TW
1

Es ist eine besondere Magie, die der Bierkönig seit 1988 ausstrahlt. Der Partytempel bedeutet für viele seiner Gäste nicht nur exzessiven Alkoholkonsum, sondern auch Gemeinschaft, Tradition und das Zusammenkommen von Menschen, die sich eigentlich spinnefeind sein müssten. Am 2. Mai 2015 haben Kevin und Annika Kaltwasser genau diese Magie erlebt. „Dieser arrogante Braunschweiger”, war das Erste, was Annika Kaltwasser über ihren zukünftigen Ehemann dachte. „Als Hannover-96-Fan teilst du dir den Tisch nicht mit einem, der ein Braunschweig-Trikot trägt. Wir sind quasi Derby-Erzfeinde, das geht gar nicht.” Die Geselligkeit des Bierkönigs und die zwei Literkrüge Wodka Lemon haben dieses Wunder dennoch vollbracht. „Wir sind dann doch ins Gespräch gekommen und haben die Fußball-Differenzen irgendwann einfach ausgeblendet”, ergänzt der Braunschweiger Kevin Kaltwasser.

Aus dem Urlaubsflirt wurde nach einem Wiedersehen in Deutschland schließlich Liebe. Im Jahr 2017 heirateten die beiden und bestiegen nach der standesamtlichen Trauung und einem kurzen Sektempfang mit Freunden und Familie den nächsten Flieger nach Mallorca. Der Plan war, fünf Tage an der Playa de Palma zu verbringen. Es wurden Flitterwochen im Bierkönig, und Kevin Kaltwasser erklärt auch, warum. „Wir sind keine Playa-Fans, sondern Schinkenstraßen-Fans. Besonders im Bierkönig fühlen wir uns zu Hause. Dort ist es egal ob du dick, dünn, groß, klein, jung, alt, arm oder reich bist. Im König zählt nicht wer, sondern wie du bist. Unsere Geschichte ist da das beste Beispiel.” Die beiden gehörten allerdings schon zum Bierkönig-Inventar bevor sie sich dort kennenlernten. Kevin Kaltwasser war 2003 und Annika Kaltwasser 2005 das erste Mal auf der Insel und in dem Kultlokal.

Im vergangenen Jahr hat sich das Paar schließlich sogar dazu entschlossen, nach Mallorca auszuwandern und lebt heute auf einer Finca nahe Llubì. „Der König war zwar nicht der entscheidende Grund, aber er war auf unserer Pro- und Kontra-Liste, auf der Pro-Seite ganz oben”, lacht Kevin Kaltwasser und seine Frau ergänzt: „Unser letzter Besuch dort war im Januar 2020 also kurz bevor das alles angefangen hat.”

Die Corona-Krise zwang das Kultlokal im August vergangenen Jahres seine Türen zu schließen. Nach fast einem Jahr Zwangsschließung verbreitete sich die gute Nachricht unter den Fans deshalb wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzwerken: „Wir freuen uns sehr, Euch mitteilen zu können, dass wir am 20. Mai den Bierkönig nach einer langen Pause wieder öffnen können.” schrieb das Unternehmen auf seiner Facebookseite.

Für Kevin und Annika Kaltwasser war es Ehrensache, bei der Wiedereröffnung mit dabei zu sein. „Keiner wusste, um welche Uhrzeit aufgesperrt wird, und wir wollten unbedingt mit die ersten sein. Der Wecker hat an dem Morgen um 4.30 geklingelt, damit wir ja um 8.30 vor der Tür stehen können.” Hätten sie gewusst, dass das Kultlokal erst um 12.30 Uhr an diesem Tag öffnen würde, hätten sie wohl noch etwas länger geschlafen. „Egal” winkt Kevin Kaltwasser ab, „das Warten hat uns nicht gestört und der Moment, als wir endlich wieder durch die Tür hinein durften, war einfach unbeschreiblich. Annika hatte die ganze Zeit Gänsehaut, und ich musste mir zwischendrin sogar eine Träne verdrücken. Ihr könnt das vielleicht nicht nachvollziehen, aber der Bierkönig zieht sich durch unsere ganze Beziehung. Für uns war das wie nach Hause kommen.”

Ähnliche Nachrichten

Und es war ein Treffen mit alten Bekannten: „Wir haben uns riesig gefreut alle Mitarbeiter wiederzusehen. Das sind alles noch die gleichen, selbst die Toiletten-Frau ist noch da.”

