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Die gebürtige Flensburgerin Heike Charmaine Genschow kann man sicherlich als ein Urgestein der Tourismusindustrie auf Mallorca bezeichnet. Die Managerin ist seit 1972 auf der Insel aktiv und hat bei mindestens drei der heute großen Hotelkonzerne - Meliá, Riu und Iberostar - gearbeitet, mitunter Jahrzehnte. Genschows Fachgebiet ist das internationale Marketing, also das Entwickeln und Bewerben von Produkten und Marken, zuvorderst bei Tourismusfirmen wie etwa Viva Hotels, aber auch bei Gesundheitsunternehmen. Im Vorfeld der Internationalen Tourismusbörse in Berlin (ITB) sprach MM mit Heike Genschow über viereinhalb Jahrzehnte Urlaubsindustrie auf Mallorca.

MM: Alle sprechen davon, dass Mallorca vor einer Rekordsaison steht. Die Insel wird diesen Sommer voll wie nie. Wie sehen Sie das?

Heike Genschow: Kein Zweifel, Mallorca ist dieses Jahr der Renner für die europäische Tourismusindustrie. Die guten Hotels werden ausgebucht sein, dort wird es kaum Last-Minute-Angebote geben.

MM: Ist Overbooking zu befürchten?

Genschow: Davon gehe ich nicht aus. Die versierten Reiseveranstalter und Hoteliers sind Profis. Und als Profis werden sie zusehen, dass es zu keinen Überbuchungen kommt.

MM: Mallorca hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten häufig vor Rekordsaisons gestanden. Was macht dieses Jahr den Unterschied?

Genschow: Die Aussichten auf die Saison sind, sagen wir, einzigartig, weil die übrigen Sonnenziele am Mittelmeer dieses Jahr als Wettbewerber Buchungseinbrüche verzeichnen. Das ist der geopolitischen Lage geschuldet. Die Nachfrage nach Urlaub in den nordafrikanischen Zielgebieten oder in der Türkei ist sehr zurückhaltend und im zweistelligen Prozentbereich rückläufig.

MM: Das heißt, es läuft alles bestens für Mallorca?

Genschow: Ganz so kann und darf man das nicht sehen. Denn dieses Regionen werden nach einer Stabilisierung irgendwann wieder am Reisemarkt partizipieren. Für die Reiseveranstalter und den Vertrieb, die Reisebüros, laufen darüber hinaus die Geschäfte schlecht, wenn ganze Absatzmärkte plötzlich fehlen. Mallorca sollte diese Atempause nutzen, um sich qualitativ und servicemäßig nach vorne zu entwickeln. Die Insel darf sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Die Konkurrenz wird eines Tages zurückkehren.

MM: Wenn Sie Qualität sagen, meinen Sie sicherlich auch die Pflege eines positiven Image als Reisedestination. Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die geplante Einführung einer Urlaubersteuer?

Genschow: Sie ist sicherlich nicht positiv zu bewerten, insbesondere für gewisse Gruppen mit schmalem Geldbeutel, etwa Familien mit vielen Kindern ...

MM: Kinder bis zum 14 Lebensjahr sollen von der Steuerpflicht ausgenommen bleiben ...

Genschow: ... aber als alleinverdienender Familienvater muss man dennoch tiefer in die Tasche greifen. Diese Gäste werden einen Blick mehr auf die Preise werfen und vielleicht weniger Urlaubstage auf Mallorca verbringen als sonst.

MM: Was ist mit Urlaubern, die etwas mehr Geld in der Tasche übrig haben?

Genschow: Hier wird die geplante Urlaubersteuer nicht gleichermaßen zu Buche schlagen. Aber auch hier darf man nicht aus den Augen verlieren: Urlaub muss letztlich erschwinglich sein. Da spielt die Preisgestaltung auf der Insel in allen Bereichen eine Rolle. Qualität zu Billigpreisen funktioniert selten, aber eine normale Dienstleistung darf auch nicht überteuert sein, sonst verliert sie an Attraktivität. Und die Mitbewerber schlafen nicht.

MM: In Tourismus-kritischen Kreisen ist hier und da von Obergrenzen die Rede. Stets nach dem Motto: Wie viele Millionen Urlauber im Jahr können die Balearen verkraften? Wie sehen Sie diese Diskussion um eine Deckelung der Besucherzahlen?

Genschow: Also, konkrete Zahlen will ich nicht beurteilen, aber für die Hochsaison sehe ich die Obergrenze bereits erreicht. Mehr Besucher in Juli und August geht nicht. Wenn die Hotels voll sind, sind sie voll. Das ist die Obergrenze durch belegte Betten. Wo ich durchaus noch Wachstumsmöglichkeiten sehe, ist in der Neben- und Nachsaison, etwa durch bessere Angebote für Sportler, Wanderer, Wellness-Sucher und Zielgruppen, die Land und Leute entdecken wollen.

MM: Heißt das, Mallorca sollte in den anderen zehn Monaten des Jahres jeweils so viele Urlauber beherbergen wie im Juli und August?

