Juli 2018: MM-Chefredakteur Bernd Jogalla empfängt in seinem Büro das Urlauber-Ehepaar Friedhelm und Irmgard Teubner, das eine MM-Erstausgabe von 1971 mitgebracht hatte. | Patricia Lozano
Dass eine Lokalzeitung, wie das Mallorca Magazin eine ist, hin und wieder von ihren Lesern Besuch bekommt, ist nichts Ungewöhnliches. Doch als das Ehepaar Teubner Ende Juli 2018 in der Redaktion im Industriegebiet Son Valentí vorbeisah, da war das etwas ganz anders. Denn der damals 75-jährige Friedhelm Teubner aus Essen und seine ein Jahr jüngere Ehefrau Irmgard hatten etwas mitgebracht, mit dem niemand gerechnet hatte: Der pensionierte Eisenbahner zog aus seiner Tasche ein sorgfältig verpacktes Exemplar. Es handelte sich um die Erstausgabe des Mallorca Magazins, erschienen am 19. Juli 1971. Und eben diese Erstausgabe hatte das Ehepaar damals während seines Mallorca-Urlaubs gekauft.
Donnerwetter! Zum Verständnis: Im Archiv des Mallorca Magazins, das nunmehr ein halbes Jahrhundert alt ist, befinden sich zwar die frühen Ausgaben des Blattes, doch sie sind gebunden zu großformatigen Büchern. Sprich: Dort eine Ausgabe herausnehmen zu wollen, würde bedeuten, den Jahresband zerstören zu müssen. Eine einzelnes, loses Exemplar des allerersten MM hatte die Redaktion darum zumindest bis zum Besuch von Friedhelm und Irmgard Teubner nicht besessen. Das Paar überließ die Ausgabe der Redaktion als Geschenk. Klar, dass dieser freudige Anlass auf Erinnerungsfotos festgehalten wurde, mit den Besuchern und Chefredakteur Bernd Jogalla. Zu jenem Zeitpunkt hatte niemand ahnen können, dass dem damaligen Redaktionsleiter nur noch wenige Wochen Lebenszeit vergönnt gewesen waren. Die Aufnahmen dürften die letzten sein, die den 60-jährigen Journalisten an seinem Arbeitsplatz zeigten.
Das Ehepaar Teubner hatte seinerzeit den Kontakt zu MM gesucht, um Erinnerungen an die eigene Vergangenheit nachspüren zu können. Es war seit 1984 nicht mehr auf der Insel gewesen, und jene kurze Stippvisite von damals hatte für Friedhelm und Irmgard Teubner kein erhellendes Licht erbracht. Denn die Eheleute waren auf der Suche nach der Pension Raabe in Palmas Wohnviertel Son Espanyolet, wo es von 1966 bis 1971 jedes Jahr den Sommerurlaub verbracht hatte. MM gelang es, die Teubners mit Isabel Raabe zusammenbringen, der Tochter des deutsch-mallorquinischen Ehepaares Franz und Dolores Raabe, das einst die gleichnamige Pension mit dem „Doppel-a” gegründet hatte. Der Glasbläser Franz Raabe aus Dresden hatte sich bereits in den 1920er Jahren auf Mallorca niedergelassen.
Zurück ins Jahr 2018: Friedhelm und Irmgard Teubner können die einstige Pension Raabe, heute ein Kindergarten, von außen besichtigen: Das Paar wirft durch das Eisengitter des Tores einen Blick in den gepflegten Garten. Dahinter erhebt sich auch heute noch ein Chalet, zweieinhalb Stockwerke hoch, mit einer Balustrade am Balkon. „Dort, auf der rechten Seite, war unser Zimmer”, sagt Friedhelm Teubner und zeigt in die Höhe. Hier hatte er, als junger Mann von 20 Jahren, 1963 zum ersten Mal die Sommerferien verbracht. 1965 dann, frisch verheiratet mit Schulfreundin Irmgard, auch die Hochzeitsreise. Und anschließend sechs weitere Sommer.
Der Empfang in dieser deutsch-mallorquinischen Familienpension war immer herzlich, versichert das Ehepaar. „Hier anzukommen, war wie nach Hause zu kommen”, erinnert sich Irmgard. Das Chalet und sein Garten sind ungeachtet der vielen Jahre weitgehend unverändert erhalten geblieben. Allerdings: Wo einst Dolores Raabe in der Küche das Regiment führte und die Pensionsgäste sich bei Gartenfesten amüsierten, toben nun tagsüber Kleinkinder über die Freiflächen.
