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Augen und Ohren sind auf Animateurin Joke gerichtet. Die junge Belgierin gibt den Ton an. Sie spielt mit rund 25 Senioren im Hotel Iberostar Royal Playa de Palma Bingo. Jeden Tag um 16 Uhr. Einer von vielen Fixpunkten im Tagesprogramm des Thomas-Cook-Angebots "Vitalwelt". Ganz früher war das mal der "Club Schwalbe" von Neckermann-Reisen - Animation und mehr für deutsche Überwinterer.

Langzeiturlauber auf Mallorca? Findet man die tatsächlich noch? Ja, wenngleich nicht mehr so zahlreich wie vor zwei oder drei Jahrzehnten. "Im Vergleich zu früher gibt es jetzt mehr Länder, die um die Gunst der Langzeiturlauber werben", berichtet Hans Müller, Direktor Hoteleinkauf für das westliche Mittelmeer bei Thomas Cook. "Aber Mallorca ist der Liebling der Langzeiturlauber. Kein anderes Ziel bietet eine so gute Infrastruktur und Freizeitmöglichkeiten."

Jedoch der Stellenwert der Langzeiturlauber auf der Insel ist definitiv ein anderer als noch vor 20 oder 30 Jahren. Das merkt auch die Klientel selbst. "Früher waren hier an der Playa de Palma noch fast alle Geschäfte im Winter offen, jetzt ist das kaum noch eines", erinnert sich der 78-jährige Rolf Weiers aus Oberhausen nach dem Bingo. Er hat die "Reihe" gewonnen und bekam von Animateurin Joke einen Schrittezähler als Preis. Weiers überwintert schon das 15. oder 16. Mal an der Playa. Meist bleibt er wie in diesem Winter sechs Wochen "Man lernt so viele Leute kennen und freut sich schon beim Abschied auf das nächste Treffen."

Für Rolf Weiers gibt es kein anderes Reiseziel, das eine Alternative zu seinem Mallorca-Winter bietet. Das sehen inzwischen viele deutsche Rentner anders. Thomas-Cook-Direktor Müller zählt Mallorca neben der Türkei und Tunesien noch zu den Top-3-Zielen für Überwinterer. Auch für die TUI spielt Mallorca als Seniorenziel in der kalten Jahreszeit weiterhin eine Rolle. Außerdem stehen die Kanaren hoch im Kurs und die türkische Riviera, die inzwischen Platz eins im Langzeiturlauber-Ranking belegt. TUI-Pressesprecherin Kathrin Spichala erklärt, warum das so ist: "All-Inclusive-Angebote, günstige Preise für Langzeitaufenthalte sowie niedrige Lebenshaltungskosten kombiniert mit angenehmem, sonnigem Klima sind für Überwinterer äußerst attraktiv." Gefragt seien auch Tunesien, Portugal und das spanische Festland.

"Langzeiturlauber zieht es immer stärker in Zielgebiete, die im Winter Sonnengarantie haben", meint Alltours-Sprecher Stefan Suska. "An erster Stelle sind die Kanaren und Fernreisen zu nennen." Anne Schmidt, Pressesprecherin von DER Touristik (unter anderem ITS-Reisen) sagt: "Die größere Anzahl an Langzeittouristen ist eher auf den Kanaren zu finden." Auch Tunesien und Ägypten seien beliebt.

Für die 90 Jahre alte Adolfine Thiele, die aus der Nähe von Mainz kommt, sind die Kanaren kein Thema: "Der Flug dauert viel zu lange. Wenn man älter wird, will man nicht mehr so lange fliegen." Die betagte Dame kommt seit 1995 an die Playa de Palma, jedes Jahr im Januar für sechs Wochen. Am Standort Mallorca schätzt sie nicht nur, dass die Insel vertraut ist, sondern eben auch die schnelle Erreichbarkeit. Sollte mal etwas passieren, sei man schnell zu Hause oder es könnte rasch jemand auf die Insel kommen.

