Peter Neururer spannte jetzt ein paar Tage auf der Insel aus. So richtig genießen kann er seine Freizeit aber nicht: "Wenn ich nichts zu tun habe, ist das für mich Stress." | Jonas Martiny

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Mallorca Magazin: Sie hatten 16 Jobs in 30 Jahren, Herr Neururer. So richtig lange sind Sie nirgendwo geblieben. Warum?

Peter Neururer: Fast alle meiner Jobs waren dadurch gekennzeichnet, dass ich immer nur die eine Aufgabe hatte: den Verein zu retten oder kurzfristig zu einem Ziel zu bringen.

MM: Dass Sie nirgendwo so richtig lange geblieben sind, lag also an den Vereinen?

Neururer: Zum einen ja. Bei wenigen Vereinen hatte ich die Gelegenheit, etwas aufzubauen.

MM: Warum war das so?

Neururer: Wenn man die eine Zielsetzung erreicht hat, kann es sein, dass bei der einen oder anderen Vereinsführung der nächste Schritt ein utopischer ist. Dann bleibst du entweder da und wirst dann an den neuen Vorgaben gemessen. Oder ich sage von mir aus: Das hat keinen Sinn mehr. Ich höre auf. Oft heißt es, ich sei rausgeflogen. Das ist aber in vielen Fällen gar nicht so gewesen. In vielen, vielen Vereinen sind Positionen leider so besetzt, dass Amateure über Profis entscheiden. Leute, die mit Fußball überhaupt nichts zu tun haben, Präsidenten, Aufsichtsratsvorsitzende, Sportdirektoren, sind in der Lage, einen zu beurlauben.

MM: Sie gelten als Trainer, der eine Mannschaft kurzfristig pushen kann, indem er die Spieler starkredet. Sehen Sie sich auch so?

Neururer: Ja, den Ruf habe ich. Ist doch klar.

MM: Haben Sie den zu Recht?

Neururer: Überall da, wo ich länger arbeiten durfte, habe ich fast immer meine Ziele erreicht, die Mannschaft in einem wesentlich besseren Zustand und den Verein in einem finanziell wesentlich besseren Zustand hinterlassen.

MM: Bereuen Sie irgendetwas?

Neururer: Dass ich damals die Stelle bei Hertha BSC angenommen habe. Das war ein Job, bei dem ich von vornherein chancenlos war ( der Klub stieg in der Saison 1990/1991 als abgeschlagener Tabellenletzter in die Zweite Liga ab, Anmerkung der Redaktion ). Entlassen wurde ich letztendlich wegen eines Auftritts im Aktuellen Sportstudio, nachdem wir 3:7 bei Bayern München verloren hatten. Dieter Kürten fragte mich, ob ich schon mal so hoch verloren hätte. Ich antwortete: Ja, das war 1969, im Tipp-Kick, gegen meinen Bruder. Das nahm der Präsident von Hertha BSC zum Anlass, mich wegen unflätigen Verhaltens dem Verein gegenüber sofort zu entlassen.

MM: Bereuen Sie es, damals diesen Spruch gebracht zu haben?

Neururer: Nein. Ich stehe dazu. Ich bereue nur, überhaupt zur Hertha gegangen zu sein. Das war der einzige Fehler meiner Karriere. Natürlich habe ich auch schon andere Fehler gemacht. Überhaupt keine Frage. Wie sie jeder andere auch macht. Zum Beispiel ein Spiel verloren, bedingt dadurch, dass ich die falschen taktischen Maßgaben rausgehauen habe. Aber welcher Trainer geht dann hin und sagt in der Öffentlichkeit: Das war meine Niederlage. Aber auch das mache ich. Wenn's der Fall war, ein-, zweimal, habe ich dazu gestanden.

MM: Heutzutage will jeder Klub einen "Konzepttrainer" haben. Für Sie ist das ein Reizwort. Warum?

Neururer: Nicht nur für mich. Sondern für alle Trainer, die mit Verstand arbeiten. Fragen Sie mal die sogenannten Konzepttrainer, was die für ein Konzept haben. Dann sagen die, wie jeder andere Trainer auch, sie möchten attraktiven Fußball spielen. Kommt immer gut an. Bei allen Vereinspräsidenten.

