So weit aber wollte es der Moderator des Abends, Nigel Carter, denn doch nicht kommen lassen. Gerade noch rechtzeitig hielt er ein großes, rotes Stoppschild hoch: Ende der Inszenierung! Denn eine Inszenierung war dieser wütende Protest, von Carter zuvor „trocken“ geprobt. Die große Orchester-Show „Belle Époque“ ließ die Zeit des Aufbruchs, in der Lebensfreude und Revolution nah beieinander lagen und das Lebensgefühl bestimmten, auf unterhaltsame Art wieder aufleben: Paris am Ende des 19. und am Beginn des 20.Jahrhunderts. Der Schwerpunkt dieser Zeitreise lag natürlich auf der Musik: Offenbach, Debussy, Ravel – und eben Strawinsky lieferten die Beispiele, von den Sinfonikern brillant zum Klingen gebracht und von Videosequenzen auf der großen Leinwand illustriert. Eingestimmt wurde man schon vorher im Foyer durch Musette-Walzer vom Band (die sogar in die Toiletten übertragen wurden!)
Die Ouvertüre zu Offenbachs opéra bouffe „La vie Parisienne“ ist bestens dazu geeignet, die bisweilen frivole und keineswegs unerträgliche “ Leichtigkeit des Seins“ der Seine-Metropole im Jahr 1868 zu vermitteln. Sie bildete Anfang und Schluss des Konzerts. – Ein Schlüsselwerk dieser aufregenden Zeit ist Ravels „Bolero“, hier im fünfminütigen Schnelldurchgang. Das Crescendo, sein bestimmendes Merkmal, ließ Carter vom Publikum gestalten: das Orchester spielte den Pianissimo-Anfang (der Mann an der kleinen Trommel wurde dazu ganz nach vorn an die Rampe geholt), und dann beamte ein zuvor von Carter mit den Zuhörerinnen und Zuhörern einstudiertes vokales Crescendo vom zarten Summen bis zum fortissimo gebrüllten „O“ direkt in den Schluss, im vollem Ornat von Ravels raffinierter Instrumentierung.
Auf den nachgespielten „Sacre“-Skandal folgten drei typisch impressionistische Stücke. Zunächst Ravels „Pavane pour une infante défunte", in Auszügen sehr stimmungsvoll musiziert. Immer wieder wurde die Musik in Zusammenhang mit Literatur und bildender Kunst gebracht. Bei Debussys „Ptrélude à l’après-midi d’un faune“ ist der Bezug zur Sprache sehr direkt: inspirierende Vorlage war Mallarmés gleichnamiges Gedicht. Ein Faun, eines dieser eigenartigen Wesen, die untenrum Geißbock und ziemlich testosterongesteuert, obenrum Mensch mit der Fähigkeit der Selbstbesinnung sind, ergibt sich seinen schwül-erotischen Nachmittagsträumen. Das Stück gilt als das erste im Stil des Impressionismus und zeigt dessen typische Merkmale: das Verfließen der Motive und die orchestrale Farbigkeit. Dadurch, dass es nahtlos in den „Danse géneral“ aus Ravels „Daphnis et Chloé überging, wurde deutlich: der Impressionismus kann beides, sowohl atmosphärisch Stimmungen und Gefühle transportieren als auch rhythmisch auftrumpfen. – Und am Schluss war sie wieder da, die beschwingte Lebensfreue, erweckt von einem übergroßen Dinosaurier und Kindern aus dem Publikum, die Offenbachs Can-Can tanzten. Man musste unwillkürlich an Saint- Saëns‘ „Karneval der Tiere“ denke, wo derselbe Can-Can von einem Schildkröten-Ballett trist und provozierend langsam zu Grabe getragen wird. Das Fossil des gestrigen Abends ließ ihn dagegen in alter Frische fröhliche Urständ feiern und vermittelte die Botschaft: Tradition und Moderne können gleichberechtigt nebeneinander leben.
Die beiden letzten Konzerte der Temporada 2023/24 finden im Auditorium statt. Am 2.Mai gibt’s ein Wiedersehen mit der jungen Pianistin Alexandra Dovgan. Sie spielt unter der Leitung von Pablo Mielgo Schumanns Klavierkonzert, nach der Pause erklingst die 15.Sinfonie von Schostakowitsch. Karten gibt’s online hier. – Zum Saisonabschluss dirigiert Joshua Weilerstein Mozarts „Linzer Sinfonie“ und die Sinfonischen Tänze von Rachmaninow. Karten auf der Website des Auditoriums.
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