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Paseo del Borne, Carrer de la Uniò, Plaça del Mercat, Plaça Weyler und Rambla. Das sind die Hauptverkehrsadern, die Palmas historischen Stadtkern von Süden nach Norden kurvenreich durchziehen. Es gibt allerdings auch einen direkten Weg - wenngleich nur für Fußgänger -, der die Plaça Joan Carles mit der Rambla verbindet: den Carrer de Sant Jaume.

Wer ihn entlanggeht, sollte einen kleinen Umweg durch die engen Gassen, die von ihr abzweigen, nehmen und sich auf Entdeckungsreise begeben. Geheimnisvolle Gebäude, Straßen, in denen nie die Sonne scheint, und bunt besprühte Holztore faszinieren die Besucher.

Den wohl spektakulärsten "Eingang" in das Gewirr schmaler Sträßchen bildet der kleine Weg rechts neben der Pfarrkirche Sant Jaume. Er gehört sicherlich zu den schmalsten Gassen, die Palma zu bieten hat. Die hohen und dicken Steinwände werden hier und da von einer rostigen Laterne gesäumt. Tageslicht fällt in das Gässchen so gut wie keines. Überhaupt dominiert das kleine Viertel vor allem ein Gefühl von Dunkelheit. Nur wenige Sonnenstrahlen verirren sich über das hohe, teils dunkelgraue Gemäuer ins Innenleben des "Barrio."

Am Ende des schmalen Weges gelangt der Besucher auf den Carrer de les Caputxines. Ein kleiner Platz bildet den Vorhof zur Klosterkirche "Puríssima Concepció." Auf den Stiegen vor dem großen Holztor sitzen drei alte Männer, zwei von ihnen mit Gehstöcken im Gepäck, und diskutieren in tiefstem Mallorquín. Um 18 Uhr ist Messe - sie sind eine Stunde früher hergekommen. Es gibt offenbar viel zu besprechen.

Gleich neben dem Eingang zur Sakristei hängt ein Fahrrad an der Hauswand, darüber steht in großen Lettern "MAOS." Eine steile Steintreppe führt hinab in einen Verkaufsraum, eine Art altes Gewölbe. An einer der Kleiderstangen steht Dani Pascual und sortiert Pullover. "Ich habe mir hier, gemeinsam mit zwei Freunden, den Traum vom eigenen Klamottenladen erfüllt", erzählt der junge Mann im weiten Strickpulli mit Basecap auf dem Kopf. Und auf die Frage, ob hier, in diesen dunklen Gassen, nicht ein bisschen zu wenig los sei, um Kunden in den Laden zu locken, sagt er: "Das ist kein Problem, alle coolen Geschäfte sind irgendwo versteckt. Außerdem haben wir nicht so viel Geld wie Zara und können uns ein Ladenlokal auf der Avenida Jaume III. gar nicht leisten."

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Dennoch ist Dani zufrieden. "Wir sind erst seit September hier, ich kann zwar noch nicht sagen, wie die Zukunft aussieht, aber bisher läuft es gut." Und noch etwas kann er nicht: Erklären, wieso es gerade in diesem Viertel von Graffiti nur so wimmelt. Fast jede Holztür, jedes Tor zu einem Innenhof, jede versteckte Wand ist bemalt oder besprüht, mal mehr, mal weniger künstlerisch. An einer Hauswand direkt neben der Kirche prangt die Parole: "Graffiti can't be stopped" - "Graffiti kann nicht gestoppt werden." Spiritualität und Sprayer-Kunst liegen hier ganz nah beieinander.

Raúl Fernández, der eigens aus Inca nach Palma gekommen ist, um in dem Viertel seiner Leidenschaft fürs Fotografieren nachzugehen, versucht sich an einer Erklärung: "Diese Straßen liegen so versteckt, dass die Sprayer sich hier in Sicherheit wiegen und glauben, unentdeckt zu bleiben." Mit seiner Fotokunst hat er es aber eher auf verwunschene Patios abgesehen als auf besprühte Portale. Besonders angetan ist Fernández von der Fassade der "Real Acadèmia de medicina" im Carrer Can Campaner mit ihren Ornamenten und verzierten Zinnen über den Fenstern. Auch die "Ferreteria Caputxins", eine Eisenwarenhandlung, die heute mehr einem Museum gleicht, ist ihm einen Schnappschuss wert.

Im Carrer de Can Oliva thronen weit oben über den Mauern majestätische Palmen. Es scheint beim Blick gen Himmel, als betrachte man ein Bild, so stark ist der Kontrast zwischen den dunklen, kühlen Gassen und den sommerlich anmutenden Palmen, deren grüne Kronen im Sonnenlicht glänzen, das unten nicht ankommt.

Zurück auf der Carrer de Sant Jaume duftet es nach frisch Gebackenem. Die Bäckerei von Bartolomé Arbona und seiner Schwester Francisca lockt mit traditionellen Süßspeisen. "Wir benutzen nur mallorquinische Produkte, bis hin zum Mehl", erklärt Francisca Arbona. Über ihr Quartier sagt sie: "Hier treffen sich Jung und Alt. Das ist das Schöne." Ein Glöckchen an der Tür klingelt, dann muss sie sich um Kundschaft kümmern.

(aus MM 50/2014)