farm produziere ein Garten in der Natur nicht nur hochwertiges Gemüse. Er fördere auch die Artenvielfalt. Außerdem müssten Pflanzen in der Natur Schädlinge und Insekten abwehren und stellten dabei wertvolle sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe her.

Doch für Schwartau überwiegen die Vorteile bei weitem. „Gärtnern zu Hause ist wunderbar, wir ermutigen alle, das zu tun”, meint er. Und hier auf Mallorca sei allein das Wassersparen ein wertvolles Argument für eine vertikale Farm.

(aus MM 41/2021)