Jörg Wontorra während des MM-Interviews auf der Terrasse des Restaurants Campino in Camp de Mar. | Patricia Lozano
Mallorca Magazin: Mit Jupp Heynckes hat Bayern München wieder in die Erfolgsspur zurückgefunden. Was macht diesen Trainer so besonders?
Jörg Wontorra: Jupp Heynckes kennt große Teile der Mannschaft noch und hat anfangs auch auf diese Spieler gesetzt. Er hat eine Art Vaterwirkung auf das Team. Heynckes strahlt Gelassenheit aus, bringt seine ganze Erfahrung ein. Er ist jemand, der die Jungs wieder sicher machen kann. Sie waren zum Teil verunsichert. Ich glaube, er musste gar nicht viel Taktisches machen, Fußball spielen können die. Er musste nur derjenige sein, der den Schirm drüberhält.
MM: Während es mit Bayern aufwärts ging, hat Dortmund den entgegengesetzten Weg genommen. Woran liegt das?
Wontorra: Das System des neuen Trainers Peter Bosz ist offenbar entschlüsselt worden. Sie spielen offensiv, gegen manche Top-Teams zu offensiv. Das Mittelfeld ist nicht kompakt. Wenn man hoch steht, besteht die Gefahr, überlaufen zu werden. Zuletzt kamen noch individuelle Fehler hinzu, weil die Mannschaft verunsichert ist. Sie muss jetzt erstmal wieder zu sich finden, und das wird nicht ganz einfach.
MM: Rechnen Sie aus heutiger Sicht mit einem Durchmarsch der Bayern? Oder kann Dortmund den Münchnern doch noch Paroli bieten? Oder vielleicht ein anderer Club?
Wontorra: Für Dortmund ist es im Moment logischerweise schwierig. Die haben aus fünf Punkten Vorsprung sechs Punkte Rückstand gemacht und müssen erstmal wieder in die Spur kommen. Ich glaube, die machen sich zurzeit überhaupt keine Gedanken über die Meisterschaft, sondern nur darüber, wie sie wieder Tritt fassen können. Natürlich kann im Laufe der Saison vieles passieren, aber im Augenblick schätze ich Leipzig als stabiler ein.
MM: Also ein Meisterschaftsduell RB gegen Bayern?
Wontorra: Das halte ich aus heutiger Sicht für denkbar. Man hat es ja auch in den beiden Spielen gesehen, in denen sie sich gegenüberstanden. Leipzig war auf Augenhöhe. Wenn sie in den sogenannten leichten Spielen keine Fehler machen, dann rechne ich damit, das Leipzig dran bleibt. Aber die Bayern werden wieder Meister, da bin ich ziemlich sicher.
MM: Wer soll denn Ihrer Meinung nach in der kommenden Saison auf der Bayern-Trainerbank sitzen?
Wontorra: Jupp Heynckes.
MM: Meinen Sie das im Ernst?
Wontorra: Ja, warum soll man darüber nicht ernsthaft nachdenken? Wenn Jupp Heynckes ein Coup gelingen sollte, er zum Beispiel zwei Titel holt von drei möglichen, dann ist es für jeden Nachfolger schwer, in seine Fußstapfen zu treten. Deswegen meine ich, dass es im Erfolgsfall gar nicht schlecht sein würde, wenn er noch ein Jahr dranhängt.
MM: Was die Thematik aber nur um ein Jahr verschieben würde ...
Wontorra: Da ist schon was dran. Aber Bayern muss auch langfristig denken. Robben und Ribery kommen in die Jahre. Ein Umbruch steht bevor. Heynckes könnte diesen Umbruch in einem Übergangsjahr zumindest einleiten. Vollenden könnte es dann ein anderer. Das ist zugegeben eine etwas abenteuerliche Idee, aber warum soll man den Erfolg vom Hof jagen?
MM: Fest steht also, dass es bei den Bayern einen Umbruch geben muss?
