Wenn Cliff Richard „Rote Lippen“ küssen lässt, wird ein Schlager daraus, wenn Franz Lehár sie in der „Lustigen Witwe“ schweigen lässt – auch. Der Text ist in beiden Fällen jenseits des gerade noch Erträglichen, bei Lehár eher noch schlimmer als bei Sir Cliff. Kostprobe: „Lippen schweigen, s’flüstern Geigen: hab mich lieb!“ (Aber der Text zur „Zauberflöte“ ist ja auch nicht unbedingt eine literarische Großtat!) – Beide, der smarte Engländer und der österreichische Operettenkomponist, haben aus derlei Banalitäten Ohrwürmer gemacht, unsterbliche und allseits geliebte. Beim einen ist ein Party-Kracher zum Mitsingen entstanden, beim anderen sollte man sich das eher verkneifen, wenn man nicht über die professionellen stimmlichen Qualitäten eines Andrew Owens, der damit gestern Abend brillierte, verfügt; sonst wird’s schnell peinlich; Gleiches gilt für „Dein ist mein ganzes Herz“, ebenfalls von Lehár.
Dass der amerikanische Tenor, derzeit an der Oper Zürich im Engagement, diesen Schmachtfetzen gleich zu Beginn ins Halbrund des Innenhofes von Schloss Bellver schmetterte (nachdem das Orchester mit der Ouvertüre zum „Barbier von Sevilla“ und mit allen Rossini-Wassern gewaschen auf einen Wohlfühl-Abend eingestimmt hatte), war gut so: es blieb noch genügend Zeit, wieder aus der Kitschecke herauszukommen. Und die wurde genutzt: mit Puccini („Quando m’en vo“ aus der Bohème) und Verdi (Questa o quella“ aus dem Rigoletto) ging’s weiter. Mit der Ouvertüre zu „Nabucco“ wurde es fast politisch. Schließlich wurde der berühmte Gefangenenchor, der bereits im Vorspiel anklingt, zur geheimen Nationalhymne der Italiener, weil sie ihn so verstanden, wie er gemeint war: als Kampflied für die Unabhängigkeit in Zeiten des Risorgimento. Mit dem Duett „Caro elisir“ aus Donizettis Liebestrank führte Owens, zusammen mit der hinreißenden Sopranistin Ziyi Dai (ebenfalls von der Züricher Oper) vor, dass Liebe in der Oper nicht zwangsläufig sentimental sein muss, sondern durchaus auch komödiantische Züge tragen kann. Vor der Pause dann noch einmal Gefühlskino aus der Feder Lehárs, die bereits erwähnten „schweigenden Lippen“, von den Sinfonikern süffig begleitet.
Überhaupt das Orchester: man kann seinen Klang geradezu als „Palma Sound“ bezeichnen, als eine Marke, die Pablo Mielgo in den letzten Jahren mit seinen fabelhaften Musikerinnen und Musikern kreiert hat. Und wer die Sinfoniker vergangenen Samstag beim Festival de Pollença in der trockenen Akustik des Claustre Santo Domingo erlebt hat, den überwältigten vermutlich geradezu Glücksgefühle angesichts der idealen akustischen Bedingungen das Klangraums von Schloss Bellver. Dem Rezensenten jedenfalls ging es so.
Der zweite Teil des Abends war vorwiegend spanischen Komponisten vorbehalten. Perlen der Zarzuela, der spanischen Operette, erklangen. Gleich zu Beginn das schmissige Preludio zu Chapís „El tambor de granaderos“. Bevor es dann mit Preziosen von Cardillo, Vert, und Penella weiterging, gab’s noch einen Schuss Verdi („Merce diletto, amiche“ aus der Sizilianischen Vesper).
Die andere nicht-spanische Nummer nach der Pause war „Glitter and be gay“ aus Candide von Leonard Bernstein, ein Höhepunkt des Abends. Candide, nach der gleichnamigen satirischen Novelle von Voltaire, ist nicht, wie oft behauptet wird, ein Musical. Was der Broadway-Star Leonard Bernstein hier schrieb, war vielmehr eine lupenreine Operette, Lennys einzige (und einzigartige). Um die gesangstechnischen Schwierigkeiten zu meistern, bedarf es ausgebildeter Opernsänger; singende Broadway-Schauspieler sind damit überfordert. Und so war „Glitter and be gay“ mit seinen halsbrecherischen Koloraturen bei Ziyi Dai in besten Händen.
Morgen (Freitag, 12.08.) dann das letzte Sommerkonzert auf Schloss Bellver: der polnisch-kanadische Pianist Jan Lisiecki wird Beethovens Klavierkonzerte Nr.4 und 5 spielen. Werkeinführungen gibt’s hier:
1 Kommentar
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Liebe Redaktion, ich finde es fantastisch, wenn sie immer mehr über kulturelle Angebote berichten, als Gegensatz zu dem ewigen Herumeiern und Meckern über die Partytempel, die ja nicht dort sind, wo die populäre und klassische Muse lebt. Auch alles was man unter den Evergreens und größten Interpreten der Pop- und Rockgeschichte begrüßen darf, besucht Mallorca. Nämlich auf der ganzen Insel und nicht nur wie der Ballermann auf eine Stelle im Viertel der Playa de Palma, dem Balneario 6 oder in Magaluf bei den Briten, beschränkt, wo viele tatsächlich glauben, die ganze Insel wäre Ballermann. Der Witz daran ist, dass es meiner Erfahrung nach keinen gesellschaftlichen Unterschied darin gibt, welcher Bildungschicht Verlautbarer dieser Meinung angehören. Man reagiert auf das Sichwort "Mallorca oder Ballermann", und schon fällt die Jalousi ruter und Ende. Antwort = " Nee Mallorca, da fliege ich nie hin". Frage = "Waren Sie schon mal auf dem Oktoberfest und wie wars.?" --- "Ja, war einfach toll". -- Ah Ja !? -- "und die vielen Betrunkenen?" - "Ja, die gibts, aber kümmern mich nicht". - Nun Ja ! Fazit = Es ist sonnenklar und demokratisch, dass es auf Mallorca beides nebeneinander geben soll und darf, so wie es zuhause auch ist. Keines soll das andere ausgrenzen. Jeder soll entscheiden wo er sich vergnügen will. Ausreisser gibt es z.B. in DE bedeutend mehr, als auf einer Insel mit Namen Mallorca.