Eines verwundert derzeit auf Mallorca: Die Zeit der nackten Angst, wie sie während des Lockdowns im Frühling fühlbar war, ist vorbei. Und das, obwohl die Coronalage im Augenblick ebenso heftig ist. Obgleich es tagtäglich Hunderte Neuansteckungen gibt und sich die Intensivstationen weiter füllen, ist man abgestumpft und wohl deswegen fatalistisch geworden. In Ansätzen kann sogar von einer Titanic-Stimmung gesprochen werden, also der Lust, es im Unglück richtig krachen lassen zu wollen.
Weil alles schon so lange dauert, scheinen die Menschen zunehmend Angst zu bekommen, etwas zu verpassen. Also zieht man in Pulks durch die Straßen von Palma, so eng wie noch vor Monaten sitzen die Masken nicht mehr. Man macht Partys, und wenn man erwischt wird, hat man halt Pech. Man fährt zu Hunderten in die Serra de Tramuntana, um sich hingebungsvoll am Schneetreiben zu ergötzen. Und immer öfter macht man Corona-Witze, was noch vor wenigen Monaten undenkbar war, als das Grauen aus China auf die völlig unvorbereiteten Menschen hereinbrach und sie in Schockstarre versetzte.
Auch an einen nicht enden wollenden Albtraum kann man sich offensichtlich gewöhnen. Das erinnert an Kriegssituationen: Zuckte man etwa bei den ersten Nachrichten über den in den 90ern losbrechenden Jugoslawien-Krieg noch zusammen, ließen einen die hereinprasselnden brutalen Neuigkeiten zwei Jahre später in der Regel eher kalt. Es ist halt menschlich, das allzu Schlimme nicht allzu lang ertragen zu können. Auf den Schrecken folgt eine selektive Wahrnehmung, eine Art Ausblenden des Horrors. Wie fühlt man sich auf einer Intensivstation? Na und, es trifft halt andere. Und bald wirkt ja die Impfkampagne.
Den Politikern muss zu denken geben, dass ihnen die anfangs so unterwürfigen Menschen von der Fahne gehen. Die Intensivierung der Witz-Kultur, gezielte Regelverstöße und mehr – sowas führte immer schon zu Veränderungen.
Autor: Ingo Thor
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