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Ein Mann, nennen wir ihn Frank, möchte mit Kumpels nach Mallorca in den Urlaub fahren. Seine Freundin, nennen wir sie Sabine, ist dagegen. "Mallorca, das ist doch nur Ballermann und du gehst mir bestimmt fremd", sagt Sabine. Und so fügt sich Frank und bleibt zu Hause. Doch er will es nicht auf sich sitzen lassen. Und so sucht er im nächsten Jahr im Internet nach Möglichkeiten, um dieses Mal mit seinen Freunden mitfahren zu können - und stößt auf "alibi-profi.de".

Wer die Internetseite zum ersten Mal sieht, der staunt nicht schlecht. Die Liste der Dienstleistungen, die die Agentur aus Bremen anbietet, ist lang, alles klingt vertraulich, durchdacht, professionell - aber für ehrliche Häute wahnsinnig skurril. Hier wird Täuschung zur Tugend, Lügen zum geheiligten Mittel. Also genau das, was Frank sucht. Und so kontaktiert er die Agentur. Wenige Wochen später trifft eine offiziell anmutende Seminareinladung per Post bei Sabine und Frank ein. Frank müsse zu einer dienstlichen Weiterbildung nach Mallorca, heißt es darin. In den Norden, weit weg vom Ballermann, mit straffem Zeitplan und keinen freien Minuten. Um noch weniger Verdacht zu erwecken, ruft ein Mann mit spanischem Akzent auf das Festnetztelefon der beiden an (selbstverständlich mit einer mallorquinischen Nummer) und erzählt Sabine, ein Geschäftspartner von Mallorca zu sein und einige Details mit Frank besprechen zu wollen. Damit Sabine wirklich keine Zweifel bekommt, gibt Frank ihr Unterlagen über die vermeintliche Tagungsstätte und die Festnetznummer von dort. Sollte Sabine misstrauisch werden und dort anrufen, wird vor Ort jeder eingeweiht sein und Frank decken. Und so sitzt Frank wenig später unbesorgt mit seinen Freunden am Ballermann und genießt seinen Männertrip. Ob er tatsächlich fremdgehen oder einfach nur die Zeit mit seinen Kumpels verbringen will, ist dabei unerheblich.

So sieht es zumindest Stefan Eiben. Er war es, der vor 16 Jahren die Idee für den Alibi-Service ins Leben rief. "Ich war Anfang 20 und mit zwei Freunden zum Feiern verabredet. Beide sagten mir kurzfristig ab, weil ihre Freundinnen nicht wollten, dass wir ohne sie in die Disco gehen", erinnert er sich. "An dem Abend kam mir die Idee."

Eiben klingt höflich und drückt sich eloquent aus. Man merkt, dass er schon viele Interviews in seinem Leben gegeben hat. Eigentlich war Eiben Systemadministrator, doch das spontane Projekt "Alibi" wurde schnell zum Selbstläufer. Heute hat "alibi-profi.de" einen Hauptsitz in Bremen, Zweigstellen in Mallorcas Port Adriano und in Alicante auf dem spanischen Festland. Hinzu kommen fünf feste und mehr als 1000 freie Mitarbeiter sowie eine eigene Jobbörse, die hauptsächlich Schauspieler castet. Und auch die Palette der Leistungen ist mittlerweile enorm. "Alibi-profi.de" verschickt für seine Kunden Fake-Postkarten aus aller Herren Länder, organisiert gefälschte Lügendetektortests, findet Schauspieler, die angebliche Freunde und Geschäftspartner mimen, versendet Alibi-SMS und -Anrufe, hilft bei der Suche nach diskreten Unterkünften und lässt Fake-Profile in den sozialen Netzwerken wirken. Selbst echte Firmen kooperieren mit der Agentur, um die Ausreden noch wasserdichter zu gestalten. "Das sind dann meistens ehemalige Kunden, die eine eigene Firma haben und helfen wollen, weil sie wissen, wie es ist, ein Alibi zu brauchen", so Eiben.

Systematisches Lügen und Vertuschen, das ist genau genommen das, was Eibens Beruf ausmacht. Ein schlechtes Gewissen hat er deshalb nicht. "Es geht den Kunden darum, Stress zu vermeiden und sich nicht rechtfertigen zu müssen." Der Slogan der Firma geht in die gleiche Richtung: Freiheit, Unabhängigkeit, Sicherheit. "Die Lügen an sich sind nichts Negatives. Sie dienen dem Schutz der Privatsphäre unserer Kunden. Es geht ja nicht darum, anderen bewusst zu schaden", betont Eiben. Ein Mann, erinnert er sich, habe beispielsweise die Agentur genutzt, um heimlich Vorbereitungen für den Heiratsantrag zu treffen, den er seiner Freundin als Überraschung machen wollte. "Oder wir hatten mal einen Mann, der nach der Hochzeit herausgefunden hat, dass er vorher schon ein uneheliches Kind mit einer anderen Frau gezeugt hatte. Seine Ehefrau verbot ihm, es zu sehen. Wir haben ihm dauerhafte Alibis geliefert, um dennoch Kontakt zu dem Kind haben zu können", so Eiben.

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"Der typische Fremdgänger ist ohnehin nicht an den Dienstleistungen interessiert. Der geht in die Disco und reißt jemanden auf, ohne es zu planen. Unseren Kunden geht es eher um tiefer gehende Entscheidungen." So wie der alten Frau, deren Ehe mit den Jahren erkaltet ist und die nun einen netten Mann kennengelernt hat, aber nicht weiß, ob es tatsächlich richtig ist, für ihn die Ehe aufzugeben. "Wir haben ihr dabei geholfen, ein paar Mal unbemerkt mit dem Neuen ausgehen zu können, damit sie ihre Entscheidung besser fällen kann."

In 80 Prozent der Fälle gehe es aber gar nicht um Partnerschaft. "Es gibt viele Situationen, in denen Menschen Alibis benötigen", so Eiben. Das geht von dem schwulen Studenten, der eine Alibi-Freundin braucht, damit ihm sein Vater das Studium finanziert, über den Leistungssportler, der eine chronische Krankheit vertuschen will, bis hin zu der Familie, die viel Geld geerbt hat und plötzlich von Bekannten bedrängt wird. "Auch der geachtete Geschäftsmann, der plötzlich seine Arbeit verliert und nicht will, dass sein Umfeld davon erfährt, ist ein typischer Kunde von uns", so Eiben. "Gar nicht so selten kontaktieren uns Deutsche, die auf Mallorca ein Haus haben und Ausreden brauchen, um nicht ständig Besuch aus Deutschland empfangen zu müssen. Die Liste ist lang. "

Auch Eiben selbst hat sich in den vergangenen 16 Jahren verändert, erzählt er. Kein Wunder. "Man bekommt viele zwischenmenschliche Geschichten mit, oft vertrauen sich unsere Kunden niemandem so an wie uns." In seinem privaten Umfeld sage Eiben mittlerweile viel offener, was ihm passt und was nicht. "Und ich nehme es weniger persönlich, wenn Menschen mir absagen. Das Verhältnis zu meinen Mitmenschen ist direkter und ehrlicher geworden."

Beruflich dagegen kennt das Lügen bei Eiben kaum Grenzen. "Nur die Legalität muss gewährleistet bleiben. Wenn jemand geblitzt wird oder andere Ordnungswidrigkeiten begeht und will, dass wir das für ihn übernehmen, dann lehnen wir ab."

(aus MM 34/2016)