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Wer genau damals die Idee hatte, ist nicht mehr zu klären. Fest steht, dass an jenem Abend des 9. November 1989 die wichtigsten Vertreter des mallorquinischen Tourismus auf einem Kongress des Deutschen Reiseverbandes in Istanbul saßen und einen kühnen Plan schmiedeten: 10.000 bedürftige Deutsche sollten gratis eine Woche Urlaub auf Mallorca machen können. Als "Dank an alle Deutschen", die den Tourismus auf den Inseln in den zurückliegenden Jahrzehnten so weit vorangebracht hätten, wie es damals hieß.

"Das war so ein emotionaler Moment, das werde ich nie vergessen", sagt Jaume Cladera. Der 72-Jährige war damals balearischer Tourismusminister und federführend an der größten Einladungsaktion der mallorquinischen Tourismusgeschichte beteiligt. "Ich weiß noch: Wir saßen alle da und hörten gerade einen Vortrag, als jemand die Nachricht vom Mauerfall überbrachte", erinnert sich Cladera. Am meisten habe ihn beeindruckt, wie mehrere Leute in Tränen ausbrachen und sich umarmten. "Das ist ja nicht alltäglich, dass erwachsene Menschen solche Emotionen zeigen."

Also habe man überlegt, wie man helfen könne. Da es zu jener Zeit zumindest in der Nebensaison sowohl in den Hotels als auch in den Ferienfliegern stets freie Plätze gab, entschloss man sich, diese an Deutsche zu vergeben, die sich einen Urlaub andernfalls nicht hätten leisten können. Das Rote Kreuz übernahm die Auswahl der Personen. Im Mai 1990 ging es dann los: Die ersten 250 der 10.000 geladenen Mallorca-Urlauber landeten in Palma.

Jaume Cladera erinnert sich: "Das war etwas ganz Einzigartiges. Die Leute waren so froh und dankbar, hier zu sein. Schon allein wegen der Apfelsinen auf den Märkten waren die ganz aus dem Häuschen." Auch Wolfgang Graf Pilati war damals in vorderster Front dabei, als TUI-Chefreiseleiter auf Mallorca. "Es war beeindruckend zu sehen, mit welcher Neugierde die ersten Touristen aus Ostdeutschland hier ankamen", sagt er. "Die Gäste waren so dankbar für alles, da gab es überhaupt keine Reklamationen, nichts." Die Reiseleiter hätten sich um diese pflegeleichten Gruppen geradezu gestritten. Auch die fehlende Erfahrung mit Auslandsreisen habe sich bei den ersten DDR-Touristen bemerkbar gemacht. "Manche stiegen bei Ausflügen in die falschen Busse ein", erinnert sich Graf Pilati. "Andere luden sich am Büfett im Hotel die Teller so voll, als ob es nie wieder etwas zu Essen gäbe. Man darf nicht vergessen: Für viele von ihnen war es ja tatsächlich die allererste Fernreise."

Bereits ab Anfang April 1990 flog die DDR-Fluggesellschaft Interflug regelmäßig aus Ost-Berlin und Dresden auf die Insel. Dabei war jedoch nicht alles eitel Sonnenschein: Zum einen gab es Probleme bürokratischer Art. Wie das "Mallorca Magazin" im Mai 1990 berichtete, wurden in den Wochen zuvor acht DDR-Bürger nach ihrer Landung in Son Sant Joan gleich wieder zurückgeschickt, weil sie das damals noch immer erforderliche Visum nicht vorweisen konnten. Dabei hatte die spanische Botschaft das entsprechende Prozedere eigens beschleunigt, um die Reiselust der ostdeutschen Bürger nicht zu bremsen. Im Juni 1990 wurde die Visumspflicht dann abgeschafft.

Die Aussicht auf Millionen neuer Urlauber stimmte Mallorcas Tourismusbranche optimistisch. Entsprechend positiv gestimmt begleiteten die Inselmedien die Entwicklung nach dem Mauerfall. Es gab aber auch kritische Stimmen: So war in der Tageszeitung "Ultima Hora" im Frühjahr 1990 zu lesen: "Deutsche gab es schon immer in rauen Mengen. Wie es scheint, wird es noch größere Mengen davon geben. Nichts ist dem Deutschen lieber, als unter Deutschen zu sein, so nah und eng wie möglich, Bier zu trinken und laute Lieder zu grölen. Wir sind ja allesamt so glücklich, dass sie sich wiedervereinigen und dass sie vereint in alle Ewigkeit laute Lieder singen."

Ganz so groß wie erwartet war der Ansturm dann aber doch nicht: Die Zahl der DDR-Touristen blieb im ersten Jahr nach dem Mauerfall weit hinter den Prognosen zurück. Tourismusminister Jaume Cladera hatte im Überschwang der Gefühle kurz nach dem Mauerfall bereits von 150.000 DDR-Touristen innerhalb von zwei Jahren gesprochen. Zwischen Januar und Juni 1990 seien lediglich 5600 Urlauber aus Ostdeutschland nach Mallorca geflogen, berichtete das "Mallorca Magazin" im September 1990 und stellte die Vermutung auf: "Den Menschen in der DDR sind der Arbeitsplatz oder das neue Auto derzeit offenbar wichtiger als die Mallorca-Reise." Dabei allerdings sollte es nicht lange bleiben: Längst ist die Insel auch bei den Ostdeutschen genauso beliebt, wie im Westen.

(aus MM 45/2014)