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Wenn die Schweizer Mallorca-Residenten an diesem 1. August wie gewohnt ihren Nationalfeiertag begehen, dann ist das auf der Insel bewährte Tradition. Und zwar nicht erst seit den 1960er Jahren, als Unternehmer aus der Alpenrepublik wie etwa Alfred Erhart ein Dutzend Hotels für ihre eidgenössischen Landsleute errichteten. Schweizer als Residenten waren, wie die Deutschen auch, bereits in den 1930er Jahren auf Mallorca anzutreffen, vor allem als Unternehmer, Gastwirte, Kaufleute und Hoteliers. So wie etwa der Bruder der Baslerin Beatrice Bruckner, Zwingli, der seinerzeit als Direktor dem Luxushotels Príncipe Alfonso in Cala Major vorstand. Das Geschwisterpaar gelangte in Albert Vigoleis Thelens Mallorca-Roman „Die Insel des zweiten Gesichts” zu literarischem Ruhm.

Mitunter kamen die Schweizer selbst als Kunstschaffende: Dasenglischsprachige Residentenblatt „Spanish Times” würdigte 1934 den seit drei Jahren auf Mallorca lebenden Schweizer Maler Hermann Peter anlässlich seiner Ausstellung im Hotel „Sol y Sombra” in El Terreno als „einen der angesehensten Künstler der Insel”.

Wie die Deutschen nördlich der Alpen suchten auch die deutschsprachigen Schweizer vorrangig das mediterrane Lebensgefühl und ließen sich dabei mit ihrem erlernten Handwerk auf der Insel nieder. Dabei war nicht immer nur Palma gefragt. Zwei zupackende Schweizer zog es ins ebenso idyllische wie abgelegene Fischerdorf Cala Rajada im Nordosten Mallorcas. Sie halfen tatkräftig mit, den Ort in eine internationale Ausländerkolonie zu verwandeln. Der Schweizer Ingenieur Hans Villiger errichtete 1935 das erste Kraftwerk zur Versorgung des Dorfes mit elektrischem Strom sowie eine Eisfabrik. Sein Landsmann Walter Bloch gründet eine Bäckerei. In Cala Rajada stellten die Schweizer wie die Briten jeweils zehn Prozent der Zugereisten, der Anteil der Deutschen lag bei 50 Prozent. Villiger und Bloch blieben auch auf Mallorca, als 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausbrach. Während viele Deutsche, Briten, Niederländer, Franzosen und US-Amerikaner der Insel fluchtartig den Rücken kehrten, setzten die beiden Eidgenossen ihr Privatleben sowie ihr Geschäftstätigkeit in Cala Rajada fort.

Deutsche und spanische Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus enthalten sporadisch Hinweise auf Schweizer Residenten, dies umso mehr, als die Schweiz auf Mallorca kein eigenes Konsulat unterhielt. Die Alpenrepublik hatte darum Hitler-Deutschland gebeten, die Rechte der Eidgenossen auf der Insel konsularisch zu vertreten. So wandte sich NS-Konsul Hans Dede im Februar 1938 an das spanische Amt für Sicherheit und öffentliche Ordnung, um sich nach dem Grund für die Festnahme der Schweizerin Lina Brechbühl zu erkundigen. Bei dieser Frau dürfte es sich um die prominenteste Schweizerin jener Jahre in Palma gehandelt haben. Die unverheiratete Frau aus Bern, Jahrgang 1893, war im Alter von knapp 40 Jahren nach Mallorca gekommen, wo sie 1932 in der Avenida Antonio Maura unterhalb des Borne die Bar beziehungsweise den Teesalon „Lena’s” eröffnete. Wie zeitgenössische Werbeanzeigen belegen, befand sich das Lokal gegenüber dem Alhambra-Hotel, also der heutigen Grünzone Horts del Rei unterhalb des Almudaina-Palastes. Tatsächlich soll die Inneneinrichtung der Bar von dem deutschen Architekten Hermann Leclerc gestaltet worden sein, der seinerzeit in Palma das Erscheinungsbild weiterer Lokale wie dem „Trocadero” und dem „Morisco” geprägt hatte.