Auch wenn das Personal noch das alte ist, hat sich das Feiern in der Kult-Diskothek dennoch stark verändert, denn es gibt neue Regeln für die alten Hallen. Wo früher mehrere Tausend Menschen feierten, dürfen das jetzt nur noch einige Hundert Gäste zur selben Zeit. Einlass gibt es außerdem nur mit einer Reservierung und einem QR-Code, der entweder auf dem Mobiltelefon oder in ausgedruckter Form vom Sicherheitspersonal kontrolliert wird. Masken sind für alle Pflicht, und die Kellner begleiten ihre Gäste an Tische, die mit maximal vier Personen besetzt werden dürfen. Ein Hin- und Herlaufen zwischen den Tischen verschiedener Gästegruppen ist verboten, und auch die Getränkebestellung nehmen die Kellner nur am eigenen Tisch auf. Musik kommt derzeit lediglich aus der Konserve, wobei die Lautstärke deutlich reduziert wurde. In den Toiletten wird mit abgesperrten Urinalen und Waschbecken auf den nötigen Sicherheitsabstand geachtet, und das Personal achtet auch ganz genau darauf, dass sich die Gäste nach ihrem Geschäft die Hände nicht nur waschen, sondern auch desinfizieren.

„Klar ist es anders als vor Corona.” Früher habe man in der Hochsaison nur noch an den bunten Strohalmen erkennen können, wo ein Tisch steht. „Der erste Liter Wodka Lemon, nach so vielen Monaten, hat trotzdem geschmeckt”, schwärmt Kevin Kaltwasser und seine Frau ergänzt: „Mit dem Verbot, an andere Tische zu gehen, wird es so etwas wie unsere Geschichte wohl nicht mehr geben.” Annika Kaltwasser sieht zudem noch zwei Probleme auf den Bierkönig zukommen: Zum einen muss man jetzt zum Rauchen das Lokal verlassen und dann ewig anstehen, um wieder hineinkommen zu können. „Das ist sehr nervig und wird bestimmt dazu führen, dass einige heimlich irgendwo rauchen.” Der zweite Punkt sei das Verlagern der Party auf die Straße. „Im Bierkönig wird alles streng kontrolliert, aber auf der Schinkenstraße dann nicht mehr.” Annika, Kaltwasser, die beruflich Geschäftsführerin einer Reinigungsfirma ist, wünscht sich deshalb eine effiziente Zusammenarbeit zwischen Gastronomie, Polizei und den verantwortlichen Politikern in der Verwaltung. „Man könnte vielleicht die ganze Straße absperren und nur noch mit QR-Code betretbar machen. Damit würde sich das Geschehen vielleicht besser kontrollieren lassen”, schlägt sie vor.

Die Wiedereröffnung des Bierkönigs hat eine kleine Kettenreaktion ausgelöst. Am vergangenen Pfingstwochenende haben auch andere Gastro-Betriebe an der Bier- und Schinkenstraße erstmals wieder eröffnet, und es sollen in den kommenden Wochen noch einige mehr werden. „Tja, wenn der König ruft, dann folgen sie alle”, grinst Annika Kaltwasser.

Auch Partysänger Peter Wackel hat es sich nicht nehmen lassen, am vergangenen Donnerstag eine Stippvisite im Bierkönig zu machen. Auch er sieht die aktuelle Situation ganz ähnlich wie die Kaltwassers. „Das war ein Teufelskreis. Die Urlauber kamen nicht, weil keine Lokale geöffnet hatten. Die Lokale öffneten nicht, weil keine Urlauber da waren.” Mit dem Öffnen des Bierkönigs scheint dieser Kreislauf durchbrochen. Das Risiko, dass sich Gäste nicht an die geltenden Regeln halten, die Inzidenzen wieder steigen und damit in der Konsequenz die Lokale wieder schließen müssen, bestehe natürlich. Deshalb appelliert Peter Wackel an seine Fans und alle Gäste der Bier- und Schinkenstraße: „Wenn alle mitmachen, kann das Konzept aufgehen, und dann kann ich mir in diesem Jahr sogar noch Live-Auftritte vorstellen.”

Ob das Konzept aufgeht oder nicht, werden die kommenden Wochen zeigen. Für den Moment ist Wackel einfach nur dankbar. „Es ist schön, endlich wieder mal Bierkönig-Luft zu atmen. Ich würde vorschlagen, wir machen aus dem 20. Mai einen Feiertag, und wir nennen ihn – den Tag der Schinkenstraße.”