In den Maitagen vor nunmehr fast sieben Jahrzehnten brach für viele Deutschen, die damals in Spanien lebten, eine Zeit der Ungewissheit an. 8./9. Mai 1945: Das Nazi-Reich hatte kapituliert, der Krieg in Europa war zu Ende, Deutschland lag in Trümmern, Millionen von Flüchtlingen hatten ihre Heimat verloren, Millionen von Menschen waren gewaltsam ums Leben gekommen.
Nicht so in Spanien und auf Mallorca. Hier herrschte angespannte Ruhe. Diktator Franco hielt sich seit 1939 unbestritten an der Macht, hatte eng mit Hitler kooperiert und sich erst dann allmählich vom deutschen Partner distanziert, als der Vormarsch der Alliierten gegen die "Festung Europa" sich zunehmend erfolgreich gestaltete.
Die rund 50.000 Deutschen, die damals in Spanien lebten, waren in großer Mehrheit solche, die dem Nazi-Führer (und also auch der Franco-Diktatur) in Treue ergeben waren. (Andernfalls wären sie längst verhaftet und nach Deutschland deportiert worden.)
Doch mit dem Kriegsende verschoben sich die Machtverhältnisse. Und so, wie der "Caudillo" in jenen Tagen befürchten musste, die Alliierten würden ihn als letzten Führer eines "faschistischen" Staates in Europa bald absetzen, so ähnlich wussten auch die Deutschen in Spanien nicht so recht, wie es um ihre Zukunft bestellt war.
Die neue Zeit brach für die ehemaligen "Reichsangehörigen" nicht mit Bomben und Panzern an, sondern mit viel subtileren Maßnahmen: Unter dem Druck der Alliierten wurden in Spanien die deutsche Einrichtungen - Botschaft, Konsulate (auch jenes in Palma de Mallorca), Schulen und Kirchen - geschlossen, die Immobilien beschlagnahmt.
Es gibt noch Zeitzeugen, die jenen Umbruch miterlebt haben. Doch sie waren damals Kinder und Jugendliche, oftmals Angehörige der Hitlerjugend (HJ) in Spanien. Es ist die Erinnerung von Minderjährigen.
"Man spürte gegen Kriegsende, dass die Deutschen sehr traurig waren, es hatte die Stimmung einer Tragödie", sagt Carlos de Zayas (Jahrgang 1933). Er war einer der wenigen Spanier, die von 1939 bis 1945 die Deutsche Schule Madrid besuchten. Von daher stammen die guten Deutschkenntnisse des späteren Umweltaktivisten. "Die Lehrer waren streng und legten Wert auf Disziplin. Jeden Morgen mussten wir uns im Schulhof militärisch formieren und das Horst-Wessel- und das Deutschlandlied singen."
Dann, im April 1945, war über Nacht alles vorbei. Die Schule wurde geschlossen, die "schönen Schulbusse" verschwanden aus dem Stadtbild, die Lehrer verloren ihre Arbeit. Zayas und die spanischen Mitschüler wurden auf einheimische Schulen verteilt. Seine Eltern organisierten den Deutsch-Unterricht mit einem der entlassenen Lehrer privat.
An ähnliche Erlebnisse erinnert sich Hans Meinke, Jahrgang 1937. Knapp zwei Jahre besuchte er die deutsche Schule in Barcelona, bevor auch sie bei Kriegsende geschlossen wurde. Vor Augen hat er noch ein Bild, vermutlich eine Abschlussfeier, rote Hakenkreuzfahnen in der Aula, auf der Bühne in HJ-Uniformen die Abiturienten, die dann in den Krieg zogen.
Verschwommener ist die Erinnerung an das Ende der Schule: Offenbar fand noch einmal eine letzte Gedenkfeier statt, als das Dritte Reich aufhörte zu existieren. Damals kamen noch einmal die in Barcelona lebenden deutschen Honoratioren zusammen, um sich in Endzeitstimmung offiziell voneinander zu verabschieden. Meinke fand sich bald darauf mit seinen Eltern in Marokko wieder. Sein Vater, Schiffskaufmann, war von der Firma versetzt worden.
"1945 war das Chaos. Da wusste niemand, wo hinten und wo vorne ist", sagt Ulrich Werthwein, Jahrgang 1929. Der spätere Diplom-Ingenieur für Gartenbau war gerade 16 geworden, als die Alliierten die deutsche Schule in Barcelona schlossen und das Gebäude der französischen Gemeinschaft übergaben. Ein Jahr zuvor, 1944, hatten dort noch 50 Lehrer und 1000 Schüler das 50-jährige Bestehen der Einrichtung gefeiert und unter anderem ein Schiller-Drama aufgeführt: "Wallensteins Tod".
Auch Werthwein hatte gesehen, wie Jahr für Jahr die Abiturienten in HJ-Uniform zur Wehrmacht eingezogen wurden. Manche von ihnen starben an der Front. Dann fanden Gefallenengedenken in der Schule statt. Gegen Kriegsende wurden selbst die Lehrer, teils schon alte Männer, eingezogen. Einer von ihnen fiel ebenfalls.
Lediglich ein Lehrer setzte sich kurz vor Schluss zum britischen Konsulat in Barcelona ab. Auf diese Weise überlebte er den Krieg.
Werthwein befand sich damals wie alle Mitschüler in der Hitlerjugend. Jeden Donnerstagnachmittag ging es im Braunhemd zum HJ-Dienst in die Schule, dort wurde exerziert, gesungen, an Modellflugzeugen gebastelt.
In den Sommerferien hieß es: HJ-Schulungslager in Deutschland. "Dort haben sie uns geschlaucht. Das Wetter: saumäßig. In den Zelten stand das Wasser 20 Zentimeter hoch."
Dann, 1945, war plötzlich alles anders. Werthweins Vater war sterbenskrank aus dem Krieg zurückgekehrt, die Mutter wurde depressiv. Der junge Werthwein beschloss Landwirt zu werden. "Ich war froh, dass die Schule aus war. Ich war kein guter Schüler."
HINTERGRUND
Das Kriegsende laut "Ultima Hora"
Historiker datieren das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa auf den 8. Mai 1945. Die Kapitulation trat kurz vor Mitternacht in Kraft, in Moskau war bereits der 9. Mai angebrochen, als die Waffen schwiegen.
Die Ereignisse finden sich entsprechend in der Berichterstattung von „Ultima Hora“, der größten Tageszeitung auf Mallorca, wieder. Das Blatt umfasste in jenen Zeiten lediglich vier bis acht Seiten.
„In Europa bricht der Frieden heran“, titelte „Ultima Hora“ am 8. Mai (Dienstag); „Das Kampfgetöse in Europa hat aufgehört“, heißt es am 9. Mai. Franco (samt Foto) wird als der zweifache Retter Spaniens gerühmt. Er habe das Land im Bürgerkrieg vor dem Bolschewismus und im Weltkrieg vor der Zerstörung bewahrt, heißt es auf der Titelseite am 9. Mai.
Auf den übrigen Seiten herrscht friedlicher Alltag: In den Kinos in Palma laufen Hollywoodfilme, im Teatre Principal wird ein Theaterstück, „Noche decisiva“, erstaufgeführt.
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