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Genschow: Nein, das ist allein vom Klima her unrealistisch, weil viele eben doch Meer und Sonne suchen. Aber es wäre sinnvoll, die "kühleren" Monate auf Mallorca zu bewerben statt die Sommerzeit. Es gibt viele Menschen, die die milden Winter auf der Insel für Freizeitaktivitäten nutzen würden, wenn hier entsprechende Angebote geschaffen würden. Mallorca könnte besuchermäßig noch zulegen.

MM: Was meinen Sie damit konkret? Golfer und Radfahrer wissen die Insel doch bereits als Winter- und Frühjahrsziel zu schätzen.

Genschow: Die Veranstaltungen und Events für Sportler, wie etwa der Ironman in Alcúdia oder der Marathon von Palma existieren bereits, aber es handelt sich um Privatinitiativen, die von der öffentlichen Verwaltung noch besser unterstützt werden könnten, etwa durch vereinfachte bürokratische Prozesse. Gut wäre auch eine effizientere Bewerbung und Vermarktung solcher Veranstaltungen sowie eine stärkere Beteiligung kleinerer Unternehmen und Firmen, die letztlich alle gemeinsam davon profitieren könnten, etwa durch gute, zeitgemäße Unterhaltungsangebote im Winter.

MM: Also nicht die ewige Flamencotänzerin auf der Hotelbühne oder der Mann an der Orgel?

Genschow: Nein, auch nicht immer nur Bingo, sondern stattdessen etwa Yoga, Aerobic, Tennis, Pilates, Meditation-Stressabbau und insbesondere Wandern.

MM: Wo sehen Sie noch Wachstumspotenzial?

Genschow: Der Bereich Kongresse, Tagungen, Events. Da ließe sich viel erreichen. Es ist traurig, dass wir noch immer keinen funktionsfähigen Kongresspalast in Palma haben.

MM: Sie sind seit 1972 auf Mallorca beruflich aktiv, damals als Gebietsleiterin und Qualitätsüberwacherin beim britischen Veranstalter Thomson Holidays. Wie haben Sie den Tourismus in den Pioniertagen erlebt?

Genschow: Die Bevölkerung war arm, die deutschen Gäste genügsam. Zum Frühstück reichte ein Brötchen, ein kleines Stück Butter und eine Mini-Portion Konfitüre. Die Unterkünfte waren einfach, von den Pensionen und Ein-Stern-Häusern bis zu den seinerzeit höchstens Drei-Sterne-Häusern. Damals gab es viele Cafés und Restaurants. Wein, Gambas und Schinken waren günstig, die Trinkgelder großzügig, alle waren glücklich.

MM: Und dann kam der Boom des Massentourismus?

Genschow: Die Nachfrage stieg rasant, die Reisebranche investierte und animierte die Hoteliers zu bauen, Hauptsache schnell. Es gab nur wenig Steuern, was gute Geschäfte für Unternehmer bedeutete. Mit dem Tod von Franco (1975) und dem späteren Beitritt zur Europäischen Union (1986) veränderten sich die wirtschaftlichen Maßstäbe. Die Kosten stiegen, ebenso die Steuern und Preise. Und auch die Ansprüche der Kunden stiegen beständig.

MM: Was sagt uns das heute?

Genschow: Mallorca war stets das Paradebeispiel für alle anderen Mittelmeergebiete, was zum einen das Wachstum betraf, zumal dies Devisen brachte, Arbeitsplätze und Wohlstand generierte, zum anderen aber auch für die Innovationen wie etwa vielseitige Büfetts, Show-Cooking, Animation für Jung und Alt, selbst All-inclusive, auch wenn das zunächst in der Karibik erprobt wurde.

MM: Vor welchen Herausforderungen steht Mallorca heute?

Genschow: Wie bereits angedeutet: Es geht darum, das Wachstum in die Nach- und Nebensaison zu verlagern, etwa durch neue Angebote für Sportler und Aktivurlauber, Kongressteilnehmer, Familien, Wellness-Urlauber. Mallorca kann mittelfristig nur über Qualitätsangebote im Wettbewerb bestehen, nicht jedoch über den Preis. Und Qualität heißt auch, dass in Schulungen und Sprachkenntnisse investiert werden muss. Im Zeitalter des Internet ist es zudem wichtig, die vielen Pluspunkte der Insel korrekt und attraktiv darzustellen.

MM: Wie wichtig ist für Sie die Teilnahme an der Internationalen Tourimusbörse in Berlin?

Genschow: Die ITB ist ein Muss! Sie dient nicht nur der Kontaktpflege zwischen Hoteliers, Reiseveranstaltern und den weiteren Akteuren der Branche. Dort wird auch eine erste Stärken- und Schwächen-Analyse der anlaufenden Saison betrieben. Es erfolgt auch ein erstes Andenken der Herausforderungen für die Saison 2017. Denn Touristiker planen stets ein Jahr im Voraus.

(Aus MM 10/2016)