Das Motto des Abends, „Des de altra riba“ (Vom anderen Ufer) erschloss sich gleich am Anfang in der Beethoven-Sinfonie. Der Bonner Meister hat ja seine Sinfonien immer als Paare komponiert, Gegensatzpaare, wenn man so will: auf die revolutionäre Eroica folgt die fast zahme Vierte, auf die gewaltige Fünfte die Pastorale und auf die alle Formen sprengende Siebte die klassisch gebändigte Achte. Und noch während der Arbeit an seinem innovativen Erstling winkte am anderen Ufer bereits die ganz auf Schönheit bedachte „Zweite“. Es scheint fast so, als ob Beethoven sich nach der zukunftsweisenden Arbeit an seinen ungeraden Sinfonien in den Folgewerken etwas Erholung gegönnt, sich wieder im Konventionellen zurückgelehnt habe. Das verführt viele Dirigenten dazu, den „geraden“ Sinfonie ein wenig den Biss zu nehmen, den sie bei allem Wohlklang natürlich auch haben. Dabei kann durchaus Schönes entstehen, etwa bei Thielemann oder Karajan. Pablo Mielgo widerstand der Versuchung, die Zweite zu einem Wunschkonzert-Schmankerl zu glätten. Sein Zugriff auf die Partitur hatte Beethoven’schen Furor, ließ dem Werk seine Ecken und Kanten. Das Publikum dankte mit (noch) etwas verhaltenem Applaus und sparte sich den Begeisterungstaumel für die beiden Stücke nach der Pause auf.
Der zweite Teil des Abends war zwei Komponisten gewidmet, die in mehrfacher Hinsicht in Beziehung zueinander standen: Maurice Ravel und George Gershwin. Der eine hatte ein ausgesprochenes Faible für die vom Jazz beeinflusste amerikanische Musik „des de altra riba“, was sich in seinen beiden Klavierkonzerten und eben im Boléro niederschlug; der andere fühlte sich zum musikalischen Idiom der Franzosen hingezogen (Ein Amerikaner in Paris!). Als die beiden sich 1928 in New York begegneten, suchte Gershwin um Unterricht bei Ravel nach. Dessen Antwort ist bekannt: „Warum wollen Sie ein zweitklassiger Ravel werden, wo Sie doch ein erstklassiger Gershwin sind?“
Die Franzosen – diese Verallgemeinerung sei ausnahmsweise einmal erlaubt – sind Meister der Instrumentation. Seit Hector Berlioz die erste, heute noch gültige Instrumentationslehre geschrieben hatte, haben sie sich klangliche Rafinesse auf die Fahnen geschrieben. Und so bezeichnete Ravel seinen Boléro bescheiden als Orchesterstudie und führte darin vor, welche Vielfalt die 80 Musiker eines Sinfonieorchesters hervorbringen können. Mielgo und die Seinen demonstrierten diese Vielfalt auf beeindruckende Weise und schafften es, das Publikum in den Sog dieses gewaltigen Crescendos hineinzuziehen.
Höhepunkt des Abends war zweifellos die Rhapsody in Blue, in einer einzigartigen Fassung für Jazz-Trio und Orchester. Mielgo hatte dazu den aus Menorca stammenden Pianisten Marco Mezquida, den Schlagzeuger David Xirgu und den Bassisten Marko Lohikari eingeladen. Was die aus Gershwins Rhapsody machten, war sensationell. Das Stück begann nicht, wie gewohnt, mit dem berühmen Klarinetten-Glissando, sondern am Klavier, mit einer Art verjazzt improvisierten Rachmaninow. Überhaupt dominierte das freie Improvisieren und gab so dem Stück ein wesentliches Element des Jazz zurück, das die herkömmlichen Interpretationen aussparen. Marco Mezquida erwies sich dabei als pianistisches Allround-Talent. Er beherrschte das Perkussive seines Instruments ebenso wie das filigran-melodische Element. Und erinnerte dabei ein wenig an Michel Petrucciani, der sein Spiel einmal als Mischung aus „Cantabile and percussion“ bezeichnet hat. Und wie er verband Mezquida Intellekt und Emotion zu einer unverwechselbaren Melange.
Mit ihrer hinreißenden Interpretation der Rhapsody brachten Mezquida und Orchester den Saal zum Kochen. Und das Trio heizte ihn mit einer fünfzehnminütigen Zugabe noch ein wenig mehr auf, einer groß angelegten Improvisation über amerikanische Jazz-Klassiker, Melodien aus dem Boléro und der Gershwin-Rhapsodie (im Stil der klassischen Kadenz) und am Ende sogar noch über den dritten Satz aus Beethovens Sonate Nr.17, der sogenannten Sturm-Sonate. Der Jubel im Publikum war grenzenlos.
Ob dieser Erfolg im nächsten Abokonzert (am 2.Februar im Auditorium) noch gesteigert werden kann, wird sich zeigen. Die Voraussetzungen sind jedenfalls gegeben: der große Leopold Hager wird ein reines Mozartprogramm dirigieren, die „große“ g-moll-Sinfonie KV550 und die c-moll-Messe KV427. Karten gibt wie immer über die Website des Orchesters.
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