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Es stank hier früher entsetzlich. In der Einflugschneise am Insel-Flughafen befindet sich eine Ruine, die ehe-dem das sogenannte Ausbeinhaus der Inselhauptstadt war. Weit weg vor den Toren von Palma wurden Schlachttiere nach allen Regeln der Kunst ausgeweidet, die Knochen vom Fleisch getrennt. Kein Wunder, dass der gesamte unbebaute Abschnitt samt Stränden ganz unironisch Es Carnatge” heißt – "das Blutbad".

Was hier vor sich ging, ist heute, wenn man vor dem Gebäuderest steht, nicht zu erahnen. Es ist Montag, leise plätschern Wellen an den Ministrand „Es Pudent”, ohrenbetäubend laute Flugzeuge starten vom nahegelegenen Son-Sant-Joan-Airport in Richtung Bucht von Palma. Auf einem erst vor wenigen Jahren angelegten Weg sind sportlich angezogene Radfahrer und Jogger geruhsam bis gehetzt unterwegs. Auf mehreren einladendend schwarzen Bänken mit Lehnen und Meerblick ruhen sich Passanten aus, wenige Meter davon entfernt gehen Spaziergänger gebückt auf Muschelsuche.

Und dann sind da die vielen Menschen mit Hunden. Denn hier auf diesem Areal voller Büsche und Sträucher, wo wegen der startenden und landenden Flugzeuge bis in alle Ewigkeit kein Gebäude errichtet werden darf, ist es gestattet, die Vierbeiner ins Meer zu lassen. Und so mischt sich in den Höllenlärm der Jets das Kläffen und Jaulen der in der Regel wild herumstromernden Vierbeiner, denen man als Lustwandler zuweilen fast fluchtartig ausweichen muss.

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Früher glich diese Gegend einer Müllhalde, Freunde des schnellen Beischlafs praktizierten diesen hier in einer weiteren Ruine oder zwischen den Büschen und sollen dies gelegentlich heute noch tun. Aber in den vergangenen Jahren legten sich die Stadtverantwortlichen ins Zeug, um eine Art Naherholungsgebiet zu schaffen. Und ja, die Besucher kommen!

Schützenswerte Abschnitte wie ein alter Steinbruch sind durch Seile abgetrennt, überall stehen Mülltonnen herum, es ist sauber, es ist idyllisch, gelbe und lila Blüten sprießen jetzt im Frühling in rauen Mengen. Es verwundert nicht, dass das Gebiet erst vor einigen Tagen von der Stadt, wie unter anderem schon vor längerer Zeit der Bellver-Wald, als besonders schützenswert deklariert wurde.

Und man lernt sogar etwas in „Es Carnatge”: Auf Hinweistafeln erfährt man Wissenswertes etwa aus grauer Vorzeit, als hier und woanders auf Mallorca der legendäre Myotragus balearicus unterwegs war. Ein Fußabdruck der Höhlenziege blieb als Versteinerung erhalten. Die Tierart starb schon vor langer Zeit aus, denn die Ziegen waren von den ersten Siedlern der Inseln gnadenlos gejagt worden. Der Myotragus balearicus wurde immer seltener und zog sich in abgelegene Gebirgslandschaften zurück. Und dann war sein Schicksal besiegelt: Die jüngsten Skelette stammen aus dem Zeitraum um 1800 vor Christus, sodass die putzig aussehende Kreatur etwa in dieser Zeit ausgerottet worden sein dürfte.

„Es Carnatge” ist kein Ort blutiger Filetierungsaktionen mehr, sondern ein Gelände, das lohnt, mal eben für zwei Stunden aufgesucht zu werden. Man sieht Natur wie sonst an wenigen Stellen in Palma, und der Erlebniswert ist nicht zu verachten: Denn spannend wird es hier erst recht, wenn die Flugzeuge vom Meer aus landen und wenige Meter über einen hinwegdonnern.