„Lena’s Bar” mit dem angelsächsischen S-Apostroph war wegen ihrer internationalen Küche bei ausländischen Residenten und Touristen beliebt. Die „Spanish Times” berichtete, dass gerade britische Inselresidenten mit Wohnsitz in Pollença den „Lunch” bei Lena einzunehmen pflegten, wenn sie in Palma zu tun hatten. An anderer Stelle würdigte das Blatt das ebenso freundliche wie professionelle Wirken der beiden dortigen deutschen Barkeeper „Carlos and Otto”.

Die Anfrage des NS-Konsuls wurde bei der franquistischen Sicherheitsbehörde offenbar für so gewichtig erachtet, dass sie bereits am Folgetag in einem dreiseitigen Schreiben beantwortet wurde. Lina Brechbühl, so hieß es, sei politisch gegen das Franco-Regime und dessen „glorreiche und nationale Bewegung” eingestellt. Es handle sich bei der Frau um ein „höchst gefährliches Individuum”, das in dem Lokal und der zugehörigen Wohnung all jenen Schutz gewährt habe, die ebenfalls gegen die „Bewegung zur Rettung Spaniens” eingenommen seien. Die Sicherheitsbehörde sei überzeugt davon, dass die Schweizerin mit aller Macht gegen National-Spanien agiere.

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Aus diesem Grund hatte man die 44-Jährige angewiesen, das Land innerhalb von zehn Tagen zu verlassen. Offenbar war Lina Brechbühl daraufhin tatsächlich ausgewiesen worden. In einer Auflistung der Schweizer Residenten auf Mallorca von 1944 tauchte sie zumindest nicht mehr auf.

Die Gastwirtin war nicht die einzige Eidgenossin, die nach dem Militärputsch von 1936 Probleme mit dem neuen Regime hatte. In spanischen Dokumenten taucht ein Ernst Arthur Abegglen auf, der in Palmas Stadtteil Bonanova lebte. Dieser Schweizer war offenbar 1943 denunziert und inhaftiert worden, ohne zu erfahren, was ihm konkret vorgeworfen wurde. Wie seinen Schreiben zu entnehmen ist, verlor der Mann nicht die Hoffnung auf eine baldige Bereinigung seines Falles. Dennoch saß Abegglen mindestens bis 1948 in Verwahrung auf dem Spanischen Festland ein. Der Ausgang der Angelegenheit ist im Detail nicht bekannt. Fakt ist, dass Abegglen, der während seiner Haft große Sehnsucht nach dem Schwimmen im Meer vor El Terreno geäußert hatte, im Jahre 1959 in Palma starb.

Noch mehr Schweizer sind in den Dokumenten zu finden: So etwa die gebürtige Schweizerin Ana Petterson Schmitt, die 1943 angeblich als Pflegekraft für die Familie des britischen Konsuls nach Mallorca gelangte. Die franquistische Geheimpolizei hielt die zur Britin gewordene Schweizerin für eine Spionin, deren Schritte in der Öffentlichkeit überwacht wurden. Die 28-Jährige weilte demnach zu Aufenthalten in Alcúdia und Port de Pollença, wo sie sich unter anderem mit Angehörigen der spanischen Marine unterhielt. Die Figur bleibt rätselhaft schillernd, zumal die Gegenspionage in den Jahren des Zweiten Weltkriegs zeitweise davon ausging, bei der Schweizerin handle es sich in Wirklichkeit um eine dänische Agentin.

Eine weitere Anekdote, die sich in Zusammenhang mit Eidgenossen finden lässt, ist folgende: Die Schweizer Yacht „Ismé” war im September 1936 während des Spanischen Bürgerkriegs offenbar bei einem Fliegerangriff leicht beschädigt worden, wobei niemand von der Besatzung verletzt wurde. Das deutsche Torpedoboot „Iltis” versorgte die „Ismé” vor Ibiza mit Kohlen für die Weiterfahrt. Das veranlasste die Schweizer Gesandtschaft in Berlin, ein Dankschreiben an das Oberkommando der deutschen Kriegsmarine sowie an das Auswärtige Amt zu richten. In der offiziellen Note heißt es:

Namentlich wurde es schweizerischerseits begrüßt, dass die Besatzung der Yacht mit Lebensmitteln versorgt werden konnte.

Man stelle sich vor: Alpenländler, die im Spanischen Bürgerkrieg auf einer Privatyacht vor Mallorca kreuzen. Die Eidgenossen haben vielleicht nicht alles erfunden. Aber sie sind immer wieder für Überraschungen gut.