Wontorra: Ja, das ist so. Dieser muss aber relativ sanft vonstatten gehen. Es ist wichtig, dass junge Leute im nächsten Jahr mehr Spielzeit bekommen. Aber auf einen Robben in der jetzigen Form wird Bayern auch in der kommenden Saison nicht verzichten können.
MM: In der Nationalmannschaft findet ebenfalls ein Umbruch statt. Ist das jetzt der richtige Zeitpunkt oder ist die bevorstehende WM in Russland schon zu nah?
Wontorra: Ich würde gar nicht von einem Umbruch sprechen. Wir haben im Moment das Glück, dass Jogi Löw auf einen Kreis von etwa 35 Spielern zurückgreifen kann. Bei der Nominierung wird die aktuelle Form ausschlaggebend sein. Die etablierten Spieler sind ja auch noch nicht in dem Alter, in dem sie an Rücktritt denken und werden sich nicht so leicht verdrängen lassen.
MM: Rechnen Sie mit Überraschungen und Härtefällen bei der Nominierung?
Wontorra: Härtefälle wird es mit Sicherheit geben. Wenn ein Götze oder Gündogan oder vielleicht ein Schürrle oder ein Gómez nicht zu ihrer Form finden, dann werden sie vielleicht mal zu Hause bleiben müssen. Es gibt nicht junge oder alte Spieler, sondern nur gute oder schlechte, wie Otto Rehhagel immer sagte. Ich glaube, nach diesem Prinzip wird Jogi Löw seinen WM-Kader zusammenstellen.
MM: Wie stark sehen Sie Deutschland bei der WM?
Wontorra: Ziemlich stark. Ein wichtiger Aspekt wird sein, ob und dass Manuel Neuer zurückkommt. Obwohl ihn mit ter Stegen einer der Besten vertritt. Immerhin ist ter Stegen bei Barça Stammkeeper. Aber Neuer wäre für die Sicherheit der gesamten Abwehr ein Faktor. Wenn der zurückkommt, ist das ein wichtiger Baustein. Ansonsten ist die Mannschaft derzeit so gut aufgestellt, dass ich glaube, sie kann auf jeden Fall das Halbfinale erreichen.
MM: Wer werden in Russland die härtesten Konkurrenten sein?
Wontorra: Brasilien kann immer eine Rolle spielen. Ich rechne auch mit Spanien und schätze zudem Portugal hoch ein. Das wären so meine vier Favoriten zurzeit.
MM: Kaum ein Thema wird in Fußball-Deutschland im Moment so intensiv diskutiert wie der Video-Schiedsrichter. Was ist Ihre Meinung?
Wontorra: Dazu muss ich zunächst sagen: Ich blicke nicht mehr durch. Die Kriterien sind absolut undurchsichtig. Auch für das Publikum müsste mehr Transparenz geschaffen werden, damit die Leute verstehen, was passiert. Mir würde es außerdem besser gefallen, wenn das System der Challenge angewandt werden würde. Jeder Trainer könnte ein- oder zweimal pro Halbzeit die Möglichkeit haben, den Video-Beweis zu fordern. Es wäre ein Schritt hin zu mehr Transparenz.
MM: Aus Ihren Worten lässt sich schließen, das Sie die Neuerung aber prinzipiell befürworten ...
Wontorra: Grundsätzlich ist der Video-Beweis schon okay. Nur die Durchführung befindet sich noch sehr in der Probephase. Mit der Bundesliga sollt man keine Generalprobe machen. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Ganze erstmal in der Kreisliga zu testen.
MM: Ein anderes aktuelles Problem des Fußballs sind die gewaltbereiten Fans. Hat die Gewalt tatsächlich zugenommen, oder ist das eine Frage der Wahrnehmung?
