Müllverbrennungsanlage in Son Reus. | Patricia Lozano

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Mallorca gilt in Sachen Müllverarbeitung als Vorreiter in der Kreislaufwirtschaft. Mit einem bahnbrechenden Konzept, das auf Recycling, energetische Verwertung und Abfallvermeidung setzt, hat die Insel nicht nur ökologisch, sondern auch technisch neue Maßstäbe gesetzt. Das private Unternehmen Tirme, seit 1992 Betreiber des Abfallwirtschaftssystems, spielt dabei eine Schlüsselrolle. Doch hinter der Erfolgsgeschichte verbergen sich wachsende finanzielle Probleme, die durch politische Entscheidungen und Missmanagement noch verschärft werden.

Tirme betreibt ein weit verzweigtes Netz von Anlagen, das die gesamte Insel abdeckt. Das Herzstück des Unternehmens ist der Technologiepark Son Reus nahe Palma, der zentrale Punkt für die Abfallverwertung. Hinzu kommen fünf Umladestationen in Alcúdia, Binissalem, Manacor, Calvià und Campos, die den Abfall aus den Gemeinden bündeln und transportieren. Weitere wichtige Standorte sind die Kompostieranlagen in Calvià, Felanitx und Llucmajor sowie die Biogasanlage und die Anlage zur Herstellung von Eco-Granulaten, die aus Schlacke gewonnen werden.

Insgesamt beschäftigt Tirme 289 Mitarbeiter, die in verschiedenen Bereichen tätig sind – von der Abfallbehandlung über technische Entwicklung bis hin zur Umweltbildung. Besonders hervorzuheben ist das Umweltinformationszentrum von Tirme, das jährlich von Tausenden Schulkindern besucht wird, um Bewusstsein für Mülltrennung und Recycling zu schaffen.

Seit der Unterzeichnung des Konzessionsvertrags hat Tirme über 800 Millionen Euro in In-frastrukturprojekte investiert. Diese Investitionen trugen dazu bei, dass 2010 ein Meilenstein erreicht wurde: Als erste Region Europas schloss Mallorca sämtliche Deponien. Heute werden alle Abfälle auf der Insel entweder recycelt oder zur Energiegewinnung genutzt.

Die moderne Abfallanlage Son Reus verarbeitet jährlich über 650.000 Tonnen Abfall und produziert dabei 329.810 MWh Strom – genug, um Tausende Haushalte zu versorgen. Zudem werden jährlich rund 20.000 Tonnen Papier und Karton, 15.000 Tonnen Glas sowie über 11.000 Tonnen Kompost recycelt. „Wir haben ein Modell geschaffen, das weltweit als Referenz gilt”, sagt Rafael Guinea, Präsident von Tirme.

Trotz technischer Erfolge steckt das System in einer finanziellen Schieflage. Die Gemeinden auf Mallorca schulden Tirme mittlerweile rund 70 Millionen Euro – eine Summe, die sich vor allem durch ausstehende Zahlungen für die Müllverwertung erklärt. Besonders dramatisch ist die Lage in Palma, wo die Schulden auf 23 Millionen Euro angewachsen sind. Auch Llucmajor (7,2 Millionen Euro) und Marratxí (vier Millionen Euro) haben beträchtliche Rückstände.

Die Ursache dieses Problems liegt in der Finanzpraxis der Gemeinden. Obwohl die Müllgebühren von den Bürgern eingezogen werden, wird das Geld häufig für andere Ausgaben verwendet. „Die Gemeinden verlagern ihre finanziellen Probleme auf Tirme und treiben so die Kosten für die Bürger unnötig in die Höhe”, kritisiert ein Insider.

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Der Vertrag zwischen Tirme und dem Inselrat sieht vor, dass das Unternehmen jährlich einen Vorschlag für die Mülltarife einreicht. Für 2024 schlug Tirme eine drastische Erhöhung von 114,95 Euro auf 225,78 Euro pro Tonne vor – fast eine Verdopplung. Begründet wurde dies mit gestiegenen Betriebskosten, dem Rückgang staatlicher Subventionen und dem Anstieg des Euribor.

Der Inselrat reagierte mit einer kontroversen Entscheidung: Um den Bürgern diese Erhöhung zu ersparen, stellte er 43 Millionen Euro aus eigenen Mitteln bereit. Doch Kritiker, darunter die Partei Més per Mallorca, werfen dem Rat Missmanagement vor. „Das ist ein finanzielles Desaster, das andere öffentliche Projekte gefährdet”, so Més-Sprecher Jaume Alzamora.

Obwohl der Inselrat die Tarife offiziell niedrig hält, tragen die Bürger die Last indirekt. Die Zinsen für Tirmes Kredite, die zur Deckung der kommunalen Schulden aufgenommen wurden, fließen in die Müllgebühren ein. Dies führt zu einer paradoxen Situation: Während die Tarife offiziell eingefroren sind, zahlen die Bürger de facto mehr.

Ein weiteres Problem ist die mangelnde Transparenz. Viele Bürger verstehen nicht, warum die Müllgebühren steigen, obwohl das System scheinbar effizient arbeitet. „Die durchschnittlichen Kosten für die Abfallentsorgung einer Familie auf Mallorca liegen bei 93 Euro pro Jahr – weniger als in Barcelona oder Bilbao”, argumentiert Tirme. Doch diese Vergleichszahlen überzeugen nicht alle, vor allem angesichts der stagnierenden Löhne und steigenden Lebenshaltungskosten.

Die Mülltarife sind nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein politisches Thema. Der Inselrat hat sich verpflichtet, die Kreislaufwirtschaft weiter auszubauen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Doch Kritiker bemängeln, dass finanzielle Zwänge die Fortschritte in der Abfallwirtschaft gefährden könnten. Besonders umstritten ist die Idee, Abfallimporte aus anderen Regionen zuzulassen, um die Anlagen auszulasten und zusätzliche Einnahmen zu generieren. Gegner sehen hierin eine Gefahr für die Umwelt und die Glaubwürdigkeit Mallorcas als Modellregion.

Die Krise der Müllwirtschaft auf Mallorca ist ein Paradebeispiel für die Komplexität öffentlich-privater Partnerschaften. Während Tirme technisch und ökologisch Vorreiter ist, zeigen die finanziellen Probleme und die politische Dimension des Themas, dass das Modell dringend reformiert werden muss. „Ohne eine bessere Koordination zwischen den Gemeinden und dem Inselrat wird das System langfristig nicht tragfähig sein”, warnt Alzamora. Ein radikales Umdenken ist erforderlich – nicht nur, um die finanzielle Stabilität zu sichern, sondern auch, um den Bürgern eine faire und transparente Müllpolitik zu bieten.

Mit seiner breiten Infrastruktur, den zahlreichen Standorten und einem Team von fast 300 Mitarbeitern ist Tirme eine der zentralen Stützen von Mallorcas Abfallwirtschaft. Das Unternehmen setzt auf Innovation und Bildung, um die Insel langfristig nachhaltiger zu gestalten – doch die finanziellen und politischen Herausforderungen könnten diesen Fortschritt bremsen.