MM: Konzeptfußball - da steckt also gar nichts dahinter?

Neururer: Das ist dumme Erzählerei, in irgendwelche eigenartigen Worte gekleidet. Ich lasse grundsätzlich keine "Vertikalpässe" spielen. Bei mir gibt's nur Steilpässe. Ich verteidige auch nicht "horizontal", sondern sehe, dass ich die Breite nutze. Wenn ich diesen Schwachsinn schon höre. Warum muss ich denn eine Sache so darstellen, dass es keiner mehr versteht? Ich bin ja Sportwissenschaftler. Ich könnte die gleichen Dinge nach außen hin verkaufen, sodass kein Mensch mehr folgen kann. Dann gelte ich plötzlich auch als Konzepttrainer, oder? Ich kann das aber auch so vermitteln, dass es jeder versteht.

MM: Letztendlich ist es also nicht mehr als cleveres Marketing?

Neururer: Das ist entstanden, als ein Trainerkollege nach irgendeinem Sieg mal erzählt hat, er habe der Mannschaft seinen "Matchplan" kundgetan. Was hätte der denn gesagt, wenn er das Spiel verloren hätte? Dass sein "Matchplan" leider nicht angekommen ist? Jeder andere Trainer: Hat der keinen "Matchplan"? Ich nenne es nur nicht so. Letztendlich bist du als Trainer nur abhängig von den Möglichkeiten, die du bei einem Verein hast. Nicht von dem, was du weißt. Ich habe das schon vor 100 Jahren gesagt, als ich angefangen habe als jüngster Trainer der Bundesliga: Wenn's nur um die reinen Fach- und Sachkenntnisse gehen würde, um die psychologische Betreuung einer Mannschaft, um die Ausnutzung der Trainingslehre, dann werde ich morgen Trainer von Real Madrid. Bei der Aussage bleibe ich, bis heute.

MM: Warum hat denn Real Madrid nie angerufen?

Neururer: Weil es eben nicht um Fachkenntnis geht. Es geht um Beziehungen, es geht um Image, es geht darum, sich darzustellen.

MM: Sie sind jetzt seit 30 Jahren Fußballtrainer. Wie hat sich der Job in der Zeit geändert?

Neururer: Früher haben wir 95 Prozent der Zeit mit der Mannschaft gearbeitet und fünf Prozent der Zeit hatten wir mit der Öffentlichkeitsarbeit zu tun. Heute ist das Verhältnis 50:50. Wobei die Zeit, die ich mit der Mannschaft verbringe, gleich geblieben ist.

MM: Die Belastung ist also größer geworden?

Neururer: Für mich ist das reine Freude. Ich rede da auch gar nicht von Arbeit. Ich erlebe Frust und Stress, wenn ich nichts zu tun habe. Dann erlebe ich Momente der Unzufriedenheit. Im Job zu sein, egal wie viele Stunden ich da arbeiten muss, das vermittelt mir von morgens bis abends nur Freude. Die einzige Spannung, die ich da habe, sind die 90 Minuten während des Spiels. Denn da sehe ich meinen Einfluss immer gering. Ich kann vor dem Spiel was sagen, in der Halbzeit etwas zu irgendwelchen taktischen Dingen erzählen und ich kann ein- und auswechseln. Mehr kann ich nicht tun.

MM: Dass Trainer ihren Spielern während des Spiels Anweisungen geben, ist also überflüssig?

Neururer: Ich habe Verständnis für solche Trainer. Weil ich früher genauso war, als ich noch weniger Erfahrung hatte. Aber wenn ich Guardiola sehe, wie der schon in der ersten Minute am Rand hoch und runter läuft, da sage ich mir: Haben die keine Spielersitzung gehabt? Haben die keinen "Matchplan"? Dass er nach einer Minute schon korrigierend eingreifen muss. Aber das macht ja ohnehin kein Trainer der Welt, um auf die Mannschaft einzuwirken. Das dient nur dazu, Spannung abzubauen, erstens. Und außerdem geht es um die Wirkung für die Leute auf der Ehrentribüne.

MM: Reagieren Trainer so denn nicht darauf, was der Gegner macht?

