Der Titel der heutigen Kolumne ist dem gleichnamigen Buch von Walter Kempowski entliehen. Der Autor beschreibt die (frei erfundene) Geschichte seiner bürgerlichen Familie in der Zeit von 1945 bis 1948 in Rostock. Kriegsende 1945, die Rote Armee marschiert in Rostock ein. So „gold”, wie der Titel im Familienjargon ankündigt, kann es den Kempowskis also gar nicht gegangen sein. Man erlebt am eigenen Leibe oder bei Freunden Elend, Hunger, Plünderungen und Gewalttätigkeiten. Aber man ist nicht ausgebombt und hat noch etwas Geld. Zwischen Trümmerschutt und Ausgangssperren, schwarzem Markt und Hamsterzügen versucht man nach der Katastrophe, die bürgerliche Kontinuität wiederherzustellen.
Die Geschichte der Kempowskis ist reine Fiktion, so schickt es der Autor der Geschichte voran. Ich vermag mir gar nicht vorzustellen, wie es den Menschen in den heute aktuellen Kriegsgebieten gehen mag. In der Ukraine, im Nahen Osten, aber auch in den von Terror und Gewalt beherrschten Ländern, wie zum Beispiel Afghanistan. Wussten Sie übrigens, dass in Zeiten großer Krisen, wie Krieg und Terror, aber auch Hungersnöten oder Naturkatastrophen nahezu keine Depressionen auftreten?
Die Erklärung ist so simpel wie logisch. Es geht zunächst einmal darum, zu überleben. Alles, wirklich alles Andere tritt in den Hintergrund. Erst, wenn eine gewisse Stabilität der Lebensumstände (Grundbedürfnisse) erreicht ist, hat die Seele überhaupt wieder die Möglichkeit, Störungen zu melden. Anschaulich wird das Ganze in der sogenannten Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow. Der US-amerikanische Psychologe beschreibt dabei eine fünfstufige hierarchisch gegliederte Übersicht der menschlichen Bedürfnisse. Die fünf Bedürfnisstufen bestehen aus (physiologischen) Grundbedürfnissen, Sicherheit, sozialen Bedürfnissen, Individualbedürfnissen sowie Selbstverwirklichung.
Maslow fand heraus, dass einige Motive einen höheren Stellenwert haben als andere. Man benötigt Essen mehr zum Leben als das neueste Smartphone oder ein Auto. Maslow hielt das Führen einer Rangliste nicht für Erfolg versprechend, deshalb ordnete er die Bedürfnisse in fünf Überkategorien. Zudem sind die fünf Kategorien in zwei Hauptbereiche gegliedert. Während die physiologischen Bedürfnisse, das Bedürfnis nach Sicherheit und die sozialen Bedürfnisse zu den Defizitbedürfnissen gehören, spricht Abraham Maslow bei den Individualbedürfnissen und der Selbstverwirklichung von Wachstumsbedürfnissen. Doch was genau hat es mit dieser Unterteilung auf sich? Laut Maslow gilt die Befriedigung der Defizitbedürfnisse als Grundvoraussetzung, um überhaupt in der Lage zu sein, Glück oder Zufriedenheit zu empfinden. Die Wachstumsbedürfnisse hingegen können nie vollkommen erfüllt werden.
Auf den Internetseiten der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg findet man dazu einen interessanten Artikel. Hier heißt es: „Ein Bedürfnis beeinflusst nur das Handeln, solange es unbefriedigt ist. Jedoch wird das Handeln nicht von innen angetrieben, sondern eher von den Folgen der Befriedigung angezogen. Das heißt, je mehr ein Bedürfnis befriedigt ist, desto mehr nimmt die motivierende Kraft ab (man isst in der Regel weniger, wenn man nicht hungrig ist).“
Die Grundebene seiner fünfstufigen Bedürfnishierarchie sieht Maslow in den physiologischen Bedürfnissen. Diese Ebene beschreibt alle elementaren Bedürfnisse, die der Mensch zum Überleben braucht. Dazu gehören beispielsweise Sauerstoff, Nahrung, Wasser, Bewegung und Schlaf und körperliches Wohlbefinden. Sind diese Bedürfnisse erfüllt, tauchen die Sicherheitsbedürfnisse (Materielle/Berufliche Sicherheit, Wohnen) auf. In unserer Gesellschaft werden diese Bedürfnisse eher selten geäußert. Angst zu haben und auszudrücken, ist auch heute noch schambesetzt. Beruflich kann es jedoch durchaus passieren, dass Bedürfnisse nach Sicherheit nicht erfüllt sind. Der steigende Leistungsdruck führt nicht selten zu Demotivation und Angst.
Das dritte und letzte Defizitbedürfnis der Pyramide Maslows ist die soziale Eingebundenheit. Menschen haben natürlicherweise den Wunsch nach Anerkennung und Beziehungen. Neben dem sozialen Austausch und dem Einnehmen einer sozialen Rolle in der Gesellschaft bedarf es – um ein glückliches Leben zu führen – vor allem des Gefühls der Zugehörigkeit zu einem Verbund. Dieses Bedürfnis ist sowohl im Hinblick auf die Familie, den Partner, Kinder, Freunde oder Kollegen anwendbar.
Erst wenn alle Defizitbedürfnisse erfüllt sind, strebt der Mensch gemäß der Maslowschen Bedürfnispyramide danach, „höhere“ Ziele zu erreichen. Welche „höheren“ Ziele konkret verfolgt werden, ist jedoch von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Während die einen in erster Linie auf der Suche nach Erfolg, Anerkennung und Wertschätzung sind, zielen andere verstärkt auf Macht und Statussymbole ab.
An der Spitze der Bedürfnispyramide Maslows steht der Wunsch nach Selbstverwirklichung, um dem eigenen Leben einen Sinn zu geben. Dazu gehören zum Beispiel, persönliche Fähigkeiten gewinnbringend zu Hause oder im Arbeitsalltag einzubringen, etwas für die Nachwelt zu hinterlassen oder die eigene Kreativität auszuleben. Laut Maslow kann das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung jedoch erst dann angegangen werden, wenn alle zugrunde liegenden Bedürfnisse bereits erfolgreich gestillt sind.
Mithilfe dieses Konzepts wird klar, warum wir nur in guten Zeiten überhaupt in der Lage sind, unsere seelischen Probleme wirklich wahrzunehmen. Erst wenn die unteren Bedürfnisebenen befriedigt sind, können wir nach Höherem streben, einen Sinn im Leben suchen oder spüren, dass er uns abhandengekommen ist. Erst dann ist es uns möglich, den Sinn zu finden, zu wachsen, an uns zu arbeiten. Damit bekommt der Ausdruck „Jammern auf hohem Niveau“ eine ganz neue Bedeutung. Ja, es scheint fast, als ob Jammern und ich bitte, den Begriff zu entschuldigen, überhaupt erst möglich ist, wenn nur noch die sogenannten Individual- beziehungsweise Wachstumsbedürfnisse befriedigt werden wollen.
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