Die 86 Jahre alte Isabel Raabe lebte 2018 wenige Schritte vom Kindergarten entfernt und empfing die Teubners freudestrahlend in ihrem Wohnzimmer. „Früher waren wir jung und schön, heute sind wir nur noch schön!”, sagte die Seniorin in perfektem Deutsch. Dann schwelgen die Bekannten in Erinnerungen. Etwa an jenen gemeinsamen Abend im Juli 1971, als man zu Fuß zum Tanzen nach El Terreno lief, die Teubners sowie Isabel Raabe samt ihrer Schwester und den frisch angetrauten Ehemännern, die zufälligerweise beide Toni hießen. Unweit der Plaza Gomila hatte just das „Bavaria Hofbräu-Haus” eröffnet. Zu deutschen Würsten, Brezeln und Sauerkraut spielte das Georg Oswald Orchester auf, wie Friedhelm Teubner damals aus der Debüt-Ausgabe des Mallorca Magazins erfahren hatte.
Teubner hatte 1963 als angehender Fahrdienstleiter gemeinsam mit gut einem Dutzend Kollegen den Weg nach Mallorca gefunden. Die Jugendorganisation der Gewerkschaft der Bundesbahnbeamten und Anwärter (GDAB) spendierte ihren Mitgliedern jährlich eine Urlaubsfreifahrt bis nach Barcelona und kooperierte auch mit der Pension Raabe. Teubner musste einzig den Flug Barcelona-Palma- Barcelona sowie die Unterkunft bezahlen. So hatte ihn seine erste Mallorca-Reise keine 150 Mark gekostet.
Die Anekdoten, die der langjährige Eisenbahner über das damalige Mallorca zu erzählen weiß, muten geradezu unglaublich an. Etwa, wie er mit einem Kollegen irgendwo in Son Espanyolet bei zwei Gitarrenspielern in einer Bar landete, und nach mehreren „Cuba Libres” einen „ Filmriss” erlitt. „Als ich wieder aufwachte, lag ich in meinem Bett in der Pension Raabe. Auf einem Zettel aufgelistet waren die Longdrinks, ein Sandwich und die Taxifahrt. In meiner Geldbörse fehlte dann – sauber abgerechnet – lediglich das Geld für die Auslagen. Das restliche Geld war nicht angetastet worden.”
Teubner weiß auch zu schildern, wie Dolores Raabe sich um 1965 schick machte, die Lippen rot schminkte und zur Polizei ging. Dort hatte man ein unverheiratetes deutsches Pärchen festgenommen, das in der Öffentlichkeit geschmust hatte. Damals ein Ärgernis für die Beamten der Franco-Zeit. Doch die Pensionsmutter wusste gut Wetter zu machen und bekam die Gäste frei.
Oder jene Anekdote von der Frau im Bikini, die von einem Polizisten ermahnt wird, am Strand seien nur Einteiler erlaubt. „Welches Teil soll ich jetzt ausziehen, das obere oder das untere?”, fragte daraufhin die Frau den verdutzten Beamten.
Isabel Raabe starb am 1. Januar 2020, ohne die Teubners noch einmal wiedergesehen zu haben. Das deutsche Rentnerpaar hat seit dem damaligen Treffen Mallorca nicht mehr besucht, nimmt aber als treuer Leser des MM regen Anteil am Geschehen auf der Insel. Als jüngst zur Bundestagswahl am 26. September seitens der Grünen der Vorschlag aufkam, Urlauber sollten statt mit dem Flugzeug mit der Bahn nach Mallorca reisen, da sagte Friedhelm Teubner gegenüber MM: „Die Grünen haben dafür sehr lange gebraucht! Wir und viele Bekannte haben die Idee schon 1963 gehabt und umgesetzt. Sind regelmäßig von 1966 bis 1971 mit dem Zug gefahren. Nicht aus Umweltgründen, sondern weil es günstig war, nach Mallorca zu kommen.”
Dass der Vorschlag der Grünen sich im Falle einer Regierungsbildung realisieren lassen wird, glaubt Teubner nicht: „Nach dem Wahlkampf ist die Idee wieder weg!”
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