Neururer: Wieso? Das weiß ich doch vorher. Ich kenne doch jegliche Abläufe des Gegners, jegliche Bewegung vorher. Es gibt doch keine Dinge, die ich nicht vorher schon weiß. Ich bin doch vorbereitet. Ich kann doch nicht überrascht werden durch einen Gegner. Höchstens durch einen Freistoßtrick vielleicht.

MM: Was hat sich sonst noch geändert im Trainerjob seit 1984?

Neururer: Die Bezahlung ist besser geworden. Früher waren die Spieler die Topverdiener. Heute haben die Trainer normalerweise die gleichen Gehälter. Ist ja auch richtig so. Denn der Chef, der den Kopf hinhalten muss, soll mindestens genauso gut verdienen, wie der, der eigentlich dafür verantwortlich ist, was auf dem Platz geschieht.

MM: In Sachen Trainingslehre hat sich nichts getan?

Neururer: Der menschliche Körper hat sich nicht großartig verändert. Die Trainingsmethoden, die passe ich grundsätzlich den jeweiligen Gegebenheiten an.

MM: Haben Sie Ihre persönlichen Ziele erreicht?

Neururer: Mein erstes Ziel war, Bundesligatrainer zu werden. Das habe ich relativ früh erreicht. Aber um weiterzumachen, brauche ich ein weiteres Ziel. Sonst müsste ich ja aufhören. Ich lebe meinem Traum nach: Einmal die Schale in der Hand halten. Und zwar nicht, weil sie mir irgendwer aus Spaß mal in die Hand drückt, sondern selbst gewonnen. Entweder den DFB-Pokal oder die Schale.

MM: Ein ausländischer Verein fehlt in Ihrem Lebenslauf. Warum?

Neururer: Ich hatte viele, viele Angebote. Aber es hat nie so richtig gepasst. Ich hatte zum Beispiel mal ein Angebot, Nationaltrainer vom Iran zu werden. Aber da wäre ich politisch überhaupt nicht mit klargekommen, obwohl ich fast apolitisch bin. Aus der Primera División kam leider nie ein konkretes Angebot.

MM: Was ist Ihre größte Stärke?

Neururer: Weiß ich nicht. Woher soll ich das wissen? Ein Urteil über mich selbst abzugeben, das steht mir nicht zu. Ich weiß alles über Fußball. Ich weiß alles über Trainingslehre. Ich weiß, wie man eine Mannschaft führt.

MM: Und Ihre Schwächen?

Neururer: Zu große Ehrlichkeit. Das ist mit Sicherheit eine Schwäche. Ich sage immer, was ich denke.

MM: Das haben Sie aber nie bereut?

Neururer: Nein. Das ist mein Lebensmotto: Schweigen ist feige. Ab und zu bremst mich meine Frau. Aber die ist ja leider - oder glücklicherweise - nicht immer dabei. Das ist eben so.

MM: Steckt man Sie eigentlich in eine Schublade?

Neururer: Ja. Das ist auch ok.

MM: Welche Schublade ist das?

Neururer: Klar, einerseits der große Motivator, andererseits derjenige, der seine Klappe nie hält. Das stimmt ja auch. Da habe ich anfangs selbst für gesorgt. Dass ich jetzt drin bin in der Schublade, das ist mir so egal. Ob ich das gut finde, oder ob ich das schlecht finde: Ich habe da keinen Einfluss drauf.

MM: Welche Frage können Sie nicht mehr hören?

Neururer: Ich finde es immer superklasse: Man hat ein Spiel verloren, direkt nach dem Spiel, Adrenalin ist noch total hoch, da kommt einer an und will wissen: Wie erklären sie sich diese Niederlage? Direkt nach dem Spiel kann das kein Mensch auf der Erde erklären, noch nicht einmal der Erfinder des Fußballs - also selbst ich nicht.

MM: Haben Sie jetzt gerade gesagt: "Der Erfinder des Fußballs - also ich"?

Neururer: Ja, klar. Das war ein Scherz. Aber ist doch so: Wenn irgendeiner heute mit irgendwelchen Dingen anfängt, die wir schon vor 50 Jahren gemacht haben, dann gilt er gleich als Erfinder des Fußballs. Da kriege ich einen dicken Hals, wenn ich das höre.

(aus MM 2/2015)