Wontorra: Ich glaube, die Bundesliga geht mit der Thematik gut um. Es gibt innerhalb der Stadien nur wenig Gewaltbereitschaft. Sicher, jeder Übergriff ist einer zu viel. Aber ich sehe das Problem in Deutschland nicht als so gravierend an. Die Vereine und die Politik gehen gut damit um, setzen auf Konversation mit den Ultras. Das finde ich sinnvoll.
MM: Es wird oft beklagt, dass es mit RB Leipzig ein Club ohne Tradition nach ganz oben geschafft hat. Wird es ähnliche Erfolgsgeschichten wieder geben oder war das eine Ausnahme?
Wontorra: Wer fehlende Tradition beklagt, der geht nicht mit der Zeit. Auch der VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen oder Hoffenheim sind eng verbunden mit Firmen oder Mäzenen. In einer Zeit, in der mehr als 200 Millionen für einen Spieler geboten werden, muss man sich als Club etwas anpassen. Auch die Traditionsvereine haben die Möglichkeit, sich Sponsoren zu besorgen. Ich weiß, dass Dietrich Mateschitz von Red Bull anfangs gar nicht nach Leipzig wollte, sondern einen Traditionsverein suchte. Aber die Gespräche sind gescheitert.
MM: Viele Traditionsvereine spielen in der dritten oder vierten Liga. Wagen Sie eine Prognose, wer davon in absehbarer Zeit wieder Erstligist ist?
Wontorra: Das kann man nicht vorhersagen. Es hängt von den Sponsoren ab. Vielleicht entdeckt ein Unternehmen sein Herz für Oberhausen oder Essen, und die spielen in drei oder vier Jahren wieder in der Bundesliga.
MM: Gibt es denn einen Club, dessen Comeback Sie sich wünschen?
Wontorra: Nein, da habe ich keine Präferenz. Wenn ich mir etwas wünschen würde, dann dass Werder Bremen seine Sponsorenlage verbessert und damit auch die finanzielle Situation. Man muss heutzutage Geld in die Hand nehmen, um mithalten zu können in der Bundesliga. Wer das nicht tut und nur auf Tradition setzt, der bleibt ein ewiger Romantiker. Und Fußball-Romantiker sind in der Bundesliga nicht gut aufgehoben.
MM: Ihre Tochter Laura ist in Ihre Fußstapfen getreten. Sie moderiert jetzt montags bei RTL Nitro die Sendung "100 Prozent Bundesliga". Schaut der Papa immer zu, manchmal, selten oder nie?
Wontorra: Ich muss eigentlich immer einschalten. Zum einen will ich meine Tochter sehen, dass passiert sonst nicht so oft - von Angesicht zu Angesicht vielleicht einmal pro Monat, weil sie in Köln lebt und ich in Bremen. Aber auch wegen meiner neuen Sendung, die sonntags bei Sky Sport News HD läuft, schaue ich montags zu. Ich muss doch sehen, was die Wettbewerber machen.
MM: Wie lautet das professionelle Urteil über die Auftritte von Laura?
Wontorra: Meine Tochter macht es sehr gut. Ich hatte sie offen gestanden nicht so gut erwartet und bin wirklich angenehm überrascht. Meine Meinung zur Sendung ist, dass es sich um ein Aktuelles Sportstudio handelt, das allerdings zwei Tage zu spät gesendet wird ...
MM: Können Frauen die besseren Fußballer-Interviews führen, schon allein, weil sie den weiblichen Charme-Faktor mitbringen?
Wontorra: Nein, das ist völliger Quatsch. Es finden immer mehr Frauen in unserem Beruf statt, das ist auch völlig in Ordnung. Aber auch bei den Frauen gibt es Qualitätsunterschiede. Daher halte ich eine solche Verallgemeinerung für nicht zulässig. Bei den Frauen gibt es gute und nicht so gute. Genau wie bei den Männern. Und darum wird sich, wie in jedem anderen Beruf der Welt, immer die Qualität durchsetzen.
Mit Jörg Wontorra sprach MM-Redakteur Nils Müller
(aus MM 46/2017)
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