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Die Idee, dass Deutsche mehrere Wochen oder Monate auf Mallorca Urlaub machen könnten, kam in den 60er Jahren auf. Da die Senioren Unterhaltung und Betreuung brauchten, entstanden später "Club Mallorquin" (TUI) und "Club Schwalbe" (Thomas Cook). Während es bei Thomas Cook mit "Vitalwelt" einen Nachfolger des "Club Schwalbe" gibt, hat die TUI den "Club Mallorquin"-Nachfolger "Club Elan" vor ein paar Jahren aus dem Programm genommen. "Ältere Urlauber wünschen oftmals keine spezifische Zielgruppenansprache. Viel wichtiger als beispielsweise das Alter sind die Einstellungen und Urlaubsbedürfnisse unserer Kunden", erläutert Sven Görrissen, Produktmanager bei dem Hanoveraner Touristik-Konzern, den Schritt.

Die Senioren von heute sind in der Mehrheit nicht gebrechlich oder krank und hilfsbedürftig. Sie werden "Best Ager" genannt und haben oftmals ganz andere Erwartungen an den Urlaub als die Rentner vor 20 oder 30 Jahren. Und auch die unterschiedlichsten Interessen. "Die 60-Jährigen von heute haben wenig mit den 60-Jährigen von vor 30 Jahren gemein", so TUI-Sprecherin Spichala. Anne Schmidt von DER Touristik: "Die Senioren sind heutzutage viel vitaler, suchen viele Wellness- und Wander-Angebote und zusätzliche Unterhaltunsgprogramme. Sie sind auch viel mobiler - Mietwagen-Touren quer über die Insel sind angesagt". Hinzu kommt: Gerade auf Mallorca bedarf diese Klientel keiner besonderen Ansprache. Man kennt sich aus, ist mit allem längst vertraut.

"Wenn ich Lust habe, dann setze ich mich in den Bus und fahre nach Palma rein. Ich habe auch schon mit dem gelb-roten Bus Ausflüge in andere Ecken der Insel gemacht. Das klappt gut", erzählt Rolf Weiers. Und Renate Plominski, die beim Termin mit MM neben ihm sitzt, ergänzt lachend: "Früher hätte man das mit ,Die Schlümpfe' gemacht." Das war ein Ausflugsunternehmen. Auch die 81-Jährige aus Hannover kennt die Insel seit Jahrzehnten. Zunächst war sie im Sommer hier, seit 18 Jahren kommt Plominski als Überwinterin. Für drei Monate. Diesmal stand auf dem Buchungszettel "1. Dezember bis 23. Februar". Ihr Argument für Mallorca ist vor allem "das schlechte Wetter in Deutschland". So sieht es auch Adolfine Thiele: "Ich kann hier jeden Tag spazierengehen und mich bewegen. Das kann ich um diese Zeit in Deutschland nicht."

Neben dem Wetter galt früher auch das Geld als Argument für einen Rentner-Winter auf Mallorca. Die Lebenshaltungskosten in Spanien waren für die deutschen Gäste wesentlich niedriger als in der Heimat. Das hat sich geändert. Unter diesem Aspekt würde sich das Überwintern eher zum Beispiel in der Türkei lohnen. Doch die Senioren im Iberostar Royal Playa de Palma meinen, dass man sich Mallorca auch mit einer normalen Rente leisten kann. Rolf Weiser: "Wenn ich den Flug und alles andere zusammenrechne und durch meine 42 Tage teile, dann komme ich auf 38,50 Euro pro Tag mit Halbpension. Dafür habe ich ein abwechslungsreiches Frühstück und ein opulentes Abend-essen." Natürlich liefen in Deutschland die Kosten weiter, man könne aber zum Beispiel einiges beim Heizen einsparen.

Wenn keine neuen Mallorca-Überwinterer im reiferen Alter hinzukommen, dann stirbt diese Klientel der Langzeiturlauber naturgemäß irgendwann aus. Das ist allen klar. Doch solange es geht, wollen die aktuellen "Best Ager" der Insel die Treue halten. "Das hier ist doch so etwas wie ein zweites Zuhause für uns geworden."

(aus MM 5/2015)