Diese 10 Leitsätze ihres herrschenden Denkers Marc Aurel sollen dabei helfen, ein gutes Leben zu führen
Nachdem ich gestern spät am Abend schon Böses geahnt hatte, als Straßenarbeiter Pylonen und eine Maschine zum Markieren der Fahrbahn ausluden, wurde es heute Morgen zur unangenehmen Gewissheit. Direkt vor meinem Haus ziert jetzt eine giftig gelbe Linie die Bordsteinkante und jeder weiß (oder sollte es wissen), was das bedeutet: Parken verboten oder nur gegen eine sehr großzügige und unfreiwillige Spende an die Stadtverwaltung. Ohne, dass ich erkennen kann, was nun anders sein soll als all die Jahre, in denen ich schon hier wohne, ist es nun nicht mehr möglich, vor dem Haus zu parken. Ich bin genervt. Könnte mich aufregen, ärgern und krakeelen, aber ich lasse es. Mein innerer Philosoph rät mir, ruhig zu bleiben, zu atmen und mich mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen.
Das hätte vermutlich auch Marc Aurel gefallen. Der römische Kaiser (121 – 180 nach Christus) war nämlich, neben seinem Hauptjob als Regent, auch noch ein großer Denker. Er war der letzte bedeutende Vertreter der Stoa – einer um 300 vor Christus im antiken Athen entstandenen Denkrichtung, die den Menschen helfen sollte, ihren Platz im großen Ganzen, der kosmischen Weltordnung, zu finden. Der Schlüssel zum Glück, so die Stoiker, waren die vier Kardinaltugenden: Weisheit, Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit. Als wäre das nicht genug, gilt Marc Aurel außerdem als Bestseller-Autor. Und das seit etwa 1900 Jahren. Seit Jahrhunderten spenden seine „Selbstbetrachtungen“ den Lesern Trost. Sogar Altkanzler Helmut Schmidt und der Preußenkönig Friedrich der Große zählten zu seinen Bewunderern.
Aktuell gehört das Werk unter Online-Händlern zu den beliebtesten philosophischen Büchern überhaupt. Vielleicht liegt der Grund darin, dass Marc Aurels Aphorismen (prägnant-geistreiche, in sich geschlossene Sinnsprüche in Prosa, die eine Erkenntnis, Erfahrung, Lebensweisheit vermitteln) im Grunde Mitteilungen des Kaisers an sich selbst sind. Sie versuchen Antworten auf uralte Fragen zu geben: Welchen Sinn hat meine Existenz? Wie gehe ich mit meiner Sterblichkeit um? Wie kann ich glücklich sein? Wie werde ich ein besserer Mensch?
Als Marc Aurel im Jahr 161 nach Christus die Herrschaft über das Römische Reich übernahm, sah er sich bald gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Nach Jahrzehnten der Stabilität bedrängten Barbarenstämme die Grenzen des Reiches. Kein Kaiser vor ihm verbrachte mehr Zeit an der Front. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – nahm er sich auch im Feldlager die Zeit zu schreiben. Versuchte, sich seinen Reim auf die großen Fragen der menschlichen Existenz zu machen. Laut einem Artikel der Zeitschrift Geo sind das Ergebnis diese „Leitsätze für ein gutes Leben“, die der Althistoriker und Marc Aurel-Biograph Alexander Demandt aus den Selbstbetrachtungen des Herrschers zusammengefasst hat:
- Kümmere dich um das, was in deiner Macht steht! Gräme dich nicht über Unabänderliches und Unerreichbares. Bleibe gelassen.
- Lasse alles, was war, und alles, was kommt, dahingestellt! Nur die Gegenwart steht zur Verfügung.
- Nicht die Dinge, sondern die Auffassung von ihnen bestimmen dein Leben. Meinungen sind machbar. Bilde dir deine eigene Meinung!
- Gehorche deiner inneren Stimme und lass dich nicht verführen durch äußere Güter!
- Prüfe alles und entscheide selbst! Gib nichts auf Lob und Tadel, nichts auf das Urteil der Nachwelt. Aber lass dich belehren, wenn die Vernunft es gebietet.
- Handle stets zum Besten der Menschheit, um selbst ein besserer Mensch zu werden! Mit Güte bezwingst du auch den Unverschämten.
- Ärgere dich nicht über Missstände, sondern suche, sie zu beheben! Den Mitmenschen zürne nicht, ertrage oder belehre sie. Bedenke, dass auch du Fehler hast.
- Bewahre dir ein Gefühl der Dankbarkeit für das, was dir von Gott oder der Natur gegeben ist, zumal die Vernunft und die Freiheit der Gedanken!
- Bedenke, dass alles sich wandelt; die Dinge lösen sich auf, der Stoff aber bleibt erhalten so wie die formende Kraft, die aus ihm stets Neues erzeugt.
- Erkenne im Tod einen Teil der Weltordnung, wann immer er eintritt, fürchte ihn nicht! Bleibe heiter.
Wie kann man nun die einzelnen Sinnsprüche einsetzen, um das eigene Leben glücklicher, friedlicher, zufriedener zu gestalten? Sie könnten beispielsweise jeweils einen Satz wählen für die Woche oder den Monat, um ihn zu erforschen, auszuprobieren, zu hinterfragen. Natürlich können Sie die Worte zunächst in eine etwas aktuellere Form für sich übersetzen, wobei die meisten schon erstaunlich modern wirken. Mir persönlich gefällt der erste Satz über die Gelassenheit sehr. Er hilft mir sogar in meiner aktuellen Situation mit dem Ärger über die „gelbe Linie“. Ich würde dieses Ereignis als ziemlich unabänderlich einstufen. Es lohnt sich also gar nicht, weiter darüber nachzudenken oder sich zu grämen. Gelassenheit scheint hier die beste Medizin.
Oder nehmen wir den dritten Satz über die Dinge und unsere Meinung darüber. Dass unsere aktuelle Stimmungslage starken Einfluss haben kann auf unsere Sicht auf die Welt, ist nichts Neues (siehe MM 36/2021). Aber es ist wichtig, sich diese Tatsache immer wieder aufs Neue bewusst zu machen. Bin ich am Morgen mit dem richtigen Fuß aufgestanden, erscheinen mir die Fahrfehler der anderen (ich mache selbstverständlich keine) auf dem Weg zur Arbeit nur halb so schlimm. Ich fühle mich freundlich und entspannt, lasse anderen Verkehrsteilnehmern gerne auch mal den Vortritt. War aber der Abend stressig, die Nacht kurz und wenig erholsam, kommen mir dieselben „Mitfahrer“ rücksichtslos, arrogant, vielleicht sogar aggressiv vor. Von meiner eigenen Aggression mal ganz zu schweigen. Das Einzige, was in beiden Fällen anders ist, ist meine Haltung, das heißt, ich habe die Wahl und kann entscheiden, ob ich ein freundlicher oder unfreundlicher Zeitgenosse bin auf dem Weg ins Büro.
So steckt in jeder der zehn Aussagen Marc Aurels ein ganz praktisches Angebot, unsere Sicht auf die Welt zu überdenken, etwas Neues zu probieren. Falls Sie es ausprobieren wollen, wünsche ich Ihnen viel Spaß und viele gute Erkenntnisse!
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